James Holden zeigte beim donaufestival seine wilde Seite
"Wir lebten damals in meinem Studio, es gab kein Warmwasser, und mein Hund starb zu dieser Zeit", erinnerte sich Holden gegenüber der APA an die Entstehungsphase der neuen Stücke, die zwischen meditativen Skizzen, druckvollen Beatgerüsten und feingliedrigen Melodien oszillieren. Corona hat also auch beim so erfolgreichen DJ und Produzenten seine Spuren hinterlassen. Dennoch galt für ihn die Maxime: Nicht zu viel nachdenken. "Sonst bleibst du stecken oder verkrampfst. Ich wusste, dass ich Musik machen wollte, die wild und frei ist."
Wie wild die neuen Nummern tatsächlich sind, liegt wohl im Auge (oder Ohr) des Betrachters. Frei klingen die zwölf Stücke aber definitiv. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen wie persönlichen Niedergeschlagenheit suchte Holden jedenfalls den Weg ans Licht. "Es gab zwar keine Hoffnung. Aber ich war dankbar dafür, was ich bis zu diesem Punkt erreicht hatte. Also wollte ich etwas Positives machen." Und das ist ihm mit dieser vielfach tranceartigen, sehr psychedelischen Platte jedenfalls geglückt.
Wie aber findet er die richtige Balance zwischen Kontrolle und freifließender Energie? "Ich glaube tatsächlich, dass der bewusste Teil unseres Gehirns nicht so gut ist wie der Rest", schmunzelte Holden. "Natürlich gibt es im Aufnahmeprozess Dinge, die in bestimmten Bahnen ablaufen: das System zu bauen, gewisse Entscheidungen zu treffen und so weiter. Aber wenn es darum geht, einen Take aufzunehmen, ist es am besten, wenn dein Gehirn aus ist. Man muss vergessen, dass es um eine Aufnahme geht." Also Augen zu und durch. Für Holdens Musik immer ein guter Tipp.
Apropos Augen zu: Das galt am ersten Festivalwochenende auch für Harald Beharie, der nicht wenige Momente seiner ziemlich intensiven Performance "Batty Bwoy" mit geschlossenen Augen vollzog, dabei zu pulsierenden Progrocksounds stets haarscharf an seinem Publikum vorbeirasend. Der norwegisch-jamaikanische Tänzer, der für sein im Sommer auch beim Wiener ImPulsTanz-Festival zu sehendes Stück bis auf Schuhe und Knieschoner nackt agierte, beschäftigte sich in dieser Studie der körperlichen Ausdauer und Leidensfähigkeit mit Homophobie und queeren Stereotypen. Zwar war die eingangs gesetzte Speichelorgie einigen sichtlich zu viel, aber hier lohnte sich definitiv ein Durchhalten - und zwar auf beiden Seiten.
Nichts für schwache Nerven war auch Hüma Utkus Auftritt in der Minoritenkirche: Die aus Istanbul stammende Musikerin präsentierte ihr aktuelles Album "The Psychologist", das eine düstere Welt öffnete - klanglich wie in den beklemmenden, nicht selten an psychedelischen Horror erinnernden Visuals, die (wie vieles beim diesjährigen Festival) mit allerlei Natur- und Waldassoziationen aufzuwarten wussten. Schicht um Schicht türmte Utku ihre dröhnenden Untergangsszenarien, um sie dann mit großem Können und allerlei Effekten explodieren zu lassen. Der Mensch hat sich in dieser Dystopie längst selbst abgeschafft.
Zum Festivalthema "Beyond human" passte auch Eglé Budvytytès Videoarbeit "Songs from the Compost: Mutating bodies, Imploding stars". Die litauische Künstlerin hat eine Gruppe von Jugendlichen gefilmt, die in betonter Langsamkeit durch Wälder streifen oder an Küstengebieten im Wasser knien. Erst sukzessive kommt dabei in den Blick, dass ihre Körper mit diversen Irritationen versehen sind: Einmal scheinen sich Finger wie Äste zu verlängern, dann wiederum wuchern pilzartige Strukturen aus dem Rücken. Unterlegt mit elegischer Musik und Gesangstexten, die die Überwindung des menschlichen Körpers transportieren, wurde daraus ein ästhetisch zwar sehr ansprechender Ausflug in eine fremde Welt, der letztlich aber nur an der Oberfläche kratzte - trotz einiger recht mutiger Bilder.
Deutlich direkter agierte hingegen Oliver Ressler: Seine "Climate Feedback Loops", die in der Kunsthalle Krems zu sehen sind, entstanden im Rahmen eines Forschungsprojekts auf der Inselgruppe Svalbard. 23 Minuten lang wurde mittels zweier sich ergänzender, aber nie ganz im Einklang stehender Videos das "Hothouse Earth" an die Wand geworfen. Nie sei der CO2-Anstieg so schnell vorangeschritten wie jetzt, erfuhr man. Zu den "menschgemachten Höllenhunden", über die man las, gesellte sich ein Knacksen und Flirren, das die Stimmung weiter drückte. Sich gegenseitig befeuernde Kipppunkte, fehlende Klimagerechtigkeit und der Zusammenbruch des Netzwerks des Lebens - so idyllisch die Natur in den Aufnahmen auch anmutete, der Untergang wirkte unausweichlich.
In den Abgrund blicken und ein letztes Mal tanzen, das ging aber auch bei diesem donaufestival - und nicht zu knapp: So lockte etwa Yeule das Publikum in versöhnlichere 90er-Tage, mit zwischen Kitsch und Kante angesiedeltem Pop, der eigentlich nur einen Hauch vom großen Wurf entfernt ist. Jede Pose, jeder Ton lag über dem Erlaubten, und doch funktionierte diese Mixtur so blendend, dass sich jeglicher Nebel schnell verzog. Und der syrische Sänger Omar Souleyman ist in Krems ohnehin eine sichere Bank: Sonnenbrille auf, Discomodus an und ab in die Nacht. Immer wieder gern.
(S E R V I C E - www.donaufestival.at)
Zusammenfassung
- Wie wild die neuen Nummern tatsächlich sind, liegt wohl im Auge des Betrachters.