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Kein Strizzi, nur ein Rüpel: Stölzls "Liliom" an der Burg

Eine grasbewachsene Düne am Stadtrand, zwei schwarze Engel und ein Liliom, dem man seine behauptete Wirkung auf Frauen nicht abnimmt: Philipp Stölzl stülpt bei seinem Burgtheaterdebüt Ferenc Molnárs Stück von innen nach außen und arbeitet sich an den Mechanismen männlicher Gewaltausbrüche ab. Stefanie Reinsperger zeichnet ihre Titelfigur mit gewohnter Inbrunst und zertrümmert das tradierte Bild des prügelnden Strizzis. Ein bildstarker Abend, der gar analytisch daherkommt.

Der deutsche Regisseur Stölzl, der für Filme wie "Nordwand" oder "Schachnovelle" bekannt ist, hat gemeinsam mit dem Dramaturgen Thomas Jonigk eine Fassung erarbeitet, in der die Reflexion zur Prämisse wird: Gleich im ersten Bild liegt Liliom tot auf der in den Zuschauerraum ragenden Dünenlandschaft und wird von zwei schwarzen Engeln (Norman Hacker und Tilman Tuppy) unsanft aufgeweckt, um Rechenschaft abzulegen. Liliom selbst weiß weder wer er ist, noch wie er zu Tode gekommen ist. "Was seids'n ihr für zwei?", blafft Reinsperger in breitem Wienerisch die beiden an. Um Liliom auf die Sprünge zu helfen, bringen die Engel den verwirrten Mann zurück zu jenem Bahndamm, wo er sich nach dem gescheiterten Überfall auf einen Kassier ein Messer in den Bauch gerammt hat, um der drohenden Verhaftung zu entgehen.

Den schnellen Orts- und Zeitwechsel skizziert Stölzl, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hier mit dem Herauswachsen einer Ampelanlage, wo der verdatterte Liliom auf seinen besoffenen, noch g'scherter daherredenden Freund Stutzer (Sebastian Wendelin) trifft, um den geplanten Überfall zu besprechen. Reinsperger stapft in Hose, Unterleiberl und Hosenträgern über die Düne und weiß nicht recht, wie ihrem Liliom geschieht. Unweigerlich wird er in die Szene gezogen, bis er sich plötzlich erinnert und die Szene ihren Lauf nimmt. Doch damit nicht genug. Die Engel geleiten Liliom, der nun um sein Ende weiß, noch weiter in die Vergangenheit zurück, zurück zum Anfang des Stücks, bis zu jenem Tag, als er seine spätere Frau Julie kennenlernt und für sie seinen Ausrufer-Job im Vergnügungspark auf- und der Karussellbetreiberin Frau Muskát einen Korb gibt.

Hier wird erstmals richtig deutlich, welche Kraft die Besetzung Lilioms mit einer Frau entfalten kann: Zwar gibt Reinsperger den rohen Rüpel stimmlich wie körperlich glaubhaft, die gegen seine Umwelt ausgeübte Gewalt macht der Zuschauerin jedoch deutlich, wie sehr man in Sehgewohnheiten feststeckt: Sieht man - auf der Bühne wie im Film - einen gewalttätigen Mann, ist man deutlich weniger irritiert. Doch wenn Reinsperger Franziska Hackl als Frau Muskát zur Seite stößt oder auf Zeynep Buyraç als Julies Freundin Marie losgeht, scheint die Gewalt unnatürlich. So unnatürlich, wie sie eigentlich immer sein sollte, wird hier deutlich gemacht.

Die zwischen Unschuld und Abgebrühtheit oszillierende Maresi Riegner als Vertreterin des White Trash folgt daraufhin Liliom und versprüht einen Hauch von Resignation. Verliebtheit hat hier keinen Platz, die kommt eher von Liliom, der an seiner Arbeitslosigkeit und Trunksucht in hellen Momenten deutlich leidet. Wie tief das junge Paar gesunken ist, zeigt sich bei den Besuchen von Marie und ihrem Verlobten Hugo (herrlich steif: Stefko Hanushevsky), die den beiden ihre Aufwartung vor dem Wohnwagen machen. Maries Bemühungen, Julie aufgrund der Schläge zu einer Trennung zu bewegen, scheitern aufgrund von Julies Lethargie. Sie verzeiht Liliom zwar nicht, verherrlicht ihn nicht, aber nimmt ihn hin. Routiniert braust sie ihn mit dem Gartenschlauch ab, wenn er nach einer durchzechten Nacht auf allen vieren nach Hause kriecht.

Es sind langsame, stille Momente, in denen Stölzl das Innenleben der Figuren nach außen kehrt. Lilioms Freude über das erwartete Baby führt unweigerlich zum geplanten Überfall, seinem Selbstmord und der Bitte an die Engel, seiner Tochter zumindest einmal über den Kopf streicheln zu dürfen. Fabia Matuschek berührt als junges Mädchen, das nichts über die Vergangenheit des Vaters - der im Sterben noch darum gebeten hat, seine Taten nicht zu verschweigen - weiß. Die versuchte liebevolle Geste scheitert, doch ihren berühmten Satz "Es ist möglich, mein Kind, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh." lässt Stölzl diese Julie, die innerlich mit Liliom gebrochen hat, nicht sagen. Vielmehr stellt sie sich schützend vor ihr Kind, während Liliom an seiner Impulsivität verzweifelt.

Wie es hätte sein können, demonstriert Stölzl in einem etwas kitschigen Schlussbild, in dem die Schauspieler längst die Bühne verlassen haben. Dieser Liliom ist ein Opfer seiner Gefühle, wird aber von niemandem - außer Frau Muskát - glorifiziert. Und so endet nach zwei pausenlosen Stunden ein Abend, an dem man sich mit niemandem - auch nicht mit der lange leidenden Julie - identifizieren mag. Die Analyse seiner Taten hat Liliom auch nicht zu einem besseren Menschen gemacht. Viel Jubel für das engagierte Ensemble.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Liliom" von Ferenc Molnár in einer Neuübersetzung von Terézia Mora, Regie und Bühne: Philipp Stölzl, Kostüme: Kathi Maurer. Mit u.a. Stefanie Reinsperger, Maresi Riegner, Zeynep Buyraç, Franziska Hackl, Stefko Hanushevsky, Norman Hacker und Tilman Tuppy. Weitere Termine: 8., 18. und 25. Dezember, 12., 18. und 24. Jänner. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Philipp Stölzl inszeniert Ferenc Molnárs 'Liliom' am Burgtheater und untersucht die Mechanismen männlicher Gewalt.
  • Stefanie Reinsperger spielt Liliom und bietet eine neue Perspektive, indem sie die Rolle als Frau verkörpert.
  • Die Inszenierung beginnt mit Lilioms Tod und einer Rückschau, die von zwei schwarzen Engeln geleitet wird.
  • Reinspergers Darstellung von Gewalt wirkt unnatürlich und verstörend, was das Publikum aus gewohnten Wahrnehmungsmustern reißt.
  • Trotz der Analyse seiner Taten wird Liliom nicht zu einem besseren Menschen, was die Inszenierung eindrucksvoll zeigt.