APA/APA/GEORG HOCHMUTH/GEORG HOCHMUTH

Festwochen-Chef Milo Rau: "Wir geben das nicht kampflos auf"

Die Wiener Festwochen 2025 starten erst am 16. Mai, doch noch nie waren Sie auch schon im Winter so präsent wie heuer. Das liegt nicht nur daran, dass sie eine der wenigen Kulturinstitutionen waren, die im FPÖ-Wahlprogramm konkret Erwähnung fanden (als ein "wokes Event", dessen Finanzierung "dringend evaluiert" werden müsse), sondern auch daran, dass Intendant Milo Rau im Rahmen seiner "Resistance now!"-Tour das Wiener Kulturfestival mit globalen Protestbewegungen verknüpfte.

"Global sieht man einen Rückgang oder sogar das Ende des liberal-demokratischen Zeitalters. Da geht etwas zu Ende. Die liberale, institutionelle Demokratie verwandelt sich in eine Art plebiszitäre postliberale Autokratie", fasst Rau im Gespräch mit der APA seine Eindrücke zusammen. "Ich stelle mir immer mehr die Frage: Macht dieses demokratische System, wie es aktuell funktioniert, nämlich mit medial hergestellten Hysterien und oft irrationalen Entscheidungen, eigentlich noch Sinn? Brauchen wir eine Form von Wiedergeburt dieser Demokratie, an die viele nicht mehr glauben?"

Aber galt in den vergangenen Jahrzehnten nicht stets die Devise, dass Demokratie zwar verbesserungswürdig, aber dennoch die bei weitem beste Regierungsform sei? "Es gibt nichts Besseres als die liberale Demokratie. Aber der Demokratiebegriff ist extrem weit. Wir sind momentan auf dem Weg zu einer global gelenkten Demokratie durch Lobbys. Das große Business unterstützt illiberale Herrscher", sagt der Schweizer Theater- und Festivalmacher. "Die Schwäche der Demokratie ist, dass ihre Abschaffung sehr leicht ist. Gegen eine Autokratie musst du mit Waffengewalt vorgehen, in der Demokratie musst du dafür nur Wahlen gewinnen. Nachdem Donald Trump zum zweiten Mal gewonnen hat, sind wir uns wohl alle einig, dass Demokratie eine gefährdete Herrschaftsform ist - und zwar gerade für den Herrschenden, das Volk."

Zur Amtseinführung des US-Präsidenten hat Rau eine "irakisch-amerikanische Parallellesung" des neuen Textes "Endsieg | The Second Coming" von Elfriede Jelinek organisiert, die zeitgleich in New York und in Mossul stattfand. In der irakischen Stadt, in deren Nähe er 2016 für seine Produktion "Empire" zum ersten Mal war (denn Mossul war noch vom IS besetzt), später das Stück "Orest in Mossul" erarbeitete und eine UNESCO-Filmschule mitbegründete, war er gemeinsam mit der Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi, um Videos für das Stück "Die Seherin" aufzunehmen.

Mossul und Belgrad

"Es geht um eine Schauspielerin, die in Albanien zur Kriegsfotografin wird, alle Kriegsschauplätze bereist und am Schluss am Tahrir-Platz in Kairo selbst Opfer von Gewalt wird." Ein Lehrer, dem vom IS die Hand abgehackt wurde, spielt in dieser Koproduktion mit Berliner Schaubühne und der Theaterbiennale Venedig eine wichtige Rolle - auf Video eben. "Es ist visumstechnisch fast unmöglich, ihn für die Vorstellungen aus Mossul rauszubekommen. Aber in Wien versuchen wir, ihn dabeizuhaben."

Die "Resistance now!"-Tour habe ihm auch eine andere Erkenntnis verschafft, sagt Rau: "Wir glauben, alles zu wissen, aber wir wissen nichts." Zur Eröffnung des BITEF Theaterfestivals in Belgrad habe er sich mit der Lithiummine beschäftigt, die im serbischen Jadar-Tal wichtige Rohstoffe für die Elektroautoindustrie fördern soll. "Da werden Tausende Familien umgesiedelt. Das ist das größte Minenprojekt, das es je in Europa gab. Es gibt in Serbien riesigen Widerstand dagegen, von dem man aber in unseren Medien nie gelesen hat."

"Haben eh schon 95 Prozent Traditionspflege"

"Ich mach' eine aktivistische Kunst, und ich mach' eine globale Kunst", sagt Rau, der auch in Straßburg dazugelernt hat. Als die Tour dort Halt machte, wurde ein offener Brief vorgestellt, der angesichts des zunehmenden kulturellen Drucks von autoritären Regierungen in Ungarn und der Slowakei von der EU auch Engagement in Kulturfragen einforderte. "Wir hatten ein Gespräch mit dem Kabinett von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, wo uns gesagt wurde: Hört auf, über Kunstfreiheit zu sprechen! Sprecht über Grundrechte! Erstens können wir sonst nichts machen, zweitens wirkt es elitär. Und sie haben recht: Der Kulturabbau ist der Anfang des Abbaus von Grundrechten. Das war in Ungarn so, das war in der Slowakei so, und man merkt beim FPÖ-Programm, in welche Richtung es geht."

