APA/APA/BURGTHEATER/MATTHIAS HORN

Hyperaktiver Horváth: "Kasimir und Karoline" am Burgtheater

Eine weitläufige Toilettenanlage im Untergeschoß in bleichen Grüntönen, darüber eine Tankstelle und die Einsatzzentrale von Rettung und Feuerwehr in sattem Orange. Nie käme man im Burgtheater von alleine auf den Gedanken, es handelte sich um das Bühnenbild zu Ödön von Horváths Volksstück "Kasimir und Karoline". Darauf kommt man auch während der 80-minütigen Inszenierung von Mateja Koležnik nur selten. Dennoch gab es bei der gestrigen Premiere lauten Jubel dafür.

In vielen Arbeiten hat die slowenische Regisseurin auch in Wien bereits gezeigt, wie ihr radikaler Zugriff auf Stücke unser Verständnis des Verhandelten schärfen kann. Diesmal greift sie radikal daneben. Auf gleich zwei Etagen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) herrscht Chaos im Schnelldurchlauf, statt des Nachhalls der Stille, in der die Figuren ihrem Gesprochenen nachhören, prägt der Hall der Sirenen den Abend, an dem die tristen sozialen Verhältnisse in Gewalt umschlagen. Wo Horváth die Humanität betonte, die unter bestimmten Begleitumständen nahezu gesetzmäßig verkümmert, stellt Koležnik die Bestialität aus.

Eigentlich spielt das Stück auf dem Münchner Oktoberfest Anfang der Dreißigerjahre. Arbeitslosigkeit raubt den Menschen Lebensgrundlage und Hoffnung, aus der Demütigung der Niederlage des Ersten Weltkriegs wächst gefährlicher neuer Nationalismus. Koležnik und ihr Ausstatterteam (Kostüm: Ana Savic-Gecan) siedelt die Handlung eher in den 70er-Jahren an, doch der Kern von Horváths Gesellschaftsanalyse wäre heute so gültig wie damals: Die Gefühle echter oder vermeintlicher Zurücksetzung artikulieren sich in angelesenen und übernommenen Phrasen, die, weil sie nie so recht zutreffen, Leerstellen erzeugen, in denen sich Abgründe auftun. Diese Leere wird von Koležnik in jeder Sekunde hektisch gefüllt. Das raubt Horváth all' seine poetische Sprengkraft.

Einerseits strafft und kürzt die Regisseurin und lässt die Parade der Abnormitäten, die in nahezu allen "Kasimir und Karoline"-Inszenierungen Fremdkörper bleibt, bis auf rudimentäre Reste weg, andererseits reichert sie Szenen mit Texten an, die Fremden- und Judenhass und Entmenschlichung noch stärker betonen. Auch wortlos spitzt sie zu: Der Merkl Franz (Christoph Luser) greift seiner Erna (Mavie Hörbiger) nicht nur ins Bier, er vergewaltigt sie auch - am Klo, wo man zusehen kann, wie Schminke, Kleider und Contenance zusehends verloren gehen. Der Alkohol enthemmt, und gegen Ende der atemlosen Inszenierung müssen fast alle auf der Bühne ziemlich torkeln und lallen. Das Textverständnis ist in der schwierigen Akustik der Bühne da schon lange verloren gegangen.

Felix Rech und Marie-Luise Stockinger sind das titelgebende Paar, das ausgerechnet an dem Abend, an dem der Chauffeur Kasimir arbeitslos wird, auseinandertreibt. Reste dessen, was die Kulmination aus Missverständnissen, verletztem Stolz und Trotz zu einer tragischen Mischung macht, die "Kasimir und Karoline" im Idealfall ohne Kitsch zu Herzen gehen lässt, finden sich in ihrem intensivem Spiel, das freilich in der von Koležnik entfalteten Hyperaktivität unterzugehen droht. Ein Blasorchester und tanzende und grölende Statisten werden aufgeboten, um die Stimmung weit über den Kipppunkt hinaus zu treiben.

Jonas Hackmann als zunächst sympathischer, letztlich aber doch nur berechnender Krisengewinnler Schürzinger, Markus Hering und Markus Meyer als Karikaturen geiler, reicher, alter Männer, Maresi Riegner und Lili Winderlich als leichtlebige, durstige und lebenshungrige junge Mädchen tauchen in diesem Treiben auf und unter, ohne wirklich bleibende und differenzierte Eindrücke zu hinterlassen. Die Spritztour im Kabriolett, die der besoffene Herr Kommerzienrat verspricht, endet nach kaum einem Meter an einer Metallbrüstung, in endlosem Hupen und einem Schreikrampf Karolines. Eine lächerliche Szene. Das Auto ist heil geblieben. Das Stück leider nicht.

(S E R V I C E - "Kasimir und Karoline" von Ödön von Horváth, Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Ana Savic-Gecan, Sounddesign: Christoph Mateka, Komposition: Michael Gumpinger, Mit: Elisabeth Augustin, Sophie Aujesky, Olivier Blau, Christoph Griesser, Jonas Hackmann, Markus Hering, Mavie Hörbiger, Christoph Luser, Markus Meyer, Felix Rech, Maresi Riegner, Marie-Luise Stockinger, Stefan Wieland, Lili Winderlich u. a.; Burgtheater. Nächste Vorstellungen am 28. März sowie am 4., 6. und 15. April. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Eine weitläufige Toilettenanlage im Untergeschoß in bleichen Grüntönen, darüber eine Tankstelle und die Einsatzzentrale von Rettung und Feuerwehr in sattem Orange.
  • Nie käme man im Burgtheater von alleine auf den Gedanken, es handelte sich um das Bühnenbild zu Ödön von Horváths Volksstück "Kasimir und Karoline".
  • Darauf kommt man auch während der 80-minütigen Inszenierung von Mateja Koležnik nur selten.
  • Das Stück leider nicht.