Kunsthaus Bregenz öffnet mit Corona-Sonderschau
Schon vielfach wurde die Frage gestellt, was die Kunst aus der Coronazeit entstehen lassen wird. Im Kunsthaus Bregenz (KUB) kann man sich nun einen Eindruck verschaffen, wie Kunstschaffende die Zeit des Lockdowns erlebten und was sie daraus machten. "Unvergessliche Zeit" teilt Werke von Helen Cammock, William Kentridge's The Centre of the Less Good Idea, Annette Messager oder Markus Schinwald.
"Es ist eine spontane Ausstellung, außer Programm. Denn das Kunsthaus ist ein Haus der Gegenwart. Die Zeit, in der wir leben, müssen wir abbilden und zugänglich machen", so Direktor Thomas D. Trummer über seine Beweggründe mitten im Corona-Lockdown eine neue Ausstellung zu konzipieren und zu organisieren, übrigens "eine unglaubliche Leistung des KUB-Teams". Die Ausstellung sei in ihrer Geschwindigkeit einzigartig, aber auch in ihrem Niveau. Im KUB, einem "Ort der Sensibilität", klängen nun alle Fragen an, die sich in dieser Zeit nicht nur Künstler stellten: Fragen des Zusammenlebens, der politischen Gemeinschaft, der Begegnung mit anderen, dazu kämen Eindrücke von Beschwernis und Isolation. Ob man das sehen will? "Ich weiß nicht, ob die Menschen das sehen wollen, aber ich weiß, dass sie einander verstehen wollen, und dazu brauchen sie die Kunst", so Trummer bei der Presseführung.
Ein Highlight der Ausstellung sind die wie eine Vorahnung wirkenden Werke des Österreichers Markus Schinwald. Zu sehen sind großformatige Bilder, in denen winzige Figuren von Ereignissen, Dunkelheit, grauen Wolken oder Rauch, übermannt und überwältigt sind, und historische Porträts, die mit Masken, Prothesen, Verbänden, Schleiern und Apparaturen übermalt sind. Seine "Prothesen für unbestimmte Fälle" seien hochindividuelle Anfertigungen, im Gegensatz zum derzeitigen Mund-Nasen-Schutz. "Man sieht jetzt erst, was für schlechte Prothesen das sind: Sie schützen zwar andere, schränken uns aber im Zusammenleben ein", stellte Schinwald mit der Einweg-Maske in der Hand fest. Seine Arbeiten thematisierten eigentlich den Schutz vor fremden Blicken, das Hindurchhallen im eigentlichen Sinn von "Person". Dass die Arbeiten nun anders gesehen werden, schien ihm nicht ganz recht zu sein. Er hoffe, dass der Blick darauf in nicht allzu ferner Zeit wieder wie vorher sein werde. "Aber Geschichte und Kunst sollen flüssig bleiben", meinte er.
Annette Messager, die 2005 den Goldenen Löwen der Biennale Venedig gewann, ist mit einer Wand voller Aquarelle vertreten, die als Thema den Tod variieren. Rekonvaleszent von einer Schädeloperation im Herbst verarbeitete die französische Künstlerin vor diesem biografischen Hintergrund den Umgang mit der eigenen Endlichkeit. Durch ihre Arbeiten geistern, tanzen und schweben Skelette, Teddybären mit hohlen Augen, monsterhafte Schattenfratzen. Aber es finden sich auch Doppelbildnisse, betitelt "moi et toi", die das Zusammenleben auf engem Raum mit ihrem Mann und die Liebe der beiden spürbar machen.
William Kentridge's The Centre od the Less Good Idea, ein experimentelles Künstlerkollektiv aus Johannesburg, plante ein multidisziplinäres Festival im Frühjahr, doch dann kam Corona. Man lud also die beteiligten Künstler und Künstlerinnen stattdessen dazu ein, in einminütigen Videos ihre Gedanken und Themen zu verarbeiten, "ohne den Druck, ein fertiges Produkt liefern zu müssen", so Zentrumsdirektorin Bronwyn Lace. 29 dieser sehr intensiven Momentaufnahmen sind im KUB zu sehen. Der Anruf aus Bregenz sei ein "Glücksfall" gewesen. Während andere Museen erstarrten, sei das KUB mit der Schau aktiv geblieben und sei ein Risiko eingegangen, lobte die seit kurzem in Wien lebende Künstlerin.
Im Stockwerk darüber transformiert das KUB Digitales ins Analoge. In ihrem Instagram-Tagebuch reflektiert die ägyptisch-polnische Künstlerin Ania Soliman stark auf die politischen Geschehnisse der Pandemie. Sie macht die sich rasch ändernden Phasen sichtbar und das, womit sie sich beschäftigt, von als Propaganda aufgefassten Aufrufen, Kommentaren zu Nachrichtenmeldungen, bis hin zu müßiggängerischen Zeichnungen und nächtlichem Brotbacken. Das Tagebuch wird fortgesetzt, derzeit beschäftigen die Künstlerin etwa die Anti-Rassismus-Demonstrationen in den USA. Turner Prize-Gewinnerin Helen Cammock zeigt auf einer der Etagen die Videoarbeit "They Call it Idlewild", in der sie auf sich selbst zurückgeworfen erzählt und dazu in langen Aufnahmen auf eine englische Landschaft blicken lässt. Ebenfalls Videoarbeiten präsentiert Marianna Simnett, die die sich aufdehnende Zeit unter anderem in sich verziehenden Katzenaquarellen verarbeitete und die Geschichte von Titos Hund Luks erzählt, während sie selbst immer mehr hinter einer Hundemaske verschwindet.
Es sei die Kunst, die die Erinnerung bewahre, nicht die Fakten. So sei die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg in Grimmelshausens Texten bewahrt, jene an den Ersten Weltkrieg etwa in den Arbeiten von Otto Dix, so Trummer. Dass die KUB-Ausstellung zu früh sein könnte, war ihm dabei keine Sorge. Das KUB sei kein Museum, erzähle nicht Geschichte, sondern stelle das eigene Leben dar. Auf diese Weise entstand auch die Idee zur Schau und die Auswahl der gezeigten Werke: Künstler, mit denen Trummer in Kontakt steht, zeigten ihre Arbeiten online und berichteten über ihre Situation. "Dann hab ich mich durchgefragt, wo gerade etwas Spannendes entsteht", so Trummer.
(S E R V I C E - "Unvergessliche Zeit - Helen Cammock, Annette Messager, Rabih Mroué, Markus Schinwald, Marianna Simnett, Ania Soliman", Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (KUB), 5. Juni bis 30. August, Donnerstag - Sonntag, 10.00 bis 18.00 Uhr, www.kunsthaus-bregenz.at)
Zusammenfassung
- Schon vielfach wurde die Frage gestellt, was die Kunst aus der Coronazeit entstehen lassen wird.
- Im Kunsthaus Bregenz (KUB) kann man sich nun einen Eindruck verschaffen, wie Kunstschaffende die Zeit des Lockdowns erlebten und was sie daraus machten.
- "Unvergessliche Zeit" teilt Werke von Helen Cammock, William Kentridge's The Centre of the Less Good Idea, Annette Messager oder Markus Schinwald.