Kein Schweigen zu "Rechnitz": Starke Premiere in Bregenz
Vor etwas mehr als 30 Jahren drehten Margareta Heinrich und der aus Bregenz stammende Eduard Erne in Rechnitz den Dokumentarfilm "Totschweigen". Bei ihren Recherchen stießen sie auf viel Abwehr, auch auf Trauer, aber nicht auf ein Gedenken. Elfriede Jelinek hat diese Arbeit inspiriert. Die Art, wie die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Vergangenheit und Gegenwart behandelt, spiegelt sich auch in ihrem 2008 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Text.
Dem als Folie verwendeten Film "Der Würgeengel" von Luis Buñuel entsprechend, waren die Figuren dort Bedienstete, bei Jelinek sind es Boten wie sie etwa in antiken Dramen vorkommen. Sie sind aber nicht Zeugen und Kommentatoren, sie sind Übermittler von Vorgefundenem, Aufgefasstem, Vermutetem, Verleugnetem und Verdrehtem. Ein Kunstgriff der Autorin stellt sich nun in der Produktion von "Rechnitz (Der Würgeengel)" am Vorarlberger Landestheater deutlich ein, wenn diese Boten vom Publikum genauso als Leugner wie als reflexionsfähig wahrgenommen werden, die angesichts der Gräuel auch mit der Authentizität ihres Berichts hadern: "Ich kann nicht sagen, was sein wird, nur, was ich gesehen habe, also was war. Nichts, was wahr ist." Präsenz ist dennoch der über der Aufführung stehende zentrale Begriff. Präsenz des Ensembles, des Erinnerns und Nichterinnerns: "Die Senkböden, in denen wir alles versenken, haben einen gut abgedichteten Boden."
In der Inszenierung von Bérénice Hebenstreit sind keine Schüsse zu hören, und es tritt auch keine Gräfin Batthyány auf, wie in der 2021 präsentierten Umsetzung des Textes am Wiener Theater in der Josefstadt. "Mir war es wichtig, eine eigene ästhetische Sprache für den Text zu finden, die in dem Kontext von Gedenken und Sprechen darüber stattfindet, die das mitnimmt, aber auch auf eine metaphorische Ebene hebt", erklärt die Regisseurin im Gespräch mit der APA. Das Motiv des Versammelns war ihr zudem wichtig, der Punkt, an dem sich Gedenken ritualisiert, an dem die Vermeidung von Auseinandersetzung entsteht.
Mira König hat dazu einen Raum entworfen, der sich auf das Rechnitzer Schloss beziehen könnte, auf das Eingeschlossensein der Bourgeoisie bei Buñuel oder auf einen der üblichen Vortragsorte mit Rednerpult und Stuhlreihen. So wie diese zu Mauern mutieren, wird das Pult auch einmal zum Sarg und die Bestattung angedeutet, die den verscharrten Opfern versagt blieb, deren sterbliche Hüllen nach der Öffnung des Massengrabes im Jahr 1946 nicht mehr gefunden wurden.
Das Grauen vergrößernde Leichtigkeit der Spielweise
Ein starkes Moment der Inszenierung ist die von Michael Isenberg konzipierte Musik. Der von Moritz von Schwinds Bild von Tieren, die einen Jäger begraben, inspirierte Satz aus der ersten Sinfonie von Gustav Mahler wird zum wiederholten Motiv, das das Ensemble auch einmal mit Cello, Bass, Okarina, Trommel und Melodica interpretiert. Dazu kommen die Toccata von Paradisi, das Air von Bach, Zitate aus "Lohengrin", etc. Sie unterstreichen die das Grauen vergrößernde Leichtigkeit der Spielweise, die Vivienne Causemann, Rebecca Hammermüller, Nurettin Kalfa, David Kopp und Anna Rot gut in sich aufgesogen haben, obwohl sie meist in statischer Anordnung mit kleinen Gesten erzählen und einmal in Tiermasken auftreten.
Die Vielschichtigkeit des Texts von Elfriede Jelinek, die Anhäufung von Themen in einem einzigen Satz, die Einarbeitung von Motiven von Euripides oder von Texten wie "The Hollow Men" von T. S. Eliot sind als solche nicht inszenierbar. Ohne drastisch optische Akzentuierung ist das Grauen in Hebenstreits Arbeit aber ebenso zugegen wie die Ungeheuerlichkeit der sich kannibalistisch im Jagd- und Mordrausch befindlichen Täter, die Jelinek unvergleichlich literarisiert hat.
Premierenpublikum applaudierte heftig
Bei einem Verhör im Jahr 1947 in Vorarlberg gab Margit von Batthyány, Tochter des Stahlmagnaten und Kunstsammlers Heinrich Thyssen-Bornemisza, an, von der Ermordung der Juden in besagter Nacht nur gehört zu haben. Sie verhalf jedoch den Haupttätern zur Flucht. Drei Augenzeugen des Massakers wurden im Jahr 1946 ermordet. Auszüge aus dem neuen Jelinek-Text "Die Krone des Adlers" wurden der hier gestrafften Fassung von "Rechnitz (Ein Würgeengel)" hinzugefügt. "Wird sich jetzt das Schweigen ausbreiten?", fragt die Autorin. Ein heftig applaudierendes Premierenpublikum stemmte sich am Vorarlberger Landestheater dagegen.
(Von Christa Dietrich/APA)
(S E R V I C E - "Rechnitz (Der Würgeengel)" von Elfriede Jelinek. Inszenierung: Bérénice Hebenstreit; Ausstattung: Mira König; Musikdramaturgie: Michael Isenberg; Dramaturgie: Jennifer Weiss. Mit Vivienne Causemann, Rebecca Hammermüller, Nurettin Kalfa, David Kopp, Anna Rot. Weitere Aufführungen am 18. und 21. Februar, 3., 6. und 26. April am Vorarlberger Landestheater: www.landestheater.org)
Zusammenfassung
- Bei der Premiere von 'Rechnitz (Der Würgeengel)' in Bregenz wurde das Massaker von 1945, bei dem 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet wurden, thematisiert.
- Elfriede Jelineks Werk beleuchtet den Umgang der Nachwelt mit diesem Verbrechen und wurde von der Regisseurin Bérénice Hebenstreit inszeniert.
- Musik von Michael Isenberg und die Ausstattung von Mira König tragen zur eindrucksvollen Atmosphäre der Aufführung bei.
- Die historische Figur Margit von Batthyány, die den Tätern zur Flucht verhalf, wird ebenfalls erwähnt.
- Das Premierenpublikum reagierte mit starkem Applaus und setzte ein Zeichen gegen das Schweigen.