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Hochspannung vor der Verleihung der Goldenen Berlinale-Bären

Nach Sichtung der Wettbewerbsbeiträge der diesjährigen Berliner Filmfestspiele ist die Vorhersage von Bären-Kandidaten wie immer schwer. Nicht, dass so viele großartige Filme gezeigt worden wären, man hat im Gegenteil den Eindruck, dass die besten Filme in anderen Kategorien und nicht im Wettbewerb zu finden waren. Die Bewertung ist aber subjektiv, und schließlich hängt die Entscheidung vom Geschmack der Jury ab.

Immerhin war es diesmal ein sehr buntes Programm: Vom asiatischen Animationsmärchen zum australischen Western, von der französischen Dokumentation zur mexikanischen Familiengeschichte gab es 2023 eine große Bandbreite unter den 19 Bewerbern. Gute Aussichten auf einen Bären hat wohl Christian Petzolds Geschichte von vier jungen Leuten im Sommerhaus an der Ostsee und der drohenden Waldbrandgefahr in "Roter Himmel": Ein rundum solide gemachter Streifen mit überzeugenden Schauspielerleistungen, darunter der Wiener Thomas Schubert.

Dasselbe trifft auf den mexikanischen Beitrag "Tótem" zu, der die Geburtstagsfeier eines jungen todkranken Vaters zum Thema hat. Eine besondere Leistung kommt hier Naíma Sentíes, der Darstellerin der kleinen Tochter, zu. Und auch in "20.000 Especies de Abajas" fällt das Spiel der kleinen Hauptdarstellerin Sofía Otero auf: Der handwerklich souverän gedrehte Film und das Thema der kindlichen Suche nach der eigenen Geschlechtszuordnung zeichnen ihn aus. Da aber im vorigen Jahr ein spanischer Film den Goldenen Bären erhalten hat, ist nicht anzunehmen, dass dies auch dieses Jahr passieren wird.

Bilder, die noch lange im Kopf bleiben, stammen von der australischen Produktion "Das Überleben der Freundlichkeit": Es herrscht eine nicht weiter definierte brutale Macht, deren Repräsentanten durch das Tragen von Gasmasken gekennzeichnet sind. Sie setzen eine schwarze Frau in einem Käfig in der Wüste aus, doch gelingt es ihr, sich daraus zu befreien. Auf ihrem Weg zurück in die Stadt begegnet sie Gräbern, Hingerichteten, Ruinen. Was den Film auszeichnet, ist eine unverständliche Kunstsprache, in der die spärlichen Dialoge gehalten sind. Somit spricht das Werk nur über die Bilder zum Publikum. Sowohl Hauptdarstellerin Mwajemi Hussein mit ihrem stillen gütigen Blick wie auch die Kamera kämen für Preise in Frage.

Beeindruckend auch der ebenfalls australische, wie ein Western gefilmte Streifen "Limbo" in Schwarz-Weiß. Der Fall einer vor 20 Jahren ermordeten Aborigines-Frau wird wiederaufgerollt, ein Polizist nimmt die Ermittlung auf. Auch dieser Film ist wortkarg, und der drogenabhängige Polizist dadurch überaus cool. Der deutsche Film "Bis ans Ende der Nacht" von Christoph Hochhäusler hat ebenfalls einen drogenabhängigen Polizisten zur Hauptfigur. Er arbeitet als versteckter Ermittler und verstrickt sich durch seine Beziehung zur Transfrau Leni zwischen Gut und Böse. Die Grenzen verschwimmen, auch die des Vertrauens zueinander, und zuletzt steht die Frage: Wer spielt hier wem was vor?

Besonders berührend erwies sich eine französische Dokumentation: "Sur l'Adamant" porträtiert Menschen mit psychischen Problemen, die in einer Tagesklinik auf einem Schiff nahe von Paris betreut werden. Erstaunlich, welch kreatives Potenzial die Menschen umsetzen, sei es beim Malen oder beim Vortrag eigener Chansons. Eventuell ein Kandidat für den Drehbuchpreis.

