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Bodyshaming im Burgtheater: "Cyrano de Bergerac"-Premiere

Von einem Fall von Bodyshaming am Burgtheater ist zu berichten. Doch weder in den "schönen 1640er Jahren", in denen "Cyrano de Bergerac" spielt, noch 1897, im Entstehungsjahr des berühmten Stücks von Edmond Rostand, wurden die Komplexe, die dem sonst gefürchteten Cascogner von seiner groß geratenen Nase gemacht werden, so benannt. Dass auch Martin Crimp, der Schöpfer jener Neufassung, die gestern zur Deutschsprachigen Erstaufführung gelangte, nicht davon spricht, verwundert.

Auch sonst wirft dieser fast dreistündige Abend einige Fragen auf. Etwa: Braucht es tatsächlich heute noch immer eine riesige, an Faschingsnasen gemahnende Gesichtserkerskulptur, um darzustellen, was gemeint ist? Oder wären Franz Pätzold als unglücklich verliebter "All-Time-Crazy-Großmaster bei Spoken Word" und der Rest des famosen siebenköpfigen Ensembles nicht in der Lage, die psychischen, amourösen wie gesellschaftlichen Folgen dieses möglicherweise bloß eingebildeten Schönheitsfehlers auch ohne maskenbildnerische Unterstützung zu zeigen? Denn das aus dem Gesicht stehende "radikale Coming Out" hat ja keine körperlichen, sondern soziale Folgen.

Oder: Braucht es eigentlich eine Neubearbeitung, die bis auf einige pfiffige Reime und ein paar lustige Gags (so ist Roxane Studentin und versäumt eine Vorlesung über "Frauen und der männliche Blick in der Frühmoderne") keine großartigen Aktualisierungen vornimmt? Vor allem aber: Warum trifft einen die im Grunde sehr konventionelle Inszenierung von Lily Sykes dennoch ins Herz? Vielleicht, weil es sich bei Rostands Versdrama um eine der traurigsten Liebesgeschichten der Weltliteratur handelt, und weil sie statt Textflächen und bebilderten Theorien ganz greifbare Charaktere und eine nacherzählbare Handlung aufweist? Und so gibt es in dem Dreiecksverhältnis "Cyrano" Pätzold, Lilith Häßle als der angebeteten Roxane und Tim Werths als der von ihr geliebte Christian, dem Cyrano seine Dichtkunst leiht, um die Gunst der Schönen zu erobern, tatsächlich einige fast kitschige, klassische Szenen großer Innigkeit.

Mit Degen wird nur ganz am Anfang gefochten. Sykes lässt die Schauspieler auf der von Martón Ágh wie eine Garderobe mit sechs beleuchteten Schminktischen ausgestatteten Bühne aufwärmen und mit dem Publikum Schabernack treiben. Es weht ein Hauch Jugendtheater durch diese Inszenierung, die möglicherweise im Kasino am Schwarzenbergplatz besser aufgehoben wäre. Das Ensemble - darunter Markus Scheumann, Bless Amada und Gunther Eckes - macht auch als Mini-Rockband gute Figur, lässt die Leiden der ausgehungerten und halb verdursteten Truppe an der Front minutenlang erstaunlich plastisch erscheinen und nimmt sich mitunter auch Zeit für kleine Kabinettstückerln. Tim Werths etwa illustriert als poesie-unbegabter Christian den Ausdruck "Ich kann kaum einen Stift halten" durch einen veitstanzähnlichen Anfall.

Am Ende landet Roxane nicht im Kloster, sondern in dem Konditorei/Café/Buchladen von Madame Ragneneau (Alexandra Henkel), wo ihr der bereits tödlich verwundete Cyrano schließlich doch rundheraus seine Liebe gesteht. Sein Motto "Immer der Nase nach" hat ihn an einen Punkt geführt, von dem aus es kein Weiterkommen gibt. Zu diesem Thema hatte der 32-jährige Boxer Marcos Nader, der in seinem Leben auch einige Schläge auf die Nase einstecken musste, neulich im "Kurier" Bedenkenswertes gesagt: "Wenn man mir sagt 'immer der Nase nach', dann renne ich im Kreis." - Am Ende ist auch Cyrano angezählt. Doch vor dem K.o. kommt das Blackout. Und danach eher höflicher als enthusiastischer Premierenapplaus.

(S E R V I C E - "Cyrano de Bergerac" von Martin Crimp nach Edmond Rostand, Deutsche Fassung von Ulrich Blumenbach und Nils Tabert, Regie: Lily Sykes, Bühne: Martón Ágh, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Wouter Rentema, Jan Schoewer, Choreografie: Laura Witzleben. Mit Lilith Häßle - Roxane, Franz Pätzold - Cyrano, Tim Werths - Christian, Markus Scheumann - De Guiche, Bless Amada - Lignière, Alexandra Henkel - Madame Ragneneau, Gunther Eckes - Le Bret. Burgtheater, Nächste Vorstellungen: 9., 16., 19.4., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Tim Werths etwa illustriert als poesie-unbegabter Christian den Ausdruck "Ich kann kaum einen Stift halten" durch einen veitstanzähnlichen Anfall.