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Guggenheim Bilbao ehrt Kokoschka als "Rebell aus Wien"

Er wollte sich nicht anpassen, keiner Kunstbewegung angehören, erfand sich immer wieder neu. Die Radikalität seiner Werke machte ihn zum Enfant terrible der Wiener Kunstszene. Sie nannten ihn den "Oberwildling". Und wohl gerade deshalb wurde Oskar Kokoschka (1886-1980) zu einem der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts. Das Guggenheim Museum Bilbao feiert ab heute, Freitag, nun sein revolutionäres, teils hochpolitisches und vor allem originelles Werk.

Unter dem Titel "Oskar Kokoschka: Ein Rebell aus Wien" sind 120 Werke in einer groß angelegten Retrospektive in Spanien zu sehen. Es sind Werke, die gerade heute im Kontext des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kaum aktueller und wichtiger sein könnten. In vielen Arbeiten Kokoschkas geht es um den Kriegshorror, das Streben nach Menschlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit und Anti-Faschismus", erklärte der österreichische Kunsthistoriker und Kurator der Guggenheim-Ausstellung, Dieter Buchhart, in Gespräch mit der APA.

So setzten Buchhart und Ko-Kuratorin Anna Karina Hofbauer im Gegensatz zum Pariser Musée d'Art Moderne, wo die Retrospektive zuvor zu sehen war, in Bilbao bewusst mit Blick auf den Ukraine-Krieg einen noch größeren Schwerpunkt auf Kokoschkas politischen Werke. Kokoschka, der selbst im Ersten Weltkrieg als Soldat kämpfte und erst in der Ukraine und danach in der Slowakei schwer verletzt wurde, beschäftigt sich mit dem Horror und der Sinnlosigkeit des Kriegs in zahlreichen Bleistiftzeichnungen von der Front wie in "Plündernde Soldaten" und "Kriegsszenen", beide aus dem Jahre 1917, oder aus dem "Laufgraben von der Isonzo-Front" (1916). Er überlebte einen Genickschuss und einen Bajonettstich und erinnert daran in seinem beeindruckendem "Selbstbildnis" von 1917.

Kokoschka benutzte seine Kunst immer wieder für politische Statements, für seinen politischen Aktivismus. Das zeigen vor allem auch seine politischen Bilder aus den 1940er Jahren gegen die Nationalsozialisten. Man betrachtet die Bilder im Zuge des derzeitigen Ukrainekriegs vor den Toren der Europäischen Union vielleicht noch intensiver, noch beunruhigter als zuvor.

"Hilfe für die baskischen Kinder!" heißt eine Werkreihe aus dem Jahr 1937, die auf die Bombardierung der baskischen Ortschaft Guernica in der Nähe Bilbaos anspielt, für die auch Pablo Picasso bereits das gleichnamige und wohl bekannteste Antikriegsbild aller Zeiten malte. Nicht weniger konkret ist die Botschaft bei Kokoschkas Gemälde "Anschluss - Alice im Wunderland", das er 1942 aus seinem Londoner Exil als Kritik an der zögerlichen Haltung der Alliierten gegenüber der aggressiven Kriegs- und Annektierungspolitik Hitlers nach dem "Anschluss" Österreichs anfertigte.

Auf dem Gemälde, das das Wiener Leopold Museum dem Guggenheim Bilbao für die Retrospektive lieh, sind drei Figuren mit englischen, deutschen und französischen Stahlhelmen zu sehen, die die Gesten der drei chinesischen Affen nachahmen: Nicht-Hören, Nicht-Sehen, Nicht-Sprechen. Daneben sitzt eine Frau mit einem Baby auf dem Arm, das eine Gasmaske trägt. Im Hintergrund brennt Wien. Unweigerlich überlegt man, ob die NATO, die Europäische Union und gerade Österreich vielleicht wieder denselben Fehler begehen, zu zögerlich sind, die Ukraine zu unterstützen.

Geschichte wiederholt sich. Das zeigt mit Blick auf die Ukraine auch jenes Gemälde aus 1968, das Kokoschka nur zwei Tage nach der Invasion der russischen Panzer in der Tschechoslowakei malte. Damals beendeten die russischen Truppen des Warschauer Paktes dem "Prager Frühling" ein schnelles Ende. Auch damals ging es um nationale Identität, die mit dem Ziel des großrussischen Reichs gewaltsam unterworfen wurde.

Die noch bis zum 3. September laufende Kokoschka-Retrospektive zeichnet aber alle sieben Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens ab und begrenzt sich nicht nur auf seine politischen Werke. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Das macht Sinn, vor allem bei Kokoschka, dessen bewegendes Werk und nahezu filmreifes Leben hervorragend die Geistesströmungen und Wirren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegeln.

