"hildensaga": "Nibelungen"-Neudeutung im Akademietheater
Wenn Julia Windischbauer als Brünhild über Leichenbergen ihren Schlussmonolog spricht, bedauert man aufrichtig, dass nicht mehr drinnen war. Denn der oberösterreichische Dramatiker hat in seinem 2020 uraufgeführten Auftragsstück der Wormser Festspiele aus der Helden- eine Hildensaga gemacht, ein "Königinnendrama", bei dem drei Nornen in die Geschehnisse eingreifen und weibliche Solidarität zwischen den beiden Königinnen Brünhild und Kriemhild zu stiften versuchen. Woran es dann schlussendlich doch scheitert, ist in der Österreichischen Erstaufführung durch Jan Bosse, die am Freitag ihre umjubelte Premiere feierte, schwer auszumachen. Eines lässt sich jedoch konstatieren: Man langweilt sich keine Sekunde.
Bosse setzt auf Comic und Komik und legt schon in der grellen Ausstattung von Stéphane Laimé (Bühne) und Kathrin Plath (Kostüme) Wert auf Effekte: Island, wo die schier unbesiegbare Brünhild wie Hans Christian Andersens Schneekönigin herrscht, liegt unter einer dicken Schaumdecke, die drei in orangene Schlauchkleider gehüllte Nornen (Zeynep Buyrac, Elisa Plüss und Nina Siewert) haben bei ihrer Webarbeit mit Schicksalsfäden offenbar vor allem Plastikvorhänge geschaffen, in denen sich die Menschen leicht verheddern.
Die Männer, die hier herumirren, um ihre Mission zu erfüllen, werden von der Regie genussvoll der Lächerlichkeit preisgegeben. Nils Strunk ist als Siegfried kein Superheld, sondern ein selbstverliebter Barde, dessen Talent eindeutig nicht im Gitarrespiel liegt, der aber aus seinen Kräften, mit denen er als Einziger gegen Brünhild bestehen kann, kein großes Gewese macht. Dietmar König ist als metrosexueller Burgunderkönig Gunther ein burgunderfarben gekleideter Jammerlappen ("Fass mich nicht an!"), der von seiner Gattin in der Hochzeitsnacht mühelos an den Wandhaken gehängt wird. Tim Werths und Gunther Eckes sind als seine Brüder Gernot und Giselher für jede Menge Einlagen als Komiker-Duo zu gebrauchen. Nur Rainer Galkes Hagen kennt keinen Spaß und ist ein gefährlicher Strippenzieher mit tödlicher Konsequenz. Den Vogel schießt jedoch Oliver Nägele ab, der als Wotan seine liebe Not mit Töchterchen Brünhild hat und als Kammerzofe für die blitzschnelle Verbreitung von Gunthers Hochzeitsnacht-Debakel sorgt.
Julia Windischbauer, die an diesem Abend ihr Debüt als Ensemblemitglied des Burgtheaters feiert, und Katharina Lorenz sind die beiden Hilden, um die sich diese tragikomische Männerwelt dreht. Windischbauer muss als Brünhilde keine Muskeln spielen lassen, sondern hält die Männer mit bloßem Selbstbewusstsein in Schach - wie überhaupt Körperlichkeit meist bloß angedeutet oder stilisiert wird. Gut so, denn immerhin geht es weniger um Verführung als um Vergewaltigung, und dabei noch dazu um eine mit dem ganzen Wormser Hof als Mitwisser, wie die verschleppte und gedemütigte Königin in einer großen Anklagerede deutlich macht. Katharina Lorenz als Kriemhild ist bereit, ihr beizustehen, doch die Preisgabe von Drachentöter Siegfrieds einziger verwundbarer Stelle löst bloß ein Gemetzel aus, das den Frauen keinen Gewinn bringt.
Dass Ferdinand Schmalz seinen in das Schicksal eingreifenden Nornen nicht mehr Erfolgsaussichten zugestanden hat, enttäuscht ein wenig. Der Bachmann-Preisträger wurde am Ende dennoch gefeiert. Seine eigene Karriere braucht Schmalz jedenfalls nicht umzuschreiben. Die läuft ganz gut. Um nicht zu sagen: beinahe wie geschmiert.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "hildensaga. ein königinnendrama" von Ferdinand Schmalz. Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath. Mit Julia Windischbauer, Katharina Lorenz, Zeynep Buyrac, Elisa Plüss, Nina Siewert, Oliver Nägele, Nils Strunk, Dietmar König, Rainer Galke, Tim Werths und Gunther Eckes. Akademietheater. Nächste Termine: 20., 25. und 30. Dezember. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- "dort draußen lauern wölfische zeiten", warnt Brünhild am Ende, und zweifellos hat sie recht damit. Ob es anders kommen hätte können mit der Menschheit oder zumindest mit der Nibelungensage, davon haben die vergangenen drei Stunden der "hildensaga" von Ferdinand Schmalz im Akademietheater gehandelt. Doch allen Versuchen, die Geschichte umzuschreiben, zum Trotz, heißt die Erkenntnis nur: It's a man's world. Und die besteht aus Unterdrückung, Mord und Totschlag.