Fake Fun: Debütroman "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art"
Der Titel ist ebenso irritierend wie das Cover des bei Jung und Jung erschienenen Buches, das auf ein Foto der polnisch-niederländischen Fotografin Ewa Cwikla zurückgreift: "Plastic Generation" (2018) scheint in der Kostümierung einer jungen Frau und der rembrandtesken Lichtgebung altmeisterlich, bricht diesen Eindruck jedoch durch ein Plastiksackerl, das die Porträtierte aufzublasen im Begriff ist. So geht es auch der 14-jährigen Protagonistin Arielle. Gerne wäre sie eine andere. Keine Außenseiterin, die durch eine Krankheit (offenbar eine durch einen Gendefekt verursachte Ektodermale Dysplasie), schüttere Haare und ein deformiertes Gebiss hat und nicht schwitzen kann. Sondern so wie die hübsche Pauline, deren Handy sie eines Tages findet und deren Social-Media-Account sie kapert.
Matthias Gruber, der als Rezeptionist, im Onlinemarketing und in einer Notschlafstelle gearbeitet, zwei Salzburger Stadt-Magazine mitgegründet und den FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb "Wortlaut" gewonnen hat, zeichnet nicht nur die heutige Lebensrealität von Teenagern nach, sondern legt auch einen Familienroman mit ungewöhnlichen Hauptfiguren vor. Arielles Vater versucht, seinen Lebensunterhalt mit einer Art Auf- und Ausräumtruppe in Wohnungen von Verstorbenen zu verdienen und fahndet auf dem Mistplatz nach Kryptogeld auf weggeworfenen Festplatten, ihre labile Mutter ist als Kosmetikvertreterin im Internet so lange ziemlich erfolglos, bis ihr ihre Tochter mit Paulines Account unter die Arme greift. Die Zahl der Follower steigt sprunghaft an, die Firma ist begeistert und lässt die "Frischeberaterin" in der Hierarchie zur "Frischebotschafterin" aufsteigen. Doch auch die Blasen des Internethandels neigen zum Platzen.
Lug und Betrug lauern überall, wo scheinbar unbestechliche Algorithmen Tempo und Handlungsmuster vorgeben. Das führt Arielle gekonnt vor. Fake News? Fake Fun? Total egal. Trendy wird nur, wer die Erwartungen erfüllt und nichts riskiert. Nicht nur deshalb ist "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art" ein trauriges Buch. Durchaus konventionell erzählt es von modernen Medien, ihren Gefahren und Fallen, von Verirrungen und Vereinsamungen. Arielles Lächeln stammt entweder aus Modezeitschriften, deren Modelfotos sie zerschnippelt, oder vom Zahnarzt, der ihr eine Plug-In-Zahnschiene anpasst. Das Ganze wäre durch und durch deprimierend, wenn Gruber nicht auch Hoffnungsschimmer einbauen würde: Als Arielles wahres Aussehen und Identität von einer Freundin geoutet wird, steigen die Likes erst so richtig an. Nimmt das ein gutes oder ein schlechtes Ende? Matthias Gruber lässt das offen - und kann am 10. August dazu befragt werden, wenn er bei den O-Tönen im Wiener Museumsquartier aus seinem Buch liest.
(S E R V I C E - Matthias Gruber: "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art", Jung & Jung, 304 Seiten, 24 Euro, Lesung bei den O-Tönen im Wiener Museumsquartier: 10. August, 20 Uhr)
Zusammenfassung
- "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art" spielt in realen und digitalen Welten und konfrontiert mit den Tücken der sozialen Medien.
- Das führt Arielle gekonnt vor.