Berühmt ist er heute vor allem wegen seines porträt-lastigen Frühwerks. Kokoschka sei ein "Seelenaufschlitzer" gewesen, meinte der österreichische Schriftsteller Albert Ehrenstein. Der berühmte Wiener Architekt Adolf Loos versicherte, Kokoschka könne "hinter die Fassade" seiner Modelle blicken und ihr "inneres Gesicht" sehen.

Ehrenstein und Loos waren Freunde Kokoschkas. Ihre Kommentare waren als verehrende Komplimente gedacht. Doch seine radikal andere Art von Porträts kamen gerade bei den Auftraggebern nicht immer gut an. Kokoschka malte sie mit verkrampften Händen, hervorstehenden Knochen, tiefliegenden Augen, blasser Haut und groben Falten. Er stellte die Personen nicht verschönt oder nur äußerlich dar, sondern versuchte in seinen Porträts ihre Seelen, Seelenzustände, ihren Charakter mit all ihren Widersprüchen, Zweifeln oder Eitelkeiten einzufangen.

Mit seinen groben Pinselstrichen kehrte der Mitbegründer des österreichischen Expressionismus das Innere seiner Modelle nach außen. Das fanden die Auftraggeber nicht schön, die Wiener Kunstwelt war begeistert. Kokoschka hatte schon früh Erfolg in Wien, wo er von den Superstars der damaligen Kunst- und Architekturszene Gustav Klimt und Adolf Loos gefördert wurde. Er war gerade einmal 22 Jahre alt und inspirierte mit der Intensität und Radikalität seiner Porträtmalerei bereits eine gesamte Generation nicht viel jüngerer Künstler wie Egon Schiele.

"Kokoschka beeinflusste selbst noch Künstler von Georg Baselitz über David Lynch bis hin zu Woody Allen. Er war der wohl radikalste und rebellischste österreichische Künstler des 20. Jahrhunderts. In seiner Unmittelbarkeit und seiner neuartigen Malweise mit Fingern und Händen, gab er ganz neue Maßstäbe vor", erklärt Kurator Dieter Buchhart.

Nach seinen Jahren als Enfant terrible in Wien (1907-1916) zog es Kokoschka nach dem Ersten Weltkrieg und seiner traumatischen Trennung seiner großen Liebe Alma Mahler, von der in Bilbao zahlreiche Porträts zu sehen sind, nach Dresden. Danach begann bis 1934 ein nahezu nomadisches Leben, das ihn durch Europa, Nordafrika und den Nahen Osten führte.

Zwischen 1934 und 1938 flog er vor den Nazi nach Prag und nach der Einnahme Prags durch die Deutschen bis 1946 ins Exil nach England. Seine Kunst war von den Nazi als "entartet" verboten und beschlagnahmt worden. Kokoschkas Antwort: Ein "Selbstbildnis eines entarteten Künstlers" (1937). In dieser Zeit entstanden zahlreiche anti-faschistische Werke wie "Anschluss - Alice im Wunderland".

Der letzte thematische Abschnitt der chronologischen Retrospektive beleuchtet Kokoschkas Werk als "europäischen Künstler in der Schweiz" zwischen 1946 und 1980 bis zu seinem Tod am Genfer See. Eine Zeit, in der er sich in seinem Werk thematisch als großer Verfechter der Demokratie und der Vereinigung Europas verschrieb. In diesem europäischen Sinne gründete Kokoschka 1953 auch die Salzburger "Schule des Sehens". Kokoschka wird auch als Verfechter der figurativen Malerei und als Gegner zur abstrakten Moderne gezeigt, die von den USA ausging und in den 1940er und 1950er Jahren den Alleinanspruch auf die Avantgarde erhob. Kokoschka war ein künstlerischer "Rebell aus Wien" - auf allen Ebenen und zu allen Momenten seines Lebens. Das macht diese großartige Retrospektive eindrucksvoll deutlich.

(S E R V I C E - www.guggenheim-bilbao.eus/en/exhibitions/oskar-kokoschka-a-rebel-from-vienna)

ribbon Zusammenfassung
  • Unter dem Titel "Oskar Kokoschka: Ein Rebell aus Wien" sind 120 Werke in einer groß angelegten Retrospektive in Spanien zu sehen.
  • Im Hintergrund brennt Wien.
  • In dieser Zeit entstanden zahlreiche anti-faschistische Werke wie "Anschluss - Alice im Wunderland".
  • Der letzte thematische Abschnitt der chronologischen Retrospektive beleuchtet Kokoschkas Werk als "europäischen Künstler in der Schweiz" zwischen 1946 und 1980 bis zu seinem Tod am Genfer See.