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Freys durchkomponierter "Tartuffe" überzeugt an der Burg

Formstrenge Bildkompositionen, scharf gezeichnete Figuren und ein Gender-Glitch für die Metaebene: Barbara Frey hat im Burgtheater einen "Tartuffe" geschaffen, der die Ästhetik im Kleinen wie im Großen feiert und die Mechanismen von Manipulation auf Empfängerseite offenlegt. Bibiana Beglau überrascht mit perfider Zurückhaltung in der Titelrolle, Michael Maertens überzeugt als von jeglicher Ratio verlassener Orgon, der dem Betrüger in seiner Verlorenheit die Tore öffnet.

Martin Zehetgruber hat für Freys analytische, stark rhythmisierte Molière-Inszenierung ein düster-zeitloses Setting geschaffen: Der Regen strömt über die Glasfassaden, die in dunkel-floralem Pastell gehaltenen Wände in Orgons Haus verschieben sich wie von Geisterhand und der Hausmusiker untermalt das Geschehen wahlweise live am Klavier oder der Melodica. Der Hausstand ist in Aufruhr, schließlich hat sich der frömmelnde Tartuffe nicht nur in Orgons Haus eingeschlichen, sondern vor allem in dessen Emotionen. Vor allem die Hausangestellte Dorine, der Katharina Lorenz eine spitzbübische Aufmüpfigkeit verleiht, findet klare Worte und warnt vor dem dubiosen Gast, dem Orgon gerade seinen gesamten Besitz zu überschreiben im Begriff ist.

Ist es falsch verstandene Nächstenliebe, eine aus dem Ruder laufende Midlife-Crisis oder gar ein Liebesrausch, der Orgon dazu getrieben hat, sein Haus vom zwielichtigen Frömmler Tartuffe infiltrieren zu lassen? Tatsächlich gibt sich Maertens nahezu liebestoll, wenn es darum geht, Tartuffe vor seiner Familie in Schutz zu nehmen - wenn auch von Beginn an ein unterdrückter Zweifel leise mitzuschwingen scheint, dem Maertens aber durch hysterische Ausbrüche die Luft zum Atmen nimmt. Nicht zuletzt die Entscheidung, die Rolle mit Beglau zu besetzen, die nicht zuletzt in ihrer Darstellung des Mephisto in Martin Kušejs Münchner "Faust"-Inszenierung genderfluide Meisterschaft bewiesen hat, schafft hier eine erotische Metaebene, die sich in einer kathartischen Szene materialisiert. In weitem Anzug schlängelt sich Beglau durch große und kleine Türen und verleiht ihrem Tartuffe ein fast schon schüchternes Understatement, das gepaart mit scheinbarer Arglosigkeit und weicher Stimmlage einen toxischen Mix ergibt.

Bis Orgon die Schuppen von den Augen fallen, versucht fast der gesamte Hausstand in Eigenregie die emotionale wie finanzielle Home Invasion abzuwenden, wobei jeder Figur aber auch eine ganz eigene manipulative Kraft eingeschrieben wird. Nachdem Barbara Petritsch als Orgons Mutter sich gleich zu Beginn von der ganzen Partie lossagt, werfen sich die Angestellte Dorine, Maria Happel als Orgons listige Ehefrau Elmire, Justus Maier als Orgons Sohn und Markus Scheumann als dickbäuchiger, besserwisserischer Schwager ordentlich ins Zeug, zumindest die Hochzeit zwischen Tartuffe und Orgons Tochter Mariane abzuwenden. Denn Ines Marie Westernströer als allzu braves Töchterlein wagt es nicht, sich dem Vater zu widersetzen und löst die Verlobung mit Valère (Sarah Viktoria Frick in einer hoch komischen Hosenrolle) allzu eilfertig auf. Schließlich ist es an Happel, den Betrüger in einer irrwitzigen wie doppelbödigen Verführungsszene zu enttarnen.

Orgon als beratungsresistenter Follower

Wie schnell Menschen sich zu beratungsresistenten Followern verwandeln können, demonstriert Maertens in seiner bereits 18. Zusammenarbeit mit Barbara Frey meisterhaft, wenn er ohne jegliche Körperspannung durch die ihm wertlos gewordenen Zimmer schleicht. Wie er überkopf von seinem Fauteuil sinkt, sobald ihm klar wird, was er angerichtet hat, ist eines der vielen starken Bilder dieses Abends, der auf formstrenge Figurenführung und starke Charakterzeichnungen setzt. Nach 140 pausenlosen Minuten ist das Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Was bleibt, ist der strömende Regen, der von stürmischem Applaus abgelöst wurde.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Der Tartuffe" von Molière im Burgtheater. Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Esther Geremus. Mit Bibiana Beglau, Michael Maertens, Ines Marie Westernströer, Sarah Viktoria Frick, Katharina Lorenz, Markus Scheumann, Maria Happel, Barbara Petritsch und Justus Maier. Hausmusiker: Josh Sneesby/Tino Klissenbauer. Weitere Termine: 31. Jänner, 4., 11. und 28. Februar. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Barbara Freys Inszenierung von 'Tartuffe' im Burgtheater überzeugt durch ihre formstrenge Bildkomposition und scharf gezeichnete Figuren, wobei Bibiana Beglau in der Titelrolle mit perfider Zurückhaltung beeindruckt.
  • Michael Maertens spielt den Orgon, der in seiner Verlorenheit dem Betrüger Tartuffe die Tore öffnet, was als mögliche Midlife-Crisis oder Liebesrausch interpretiert wird.
  • Nach 140 Minuten endet das Stück mit stürmischem Applaus, während weitere Aufführungen am 31. Januar, 4., 11. und 28. Februar geplant sind.