An sich verfolge er den Grundsatz "Lasst ihr mich in Frieden, lass ich euch in Frieden", meint Milo Rau. Aber seit die FPÖ gegen die Festwochen auftrete, müsse er sich wehren. "Wie früher auf dem Spielplatz kann ich nur sagen: Ich hab' nicht angefangen!" Der FPÖ-Kulturpolitik sei die Förderung der Traditionen ein besonderes Anliegen. "Aber das ist eine optische Täuschung: Wir haben eh schon 95 Prozent Traditionspflege - in der Schule, im Museum, in der Oper, in der Musik. Wenn wir jetzt noch die restlichen 5 Prozent abschaffen, wo mit neuen Werken der künftige Kanon entsteht, schaffen wir die Zukunft ab. Das können wir nicht machen! Das ist einfach dumm. Dass 95 Prozent der Leute lieber Mozart hören oder einen Hollywoodfilm gucken: Fair enough! Aber man muss heutigen Künstlern die Chance geben, etwas zu produzieren."

Trachtenkapelle bei Festwochen-Eröffnung

Das Gesamtprogramm der Wiener Festwochen 2025 wird am 28. Februar veröffentlicht. Diesmal wird das Hauptquartier im Wiener Funkhaus aufgeschlagen und die "Republic of Love" ausgerufen. Zu den damit eng verbundenen neuen Produktionen soll die 24-Stunden-Performance "The Second Woman" zählen, in der Pia Hierzegger nacheinander auf 100 Wiener Männer trifft und mit jedem eine andere Trennungsszene spielt, von deren Verlauf er nichts weiß. "Das ist ein Riesending. Das Casting beginnt im Februar, und manche der Männer sind prominent. Auch ich werde einer davon sein und nicht wissen, was mich erwartet." Was aber das Publikum von der "Republik der Liebe" erwarten darf, glaubt Rau zu wissen: "Wir werden sehr viel Spaß, sehr viel Party, sehr viel Schamanismus und Wahn haben. Aber natürlich auch sehr viele kritische und politische Events."

Zur Festwocheneröffnung, bei der auch eine Trachtenkapelle aufspielen wird ("Ich selbst tendiere ja auch eher zur Blasmusik als zur Neuen Musik, aber deshalb will ich nicht gleich die Neue Musik abschaffen."), erscheint im Verbrecher Verlag auch ein neues Buch des Intendanten: "Widerstand hat keine Form - Widerstand ist die Form" heißt es und ist "eine Reflexion darüber, was Widerstand in diesem fast schon postdemokratisch zu nennenden Zeitalter heißen kann", sagt Rau. "Auch ein hoch formalisierter Text von Elfriede Jelinek ist eine unglaubliche Widerstandsaktion gegen Donald Trump. Ich glaube, so wie die Autokraten ihre Netzwerke bilden, müssen wir die Vielgestaltigkeit der Widerstände zusammenschließen."

"Hitler wurde nicht für den Holocaust und den Weltkrieg gewählt"

"Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht den richtigen und den falschen Widerstand gibt. Jeder politische Move, den man macht, ist sowohl richtig als auch falsch. Der Anfangsmove der Antidemokraten ist, durch Versprechungen und mediale Tricks eine Mehrheit zu schaffen, um dann die Vielfalt der Stimmen abzuschaffen. Die Demokratie ist immer von Leuten gekapert worden, die etwas versprochen haben und nicht gehalten haben. Hitler wurde nicht für den Holocaust und den Weltkrieg gewählt, sondern für Arbeit und Frieden. Das ist ja die Absurdität!"

Man tue immer so, "als wäre die Demokratie eine Pflanze, die nicht totzukriegen ist. Aber eigentlich ist sie eine seltene Wüstenblume, die alle 70 Jahre mal kurz blüht und wenn man nicht richtig gut aufpasst, ist sie gleich wieder weg." Und in unseren heißen Zeiten heiße es, besonders gut aufzupassen.

Er sei froh, dass er "aus der Peripherie ins Zentrum gekommen" ist, sagt Milo Rau, der feststellt, dass er als Leiter "dieser großen und ausgesetzten Institution mit extrem vielen Fragen konfrontiert ist, bei denen sich früher kaum jemand dafür interessiert, was meine Haltung dazu ist", worüber er sich ebenso verblüfft wie begeistert zeigt. "Ich hätte nie gedacht, dass sich durch die Fülle der Möglichkeiten auch die Fülle an Spaß vergrößert. Man sagt ja immer: Große Macht bringt große Verantwortung. Die nehme ich gerne an. In diesem Moment der Geschichte bin ich total froh an dieser Stelle zu sein. Wir geben das nicht kampflos auf!"

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - www.festwochen.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Wiener Festwochen 2025 starten am 16. Mai und sind im FPÖ-Wahlprogramm als 'wokes Event' erwähnt worden.
  • Milo Rau kritisiert die liberale Demokratie und verknüpft das Festival mit globalen Protestbewegungen.
  • Zur Amtseinführung des US-Präsidenten organisiert Rau eine Parallellesung von Elfriede Jelineks Werk in New York und Mossul.
  • Das Gesamtprogramm der Festwochen wird am 28. Februar veröffentlicht und umfasst die 24-Stunden-Performance 'The Second Woman'.
  • Rau fordert mehr Engagement der EU in Kulturfragen und betont die Bedeutung der Kunstfreiheit angesichts autoritärer Tendenzen.