Ein gut gemachter Film, wie so einige andere dieser Berlinale, die im respektablen Mittelfeld anzusiedeln sind: "Blackberry" aus Kanada, der Aufstieg und Fall einer Handyidee nachzeichnet, "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" von Emily Atef über eine sexuell heißhungrige Sommerliebe, die tragisch enden muss, in manchen Szenen aber etwas dick aufgetragen wirkt.

"Le Grand Chariot" von Philippe Garrel ist eine warmherzige Verbeugung aus Frankreich vor dem Metier des Puppenspiels, "Manodrome" ein US-Streifen über einen zornigen jungen Mann, der sich durch Eintritt in einen frauenfeindlichen Männerbund zusätzlich radikalisiert. Ebenfalls aus den USA kommt die bittersüße Liebesgeschichte "Past Lives" eines koreanischen Paares, das seit der Schulzeit weiß, dass es füreinander bestimmt ist, aber durch das Schicksal über Jahrzehnte getrennt wurde.

"Der schattenlose Turm" aus China stellt einen Mann auf der Suche nach seinem Vater in den Mittelpunkt, der nebenbei den Avancen einer jüngeren Kollegin zu widerstehen hat. Im österreichisch-koproduzierten Beitrag "Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste" von Margarethe von Trotta geht es um die Beziehung der Dichterin zu Max Frisch, was aber etwas sperrig präsentiert wird. Kaum allzu nahe geht die Geschichte eines Fremdenlegionärs (Franz Rogowski) in dem Film "Disco Boy", wo viel angerissen, aber nicht zu Ende erzählt wird.

Auch zwei Animationsfilme haben es in den Wettbewerb geschafft, die aber kaum bärenverdächtig sind: "Art College 1994" erzählt von Studenten an der Kunsthochschule, immer wieder unterfüttert von kulturtheoretischen Überlegungen der Jungen, ob man konservativ arbeiten oder sich der Moderne anschließen soll. Ganz anders "Suzume" aus Japan mit einer gar zu fantastischen Geschichte: Ein Schulmädchen begegnet einem geheimnisvollen jungen Mann, der als "Schließer" in ganz Japan Öffnungen verrammeln soll, damit nicht ein riesiger Wurm aus dem Erdinneren entkommt, der durch Erdbeben Verwüstungen anrichtet. Dabei wird der Mann selbst in einen Kinderstuhl mit drei Beinen verwandelt.

Schließlich gibt es noch jene Filme, bei denen schon bald der Blick auf die Uhr fällt: Im portugiesischen Streifen "Mal Viver" betreibt eine Familie aus fünf Frauen ein Hotel, die sich permanent angiften, der mangelnde Betrieb im Hotel sich aber bald als quälende Langeweile auf das Publikum überträgt. Und beim deutsch-französisch-griechischen Streifen "Music" soll es um eine heutige Darstellung des Ödipus-Mythos gehen, doch sucht man vergebens, auch nach einer schlüssigen Handlung.

Somit bleibt das Ende dieses Wettbewerbs wie immer spannend, doch ließen sich einige Parallelen in den Filmen ausmachen: In fast jedem von ihnen geht es ums nicht oder zu wenig vorhandene Geld, was das weitere Geschehen beeinflusst. Und in auffallend vielen Filmen dieses Wettbewerbs entladen sich Gewitter. Vielleicht ein Ausdruck der aktuellen Befindlichkeit unserer Gesellschaft?

(S E R V I C E - www.berlinale.de)

ribbon Zusammenfassung
  • Nicht, dass so viele großartige Filme gezeigt worden wären, man hat im Gegenteil den Eindruck, dass die besten Filme in anderen Kategorien und nicht im Wettbewerb zu finden waren.
  • Da aber im vorigen Jahr ein spanischer Film den Goldenen Bären erhalten hat, ist nicht anzunehmen, dass dies auch dieses Jahr passieren wird.
  • Beeindruckend auch der ebenfalls australische, wie ein Western gefilmte Streifen "Limbo" in Schwarz-Weiß.