Grazer Schauspiel-Chefin Vilter startet mit Trauerspiel
APA: Frau Vilter, Sie sind nun seit einiger Zeit in Graz, wie ist Ihr bisheriger Eindruck von der Stadt und von ihrer Kulturszene?
Vilter: Das ist eine interessante Differenzierung (lacht). Ich pendle jetzt schon seit zwei Jahren, konnte aber die Stadt noch nicht so richtig erkunden. Die letzten zwei Wochen habe ich jetzt Graz so im Sommerfeeling erlebt und es genossen, in der Stadt und mit dem Rad auch im Umland zu sein. Kontakte zur Oper, zum Kunsthaus oder Theater im Bahnhof gibt es natürlich schon, aber ich freue mich total darauf, Zeit zu haben, um das alles anzuschauen. Die Stadt hat so viel Kulturangebot, dass ich noch eine Zeit lang brauchen werde, bis ich alles selbst kennen gelernt habe.
APA: Sie starten die Spielzeit und damit auch Ihre Intendanz mit dem bürgerlichen Trauerspiel "Von einem Frauenzimmer" von Christiane Karoline Schlegel, das noch dazu eine Uraufführung ist. Das ist eine eher ungewöhnliche Wahl. Wie ist es dazu gekommen, was wollen Sie dem Publikum damit vermitteln?
Vilter: Das Ungewöhnliche daran ist ja, dass es eine Ausgrabung ist und dass es ein bürgerliches Trauerspiel von einer Autorin ist, das hat Seltenheitswert. Ich bin angetreten mit der Idee, zu hinterfragen, wie gehen wir mit dem klassischen Kanon um. Einerseits ist es eine gewohnte Position, aber derzeit gibt es eine Scheu davor, im Theater diese Titel noch auf den Spielplan zu setzen, weil man meint, das sei eine Verabredung auf immer dieselben Stücke und dieselben Autorinnen und Autoren. Für mich ist es auch interessant, andere Perspektiven als zum Beispiel weibliche zu hinterfragen. Und so sind wir auf die Suche gegangen und sind auf Schlegel gestoßen. Wir wollten wissen: Was steckt da dahinter? Es ist natürlich auch wegen des Themas so interessant, auch wegen des Femizids, der ja in jedem bürgerlichen Trauerspiel stattfindet und wie eine Normalität verhandelt wird. Es gehört irgendwie zum Plot, dass eine Frau umgebracht wird. Hier muss man fragen: Aus welcher Perspektive wird so etwas gesehen, wenn es eine Autorin ist, und wie gehen wir heute damit um?
APA: Ihre zweite Produktion auf der großen Bühne ist etwas völlig anders, nämlich Elfriede Jelineks Drama "Sonne/Luft". Welche Bedeutung hat Jelineks Werk für Sie?
Vilter: Mein Verhältnis zu Jelinek ist ein sehr leidenschaftliches. Es ist die Autorin, die fast den größten Stellenwert in meinem beruflichen Leben hat. Ich bin als ganz junge Studentin in Berlin auf der Uni auf sie gestoßen, da war sie zumindest einer breiteren Öffentlichkeit noch gar nicht bekannt. Damals wollte ich im Studententheater der Freien Universität Berlin ein Stück von ihr aufführen. Ich habe vom Verlag aber die Rechte nicht bekommen und habe sie dann selbst angeschrieben. Sie hat mir eine Postkarte geschrieben, dass das über den Verlag läuft und sie nichts machen kann. Das war der Anfang, dann habe ich mich immer weiter mit ihrem Werk beschäftigt. Als ich am Residenztheater war, hatten wir die Rechte auch nicht, es hat sich nie erfüllt in meinem beruflichen Leben. Nach der "Winterreise" am Burgtheater bin ich mit ihr in Briefkontakt gekommen, und in Wiesbaden habe ich dann zur Eröffnung ein Stück von ihr gehabt, es gibt also immer wieder so biografische Stationen. Mir war wichtig, wenn ich jetzt in Österreich ein Haus übernehmen, dass diese Autorin in der ersten Spielzeit auf dem Spielplan steht.
APA: Die Jelinek-Aufführung ist seit längerer Zeit wieder einmal eine Koproduktion zwischen dem Schauspielhaus und dem steirischen herbst. Wird es auch mit anderen Kulturinstitutionen eine Zusammenarbeit geben?
Vilter: Wir haben auch eine Kooperation mit der Oper (Molière/Lully, "Der Bürger als Edelmann", Anm.), das sind unsere zwei großen Kooperationsprojekte für die erste Spielzeit. Wir sind aber auch schon in Gesprächen für die zweite Spielzeit, auch mit der freien Szene.
APA: Sie haben - ebenso wie ihre Vorgängerin Iris Laufenberg - die drei Spielstätten von Haus 1, Haus 2 und Haus 3 in Schauspielhaus, Schauraum und Konsole umbenannt. Was war der Grund dafür?
Vilter: Weil wir den Spielstätten jetzt eigene Programmlinien gegeben haben und das dann auch über die Namensnennung sichtbarer machen wollten. Wir wollen wieder den Begriff "Schauspielhaus Graz" etablieren. Es sind nicht einzelne Häuser, sondern das Besondere ist, dass alles in einem Haus beieinander ist.
APA: Bei Theateraufführungen sind Live-Videos schon fast Standard, für VR-Brillen gibt es eigene Produktionen, in Bayreuth wurde mit AR-Brillen experimentiert - welche Möglichkeiten eröffnen sich für Sie dadurch? Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
Vilter: Das ist tatsächlich eine Frage, die mich beschäftigt und von der ich glaube, dass wir sie gar nicht so beantworten können. Wir müssen Erfahrungen sammeln und durch bestimmte Phasen durch. Bei Video war es so, da gab es dann einen gewissen Ermüdungseffekt. Ich schätze das auch bei der Digitalität so ein, es wird ein Mittel werden, das im Theater vorkommen wird und mit dem es schon spannend zu arbeiten ist, ich würde nichts vorwegnehmen. Ich habe bei einigen Dingen selbst Vorbehalte, finde es aber sehr wichtig, dass wir uns als Theater mit allem, was gesellschaftlich neu passiert, auseinandersetzen.
APA: Wie sieht es mit dem Budget aus, wie wirken sich die allgemeinen Teuerungen, die nicht vorhersehbar waren, auf Ihre Arbeit aus?
Vilter: Ich würde sagen, wir sind gut aufgestellt. Als ich begonnen habe zu planen, gab es keinen Ukraine-Krieg und keine Teuerungen, man plant dann in einem bestimmten Rahmen und macht zum Teil auch Verträge, da kann man nicht zurück. Ich muss jetzt gute Haushaltung betreiben, um einen opulenten Spielplan umzusetzen. Wir mussten nichts streichen, wir müssen nur sehr, sehr gut haushalten und verhandeln.
(Das Gespräch führte Karin Zehetleitner/APA)
Zusammenfassung
- Das Grazer Schauspielhaus steht seit dieser Spielzeit unter der Leitung von Andrea Vilter.
- Mit der APA sprach sie über ihre ersten Erfahrungen mit Graz, ihre Beweggründe, mit der Uraufführung eines bürgerlichen Trauerspiels von 1778 die Saison zu eröffnen und ihre langjährige Beziehung zum Werk von Elfriede Jelinek.
- Das Budget sei "gut aufgestellt", trotzdem müsse sie "sehr, sehr gut haushalten", meinte die Schauspielchefin.