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"Die Cousinen": Machtstrukturen in der Dunkelkammer

Wer darf an einem österreichischen Theater einen aus dem Iran stammenden, homosexuellen Tänzer spielen? Welche Privilegien hindern einen daran, welche eigenen Traumata werden zur Legitimation für die Besetzung? Diese Fragen stellt sich das Volkstheater in der Dunkelkammer im Rahmen der Stückentwicklung "Die Cousinen", die Laura N. Junghanns basierend auf Nava Ebrahimis Bachmannpreis-Gewinnertext "Der Cousin" gemeinsam mit der Autorin und dem Ensemble realisiert hat.

In ihrem 2021 in Klagenfurt prämierten Text verhandelt die aus dem Iran stammende, in Deutschland aufgewachsene und mittlerweile in Graz lebende Autorin Ebrahimi die zwischenmenschliche wie künstlerische Aufarbeitung der Migrations- und Traumageschichte einer iranischen Familie. Es geht um Entwurzelung, Entfremdung, Assimilation und die Frage nach dem autobiografischen Gehalt literarischer Texte. Diesen vielen Ebenen fügte man bei der Uraufführung am Freitagabend noch eine ganze Menge hinzu, sodass ein zwar bildgewaltiger, bisweilen sehr lustiger, aber am Ende doch überfrachteter 100-minütiger Abend entstand.

Witzig ist das Setting: In einem von Spiegeln, Leinwänden und zwei Ballettstangen dominierten Proberaum (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch) treffen drei Schauspielerinnen zum Vorsprechen für "Der Cousin" ein. Allein - die Regie bleibt für die Akteurinnen unsichtbar. Um ja kein Machtgefälle entstehen zu lassen, verbirgt sich die Person (ob männlich oder weiblich soll verschleiert werden) irgendwo im Raum oder aber auch nur am anderen Ende der Video-Leitung. Und so sind die ambitionierten Schauspielerinnen auf sich selbst gestellt.

Bevor sie die ersten Zeilen aus "Der Cousin" vortragen dürfen, gilt es aber noch, sich und den jeweils eigenen "Privilegienkatalog" bzw. "Traumakatalog" vorzustellen. Sie alle gehören zur Gruppe der Cis-Frauen, sie alle kommen aus bildungsnahen Familien. Aber sie haben auch alle Migrationshintergrund. Hier beginnt es sich zu spießen: Welche Herkunft birgt mehr Traumata? Jene aus dem Iran wie bei Sepideh Ghaemmaghami (Hasti Molavian), jene der Türkin Sibel Su Taşcan (Irem Gökçen) oder gar jene der Schweizerin Sabine Ursina Homberger (Claudia Sabitzer)? Fest steht: jede von ihnen wird in Österreich auf unterschiedliche Weise diskriminiert, wie sie meinen.

Während die drei Frauen, die auch unterschiedliche reproduktive Erfahrungen (von der alleinerziehenden Dreifach-Mutter von Teenagern über die frisch gebackene Erstgebärende bis zur kinderlosen Jungschauspielerin) aufweisen, in einem absurden Wettstreit Passagen aus Ebrahimis "Der Cousin" vortragen, geht es aber immer mehr um Rassismen am Theater, identitätspolitische Fragestellungen oder berufliche Benachteiligung von Frauen in unterschiedlichen Lebensaltern (so bekommt Homberger seit dem Einsetzen der Menopause keine lukrativen Jobs mehr). Und die Streitfrage: Welches Trauma wirkt schwerer? Der Tod von Lady Di oder Zehntausende Erdbebentote in der Türkei? Der Brand von Notre Dame oder die Vorgänge in Folter-Gefängnissen?

Nach etwas mehr als einer halben Stunde sind die Themen - inklusive der Textpassagen aus "Der Cousin" abgearbeitet. Und so beginnt alles von vorn, wobei jede Protagonistin ein wenig mehr aus ihrem eigenen Leben erzählen darf. So entfernt sich "Die Cousinen" immer weiter von "Der Cousin" zu einem Kommentar auf die Benachteiligung von Frauen nicht nur in der Gesellschaft, sondern eben auch am Theater. Das ist grundsätzlich spannend, aber eben in der plakativen Multiperspektivität und sich bald einstellenden Redundanz langsam ermüdend.

Ablenkung verschaffen da die spektakulären Visuals von Marvin Kanas, die in einer Mischung aus Live-Aufnahmen, Loops und mit KI verfremdetem Material über die Bühnenrückwand und die sechs Leinwände rauschen. Die drei Frauen gestalten den rasanten, sich in Variationen wiederholenden Abend mit enormem Körpereinsatz und Selbstironie und blicken schonungslos auch auf ihre autobiografisch wunden Punkte. Lang anhaltender Applaus für eine respektable Versuchsanordnung.

(S E R V I C E - "Die Cousinen" von Nava Ebrahimi, Laura N. Junghanns und Ensemble in der Volkstheater Dunkelkammer. Regie: Junghanns, Bühne und Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Video: Marvin Kanas. Mit Hasti Molavian, Irem Gökçen und Claudia Sabitzer. Weitere Termine: 6., 12. und 23. April sowie am 7. und 26. Mai. www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Welche Privilegien hindern einen daran, welche eigenen Traumata werden zur Legitimation für die Besetzung?
  • Und so sind die ambitionierten Schauspielerinnen auf sich selbst gestellt.