Japan-Roman von Hans Platzgumer: "Großes Spiel"
Das zum Buch passende Album heißt "Taishô Romantica" und stammt von Hans Platzgumer und Carl Tokujiro Mirwald. Seinem in Tokio geborenen und aufgewachsenen und heute in München lebenden Freund verdanke er die intensive Begegnung mit der japanischen Taishô-Epoche (1912-1926), schreibt der Autor, benannt nach dem kränklichen Kaiser Yoshihito, der eine demokratische Öffnung der rigiden Traditionen und Strukturen seines Landes wollte, aber zu schwach war, diese auch durchzusetzen. "Alle Figuren, Orte, Daten, Gedichte sind historisch belegt", so Platzgumer über "Großes Spiel", "Die Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten."
Eine historische Tatsache ist auch das Kantô-Erdbeben auf der japanischen Hauptinsel Honshu, das Tokio am 1. September 1923 verwüstete und über 100.000 Tote forderte, wozu noch fast 40.000 Opfer der anschließenden verheerenden Großbrände kamen.
Dieses Erdbeben führt Platzgumer mit einem politischen Beben zusammen, denn das Chaos bot Armee und Geheimpolizei, die sich angesichts des schwachen Kaisers längst als wahre Hüter japanischer Werte begriffen, einen willkommenen Anlass, gegen Oppositionelle und Liberale mit brutaler Härte durchzugreifen.
Auf verschiedenen Zeitebenen, die bis zur neuerlichen Verwüstung Tokios durch amerikanische Bombenangriffe und die Atombombenabwürfe mit anschließender bedingungsloser Kapitulation Japans 1945 reichen, erzählt Platzgumer anhand dreier Männer, die einander in ihrem Innersten erstaunlich ähnlich waren, nur von der Geschichte an ganz andere Positionen gestellt wurden, von diesen Jahren, in denen in Japan buchstäblich alles auf dem Spiel stand. Neben dem Kaiser, der seine Zuwendung zum einfachen Volk nicht in eine Öffnung der Politik umsetzen konnte und zu einem weltabgewandten Palast-Einsiedler wurde, verfolgen wir in Etappen die Karriere von Hauptmann Amakasu, als Geheimpolizist den Regeln der japanischen Ordnung bis zur Selbstaufopferung ergeben, sowie den Lebensweg des Anarchisten Sakae Ôsugi und seine Frau Itô, die 1923 wenige Wochen nach dem Erdbeben in Polizeihaft ermordet werden.
Das "Große Spiel" endet für viele tödlich - und Japan, das alles zu opfern bereit war, um sich Veränderungen zu widersetzen, musste sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf rauchenden Trümmern neu erfinden.
Hans Platzgumer hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben, historischer Bildungsroman, Thriller und Psychogramm in einem. Ein gelungenes literarisches Konzeptalbum quasi, das als Bonustrack auch in die japanische Lyrik einführt - Todesgedichte inklusive. Wie jenes von Kaiser Yoshihito: "Der Herbstwind schlägt den Regen ans Fenster / Die Einsamkeit sickert in mich hinein / Der Winter naht."
(S E R V I C E - Hans Platzgumer: "Großes Spiel", Zsolnay Verlag, 336 Seiten, 26,80 Euro; Lesung am 7.9., 19 Uhr, in der Buchhandlung Thalia Wien Mitte)
Zusammenfassung
- Hans Platzgumer, geboren 1969 in Innsbruck, ist ein Grenzgänger zwischen den Genres und den Welten.
- Von der Musik wechselte er zur Literatur, ohne die Erstere je ganz aufzugeben.
- Seine Bücher überraschen stets aufs Neue, führen von der Popkultur in die Berge und von Österreich nach Libyen, Marseille oder Montreal.
- Das zum Buch passende Album heißt "Taishô Romantica" und stammt von Hans Platzgumer und Carl Tokujiro Mirwald.