Große KHM-Herbstschau ergründet "Tizians Frauenbild"
Besucherinnen und Besuchern dürften die Bildnisse Tizians (um 1488-1576) nicht ganz neu sein, verfügt das KHM doch in seiner Gemäldegalerie über einen reichen Bestand seiner Werke - allerdings: "Das Frauenbild, das er neu geschaffen hat, ist es wert, die grandiosen Bilder unter diesem Aspekt noch einmal zu betrachten", betonte Haag bei der Ausstellungspräsentation. Außerdem wurden die eigenen Schätze um Leihgaben etwa aus dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Pariser Louvre, dem Prado in Madrid oder den Gallerie dell'Accademia in Venedig. Die Stärke der Ausstellung bestehe somit "in einer noch nie da gewesenen Verdichtung des Frauenbilds aus der Zeit Tizians".
Gestaltet hat diese rund um die Themen Schönheit, Liebe und Poesie kreisende Schau ein Kuratorinnentrio rund um Sylvia Ferino. Warum haben Tizian und seine Zeitgenossen - beispielsweise Palma il Vecchio, Lorenzo Lotto, Paris Bordone, Jacopo Tintoretto und Paolo Veronese - die Weiblichkeit so idealisiert? Das lag vor allem an der zunehmenden Bedeutung der Frau und der Liebe in der damaligen Literatur. "Das brachte die Maler dazu, mit den Poeten in einen Wettbewerb zu treten, weil sie meinten, sie könnten das Bild einer schönen Frau viel besser durch den Pinsel als durch das Wort vermitteln", erklärte Ferino.
Im Zentrum der Ausstellung stehen die sogenannten "Belle Veneziane" - Halbfigurenbilder, die mit dem Betrachter Blickkontakt herstellen. Oftmals zeigen sie eine entblößte Brust oder spielen mit ihrem Haar. "Dieser laszive Touch" führte lange Zeit zur Mutmaßung, dass es sich um Kurtisanen oder Prostituierte handeln müsse, so Ferino. Nach aktuellem Forschungsstand symbolisiert die Körpersprache und Gestik allerdings vielmehr die Beteuerung von Treue oder die "Öffnung des Herzens für den künftigen Ehepartner, mit der die Braut in die Heirat einwilligt". Überhaupt fokussiert das Kuratorinnenteam sehr auf Details der Bilder und interpretiert modische Facetten, Haartracht und Schmuck der dargestellten Figuren.
Klassische Porträts finden sich in der Ausstellung kaum. Sie wurden kaum angefertigt, da es aufgrund des oligarchischen Regierungssystems keinen Bedarf nach ausgeprägtem Personenkult gegeben habe, wurde erklärt.
Abseits der "Belle Veneziane" trachtet die KHM-Herbstausstellung nach Facettenreichtum. Die Darstellung von Liebe und Begehren wird auch in allegorischen und mythologischen Bilderzyklen - letztere wurden von Tizian selbst als "Poesien" bezeichnet - vermittelt. Die gezeigte äußere Schönheit der Frau wollte oftmals auch auf eine moralische Makellosigkeit verweisen.
Nicht zuletzt befasst sich die Schau mit der Wechselwirkung zwischen der erhöhten Aufmerksamkeit durch Maler, Humanisten und Poeten und den realen Lebensbedingungen der Frauen Venedigs im 16. Jahrhundert. Schriftstellerinnen dieser Zeit - ja, auch die gab es - forderten in ihren Schriften größere Anerkennung und besseren Zugang zu höherer Bildung für ihre Zeitgenossinnen.
Kuratorin Ferino fasste die Botschaft der Ausstellung so zusammen: "Schönheit, Liebe, Poesie sind keine Begriffe der Vergangenheit, sondern ein Bestand des täglichen Lebens. Gerade in einer Zeit von Klimawandel, Emigrationsdramen und frauenfeindlichen Regierungen sollten wir sie vielmehr zulassen."
Wer selbiges im KHM tun möchte, muss sich nicht nur an die geltenden Coronabestimmungen halten, sondern - wie schon bei vorhergehenden publikumsstarken Ausstellungen - auch einen Timeslot für seinen bzw. ihren Besuch buchen. Zu sehen ist "Tizians Frauenbild" bis 16. Jänner.
(S E R V I C E - "Tizians Frauenbild. Schönheit - Liebe - Poesie" ab 5. Oktober und bis 16. Jänner 2022 im Kunsthistorischen Museum Wien; Ausstellungskatalog 39,90 Euro; https://tiziansfrauenbild.khm.at/)
Zusammenfassung
- "Der Herbst wird weiblich": Dieses Motto gab Generaldirektorin Sabine Haag am Freitag mit Blick auf die große Herbstausstellung des Kunsthistorischen Museums aus.
- Das KHM widmet sich nämlich ab kommenden Dienstag "Tizians Frauenbild".
- Die Stärke der Ausstellung bestehe somit "in einer noch nie da gewesenen Verdichtung des Frauenbilds aus der Zeit Tizians".
- Abseits der "Belle Veneziane" trachtet die KHM-Herbstausstellung nach Facettenreichtum.