Kästners "Fabian" als funktionierendes Kondensat in Bregenz
Nicht nur seit der jüngsten Verfilmung des Werks des deutschen Schriftstellers und Publizisten Erich Kästner (1899-1974) finden Theatermacher wieder besonderen Gefallen daran, sich mit dem Roman "Fabian" zu befassen, der in der Zeit vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten spielt. Kurz nachdem in diesem Frühjahr die 2021 geschaffene Kinoversion von Dominik Graf auch ins Fernsehen kam, verlautbarte Stephanie Gräve, Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, den neuen Spielplan und die Auseinandersetzung mit dem Antihelden. Kästners Sicht auf die Zustände in Berlin um 1930, die Beschäftigung mit der Figur, deren Haltung durch die Art ihrer Beobachtungen zum Ausdruck kommt oder die feinen Parallelen zur Gegenwart erweisen sich als attraktiv für die Bühne. So sehr, dass die Tatsache, dass man sich etwa an zwei großen Institutionen in Berlin sowie in Stuttgart, Darmstadt etc. ebenfalls dem Stoff widmete, keinen Hinderungsgrund für die Stückwahl in Bregenz darstellte.
Abgesehen davon sicherte sich das Vorarlberger Landestheater durch die Kooperation mit TOBS, dem Theater Orchester Biel Solothurn, einen besonderen Zugang. Nach der letzten Zusammenarbeit bei "Kafka in Farbe", einem Projekt, das mit vielen performativen Elementen das heiter Schillernde in mehreren, gemeinhin als düster bezeichneten Texten von Franz Kafka hervorhob, war auch bei weniger Körpereinsatz eine Spielart zu erwarten, die sich aus Kästners Sprache speist.
Der Regisseur kann sich dabei zwar auf die Textbearbeitung von Gero Vierhuff stützen, dass im Wechsel von Dialogpassagen und Erzählungen eine Art von Melancholie und feiner Ironie wirken kann, ist aber eines der besonderen Verdienste von Max Merker. "Andere haben einen Beruf, heiraten, kriegen Kinder und glauben, darum geht's. Und ich sehe zu und verzweifle ratenweise", stellt Fabian fest. Nicht trotzig und nicht zu sinnierend streift der perfekt distanziert agierende Aaron Hitz auch die Nahverwandtschaft zu Hamlet: "Ich weiß nicht, ob ich zum Zuschauer bestimmt bin oder zum Akteur auf der Bühne des Lebens. Sein oder Nichtsein." Man kennt das tragische Ende dieses einst geächteten, berühmt gewordenen Romans, der den Untertitel "Der Gang vor die Hunde" trägt.
Als Werbetexter schlägt sich Dr. Jakob Fabian in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch. Er erkundet die Zustände. Etwa jene in den Bars, in denen Frauen befreit von bürgerlichen Konventionen ihre Selbstbestimmtheit offenbaren oder sich politisch äußern: "Der Staat unterstützt den Großbesitz, der Staat unterstützt die Schwerindustrie, der Fabrikant drückt die Löhne." Fabians Freund Stephan Labude will dort den Liebeskummer ertränken, was die Gesellschaft betrifft, hat er sich im Vergleich zu Fabian mehr Optimismus bewahrt: "Man kann die Macht im Interesse anderer verwenden." Möglichkeiten dazu erhält er nicht mehr. Seine Habilitationsschrift über Lessing wird zum Mist erklärt. Zu spät erweist es sich, dass dies ein Scherz war, Labude erschießt sich.
Die Symbolik braucht Merker nicht zu betonen. Das Thema der Schrift, ein möglicher Konkurrent, ein politisch Rechter, der hinter dem Scherz steckt - man weiß Bescheid. Kein großes Gesellschaftspanorama, kein lautes Aufeinandertreffen von Kommunisten und Nationalsozialisten, in der raschen Szenenfolge, die die drehbare Bühne von Damian Hitz hergibt, entfaltet sich ein breites Spektrum an Ansichten, Rebellion, Resignation, aber auch Durchsetzungskraft. Muss man sich halt dreckig machen, um aus dem Dreck rauszukommen, meint Fabians Freundin Cornelia und erträgt die Avancen eines Filmdirektors.
Johanna Köster, Maximilian Kraus und Milva Stark schlüpfen in unzählige Rollen, in denen kleine Gesten ein emotionales Spiel ersetzen. Mitunter ist es die weibliche Unverfrorenheit, mitunter ist es die so schön an der Hard-Rock-Band Kiss orientierte Musik von Gilbert Handler oder die Rasanz, die die bedrückende Stimmung aufheitert. Immer aber steht in dieser gut auf 90 Minuten eingedampften Handlung fest, dass die Regie der Vigilanz des Publikums vertraut. Hat man nicht immer, genießt man deshalb umso mehr.
(S E R VI C E - "Fabian" nach dem Roman von Erich Kästner. Mit Aaron Hitz, Johanna Köster, Maximilian Kraus, Milva Stark und Gilbert Handler. Inszenierung: Max Merker. Ausstattung: Damian Hitz. Weitere Aufführungen am 15. und 18. Oktober, am 29. und 31. Dezember sowie am 20., 22. und 23. Jänner 2024 am Vorarlberger Landestheater in Bregenz. https://landestheater.org/spielplan/detail/fabian/)
Zusammenfassung
- Die einen brauchen etwa ein Dutzend Akteure, um die Bühnenfassung des 1931 erschienenen Romans "Fabian" von Erich Kästner zu realisieren, am Vorarlberger Landestheater sind es nun vier und ein Musiker.
- Das Komprimieren von Handlung wie der Motive stieß beim Bregenzer Premierenpublikum am Freitagabend auf viel Zustimmung.
- Beunruhigendes und Humorvolles kam in dieser Kooperation mit dem Theater Orchester Biel Solothurn gleichermaßen zur Geltung.