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Kate Beatons Zeit in den kanadischen Ölsanden als Comic

Es ist eine harte Gegend: Riesige, maschinengetriebene Ungetüme kämpfen sich ihren Weg durch Schnee und Kälte. Unzählige Rauchsäulen schlängeln sich über den Horizont. Und in giftigen Abwässern finden wohl nicht nur Hunderte Enten ihr Ende. Was wie das Szenario eines Sci-Fi-Albtraums klingt, hat die kanadische Comickünstlerin Kate Beaton tatsächlich erlebt. In ihrem Buch "Ducks" erzählt sie von jenen zwei Jahren, die sie in den Ölsanden Albertas verbracht hat.

Aufgewachsen im kanadischen Osten - genauer gesagt auf der Kap-Breton-Insel in Nova Scotia -, sucht Beaton am Ende ihres Studiums nach einer Möglichkeit, ihr Darlehen zurückzuzahlen. Aber wie soll sie mit ihren Abschlüssen in Geschichte und Anthropologie in kurzer Zeit genug Geld machen? Sehr zum Missfallen ihrer Eltern entscheidet sich die junge Frau dafür, was schon viele in dieser Region vorher getan haben: Sie sucht ihr Glück im Westen. Auf den Ölsanden von Alberta lockt das Geld die Arbeiterinnen und Arbeiter von überall her. Folglich sind es auch die unterschiedlichen Kulturen und Herkünfte, die eine wesentliche Rolle spielen.

Denn "Ducks" ist eine komplexe Angelegenheit. So vielschichtig, wie Beaton in ihren klar gestalteten Bildern mit verschiedenen Grautönen hantiert, so unterschiedlich sind auch die Erlebnisse, die sie in den Gruben rund um Fort McMurray macht. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Tatsache, dass sie als Frau in einer fast reinen Männerwelt angekommen ist. Arbeitet sie in ihrem ersten Jahr zunächst bei der Werkzeugausgabe, kann sie später in ein Büro wechseln - was in einer Grube beim Ölsandabbau aber keineswegs das bedeutet, was man gemeinhin darunter versteht. Der Ton ist rau, die Sitten noch rauer, was auch Übergriffe und sexuellen Missbrauch beinhaltet. Das muss Beaton nicht zuletzt am eigenen Leib erfahren.

Sie sei sich des reißerischen Elements, das darin stecke, durchaus bewusst, schreibt Beaton im Nachwort zu ihrem über 400 Seiten starken Opus magnum. "Die traurige Tatsache ist jedoch, dass sexuelle Übergriffe jeglicher Art viel zu alltäglich sind, um Aufsehen zu erregen." Beaton stellt hier aber niemand an den Pranger, sondern zeichnet allen voran ihre eigenen Erfahrungen nach. "Die Ölsande sind für jeden anders, dies waren meine", hält sie dementsprechend fest. Vor allem aber macht sie deutlich, dass diese Orte eine Veränderung in den Menschen anstoßen. Bei manchen fällt sie gravierender aus als bei anderen, aber niemanden lässt die Arbeit in dieser trostlosen Einöde kalt.

Die erzählerische Logik von "Ducks" folgt zwar einer chronologischen Ordnung, die sich wiederum nach den verschiedenen Einsatzgebieten richtet. Aber letztlich ist diese Geschichte eine episodenhafte Ansammlung von Anekdoten, die erst in der Summe dieses eindrucksvolle Bild ergeben, das auch Barack Obama dazu veranlasste, den Band als ersten Comic überhaupt auf seine jährliche Leseempfehlung zu setzen. Amüsante, zwischenmenschliche Momente wechseln sich mit Tristesse und Frustration ab. Immer wieder sind es kleine Lichtblicke, die Beaton aus ihrer Monotonie reißen und die unzähligen abwertenden Kommentare für kurze Zeit vergessen machen.

Neben diesen zutiefst persönlichen Einblicken sind es vielfach soziokulturelle und gesellschaftspolitische Aspekte, die in "Ducks" angesprochen werden. Beaton weiß natürlich um die zerstörerischen Auswirkungen der Arbeit in den Ölsanden, was etwa die titelgebende Episode mit den vergifteten Enten beweist. Aber auch die marginalisierte Rolle der indigenen Bevölkerung thematisiert sie. Und nicht zuletzt ist es die Herkunft all jener, die hier ihr Dasein fristen und auf eine bessere Zukunft hoffen (oder manchmal die Hoffnung schon aufgegeben haben), die Beaton in unterschiedlichsten Konstellationen zum Vorschein bringt. So simpel ihr Stil auf den ersten Blick erscheinen mag, so sehr geht die Zeichnerin und Autorin mit diesem Buch in die Tiefe.

Dass es bei ihr nicht immer nur ernst zugeht, weiß man nach der Lektüre von "Ducks" ebenfalls, versteht Beaton es doch, Alltagskomik auf subtile Weise einfließen zu lassen. Ihren Witz hat sie bereits mit ihrem höchst erfolgreichen Webcomic "Hark! A Vagrant" geschärft, der hierzulande als "Obacht! Lumpenpack" bei Zwerchfell erschienen ist. Parallel zu ihren Memoiren kommt via Reprodukt zudem das Kinderbuch "Die Prinzessin und das Pony" auf den Markt, das bereits als Animationsserie für Apple TV+ ("Tannenzäpfchen und ihr Pony") umgesetzt wurde.

(S E R V I C E - Kate Beaton: "Ducks. Zwei Jahre in den Ölsanden", Zwerchfell/Reprodukt, 448 Seiten, 40,10 Euro, ISBN 978-3-95640-383-5; Kate Beaton: "Die Prinzessin und das Pony", Reprodukt, 148 Seiten, 18,50 Euro, ISBN 978-3-95640-399-6)

ribbon Zusammenfassung
  • Unzählige Rauchsäulen schlängeln sich über den Horizont.
  • Und in giftigen Abwässern finden wohl nicht nur Hunderte Enten ihr Ende.
  • Was wie das Szenario eines Sci-Fi-Albtraums klingt, hat die kanadische Comickünstlerin Kate Beaton tatsächlich erlebt.
  • Immer wieder sind es kleine Lichtblicke, die Beaton aus ihrer Monotonie reißen und die unzähligen abwertenden Kommentare für kurze Zeit vergessen machen.