Grazer TiB beschwört den Geist des Kommunismus
Die Idee zu dem Stück kam dem Team - es wurde im Kollektiv erarbeitet - durch ein tatsächlich stattgefundenes Telefonat eines Ensemblemitglieds mit zwei Ostdeutschen, in dem es um die damals neu gewählte Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr und damit verbundene, teils kruden Vorstellungen über eine kommunistisch gestaltete Stadtpolitik ging. Als zweiter Ausgangspunkt diente der Sachbuch-Bestseller "Gekränkte Freiheit" des Autorenduos Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, das die Affinität von autoritären Kräften und Freiheit forderndem Individualismus auslotet.
Unter demselben Titel bespielt das Theater im Bahnhof nun erstmals sein in den vergangenen Monaten räumlich großzügig umgestaltetes "Quartier" in der Elisabethinergasse. Die neue Raumsituation wird dabei gleich weidlich ausgenützt. In einer Art Installationendrama agieren die acht Darstellerinnen und Darsteller an drei verschiedenen Orten. Dem Publikum wird lediglich am Anfang ein Raum zugewiesen, danach ist es frei, sich zwischen den Spielorten zu bewegen. Auch die - unorthodox uniformierten - Darsteller wandern im Kreis und schlüpfen dabei abwechselnd in unterschiedliche Rollen.
In einem Saal wird jenes Idee stiftende Telefonat mit den Freunden aus Ostdeutschland mithilfe eines einstündigen Videos nachgestellt. Hier geht es erwartungsgemäß um diverse Vorurteile und Ängste, die sowohl außerhalb der Stadt als auch nach wie vor in der Grazer Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Kommunismus herrschen. Hier wird eine karikaturistische Utopie einer Stadt mit verstaatlichten Bürgerbezirken, Kolchosenmärkten und gesteuertem Kulturbetrieb entworfen, hier wird der Geist des Kommunismus heraufbeschworen, der in Gestalt der leibhaftigen Bürgermeisterin kettenrauchend erscheint.
Im nächsten Raum handelt die jeweils auftretende Figur die Inhalte des Amlinger/Nachtwey-Buches ab. Textlich fein recherchiert und eindeutig im Grazer Soziotop verortet, geht es hier um die Frage der Besitz fordernden Freiheit und das Inkaufnehmen äußerer, autoritärer Zwänge. Glückskekse spielen eine ganz eigene Rolle. Im "Raum 1", dem in frischem Hellgrau neu erstrahlenden, bisher einzigen Bühnenraum des TiB, geht es hingegen musikalisch zu. In einer Art Gästeshow gibt die einzige stationäre Darstellerin - hier ist aufgrund des uniform weiblichen Erscheinungsbildes des Ensembles ausschließlich die weibliche Form angebracht - unterschiedlichste Songs zum besten, nicht alle davon Arbeiterlieder.
Insgesamt wurden Stunden an Nettospielzeit erarbeitet. Den Zuschauern ist es daher bei einem Besuch nicht möglich, das Stück in seinem gesamten Umfang zu sehen. Da sich einzelne Passagen auch wiederholen, ist es eine Frage des Glücks und des Instinktes der einzelnen Besucherin oder des Besuchers, wie viel von dem Stück sie zu sehen bekommen. Bei einem allfälligen zweiten Besuch bietet das Theater 50 Prozent Ermäßigung an. Dem Applaus des Premierenpublikums nach zu schließen, dürften einige in Erwägung ziehen, dieses Angebot anzunehmen.
(S E R V I C E - "Meine Gekränkte Freiheit - Als mir meine kommunistische Bürgermeisterin erschienen ist", von und mit Jacob Banigan, Juliette Eröd, Gabriela Hiti, Lorenz Kabas, Monika Klengel, Rupert Lehofer, Johnny Mhanna, Martina Zinner, Regie: Helmut Köpping. Weitere Termine: 27., 28. und 29. April, 4., 5., 6., 11., 12., 26. und 27. Mai sowie 2. und 3. Juni, jeweils 20:00 Uhr. QUARTIER Theater im Bahnhof, Elisabethinergasse 27a, 8020 Graz; www.theater-im-bahnhof.com)
Zusammenfassung
- Rund um diese weltweit seit mehr als einem Jahr immer wieder gestellte Frage hat das Grazer Theater im Bahnhof (TiB) ein gut zweistündiges Theatererlebnis geschaffen, in dem es buchstäblich rund geht.
- Mit "Meine gekränkte Freiheit - Als mir meine kommunistische Bürgermeisterin erschienen ist" hat das TiB am Freitag seine Spielsaison eröffnet.
- QUARTIER Theater im Bahnhof, Elisabethinergasse 27a, 8020 Graz; www.theater-im-bahnhof.com)