Bayreuther "Ring"-Regisseur hat keine Angst vor dem Publikum
APA: Um mit der Sportreporterfrage zu beginnen: Wie geht es Ihnen so kurz vor der Premiere Ihres bisherigen Karrierehöhepunkts?
Valentin Schwarz: Wir sind hier im Endspurt - "Der Ring" rundet sich langsam. Die Vorbereitung liegen ja schon sehr lange zurück, und die Sänger scharren in den Startlöchern und sind unglaublich motiviert, das Erarbeitete endlich präsentieren zu dürfen. Das trägt auch mich.
APA: Haben Sie Ihren "Ring" nach der künstlerischen Vollbremsung 2020 noch adaptiert? Man verändert sich ja auch als Mensch in diesem langen Zeitraum...
Schwarz: Natürlich ist das Konzept dasselbe geblieben. Aber "Der Ring" arbeitet in einem weiter, es gilt, an einzelnen Dingen weiter zu feilen. Man blickt auf manche Szenen anders als vorher, das schon.
APA: Wie sehr verändert die "Konfrontation" mit den Sängerinnen und Sängern ein ursprünglich aufgestelltes Konzept?
Schwarz: Die Offenheit gibt es ebenso bei der Begegnung mit den Sängern. Es geht ja nicht darum, dass ich mein Konzept wie mit einem Trichter in die Sänger einfülle, die das dann nur mehr ausführen. Das Konzept trifft auf Darsteller, die oft ganz eigene Vorstellungen haben. Aus dieser Begegnung heraus eine Energie zu gewinnen, die größer ist als die Summe ihrer Teile, das macht Musiktheater aus.
APA: Wie schwierig ist es dann, wenn Sie mittlerweile mit dem dritten Wotan und dem zweiten Dirigenten arbeiten müsse?
Schwarz: Da hilft meine Konzeption, die an psychologische Vorgänge gebunden ist. Es ist schnell klar, in welcher Rolle man sich befindet, wenn man neu einsteigt. Ein Sänger wie Tomasz Konieczny, der schon dutzendfach Wotan dargestellt hat, der will nicht die üblichen Gesten machen, sondern selbst etwas Neues an seiner Rolle entdecken. Das Aufeinandertreffen mit neuen Darstellerinnen und Darstellern sehe ich als Chance.
APA: Ist Ihr Regieverständnis generell sehr kollaborativ?
Schwarz: Das autoritäre Auf-den-Tisch-Hauen am Theater hat hoffentlich für alle Zeiten ausgedient. Diese Leute braucht es nicht mehr - auch im Zwischenmenschlichen. Gerade ein "Ring" ist Teamarbeit! Bei unserem wöchentlichen Jour fixe hat jeder nicht nur das Recht, sondern die Verpflichtung, sich zu äußern! Natürlich ist Inszenieren kein basisdemokratisches Verfahren. Am Ende müssen die besten Ergebnisse auf der Bühne stehen. Aber offen Zuhören und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur, das sind demokratische Abläufe, die wir hier im Kleinen zu leben versuchen. Theater und Oper sind niemals Spielplätze für Egozentriker, sondern immer ein Spielfeld des Miteinanders.
APA: Ist dieses Miteinander in Bayreuth ein anderes, zumal hier die meisten Sängerinnen und Sänger große Expertise vorweisen können?
Schwarz: Das kollektive Wissen in Bayreuth hört nicht bei den Musikern auf - auch die Bühnentechniker kennen ihren Wagner genau! Darauf aufzubauen und die Begeisterung teilen zu dürfen, das ist spezifisch für Bayreuth. Das gilt dann natürlich auch für das wissende Publikum. Die Busladungen an Wagnerianern, die haben ihre Erwartungshaltungen!
APA: ... und sind bekannt dafür, ihr Feedback sehr vehement und unmittelbar zu geben. Manche Regiekräfte flüchten vor dieser Reaktion. Sie hingegen wohl eher nicht?
Schwarz: Wer Angst vor dem Publikum hat, ist falsch in der Oper! In Bayreuth kann man ganz anders einsteigen und muss nicht damit beginnen, das Stück zu erklären. Die meisten haben den "Ring" schon gesehen, weshalb man eine viel tiefere Herangehensweise wagen kann, die der eine toll, der andere schrecklich findet. Diesem Diskurs nicht auszuweichen, sondern ihn als Wesen der Kunsterfahrung per se zu begreifen, das ist in Bayreuth potenziert.
APA: Welcher Faktor ist für Sie der entscheidende, ob eine Inszenierung ein Erfolg ist oder nicht?
Schwarz: Das ist nicht die Publikumsreaktion und genauso wenig das Presseecho oder die Frage, was der oder jener denkt. Das ist mein persönlicher Erfolg - oder mein Scheitern. Habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte? Gerade die Geschichte in Bayreuth zeigt, dass etwa die Kultaufführung von Patrice Chéreaus "Ring" in den ersten Jahren auf heftigen Widerstand traf. Reaktionen können sich wandeln. Man muss nicht auf seinem Standpunkt beharren wie bei Talkrunden im Fernsehen. Die klitzekleine Möglichkeit offenzulassen, dass die eigene Meinung vielleicht doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, das bringt uns als Gesellschaft weiter.
APA: Wie halten Sie persönlich den Überblick über 16 Stunden Musiktheater?
Schwarz: Es gibt legendäre Dropbox-Ordner mit mehreren Terabytes bei uns. (lacht) Aber man hat gerade in Bayreuth, im Fränkischen, mangels Ablenkung die Chance, sich richtig fallen zu lassen. Wir sind nun eine richtiggehend eingeschworene Gemeinschaft für den "Ring" und haben ihn internalisiert.
APA: "Der Ring" kann sehr vielschichtig als Familientragödie, Fantasy-Abenteuer oder philosophische Welterklärung gelesen werden. Auf welche der Lesarten fokussieren Sie sich?
Schwarz: Beim "Ring" geht es um eine Großfamilie. Es gehört schon viel Fantasie dazu, diese Verwandtschaftsbeziehungen nicht mitzudenken. Innerfamiliäre Konflikte psychologisch fesselnd in dieser Großfamilie zu zeigen, das bietet heute das große Identifikationspotenzial. Das sind Menschen, die uns teils als Spiegelbilder gleichen. Der strahlende Held geht über Leichen und der Bösewicht hat guten Grund für sein Sosein. Diese Figuren will ich über mehrere Abende hinweg begleiten und in ihren Facetten ausspreizen. Ich sehe den "Ring" da in einer Reihe mit großen Gesellschaftsromanen von Tolstoi, Joyce oder Proust.
APA: Es geht Ihnen darum, den "Ring" an die heutige Zuschauerschaft zu binden und nicht um eine Brechung der Traditionen oder eine Dekonstruktion des Genres?
Schwarz: 150 Jahre "Ring"-Rezeption in Bayreuth hat nur einen gemeinsamen Nenner: Man kann den "Ring" nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Jede Inszenierung hat ihre eigenen Meriten und Missstände. Die Erfahrung, Teil dieser Geschichte zu sein, gibt mir die Sicherheit, dass es bei der Oper immer um eine Momentkunst geht. Es geht nicht um Statements für die Ewigkeit. Da auf große Welterklärung zu machen, erscheint mir eitel. Aber etwas anbieten zu dürfen, das man noch nie gesehen hat, das freut mich.
APA: Was man bei Ihnen nicht zu sehen bekommt sind hingegen Flügelhelm und Speer?
Schwarz: Das wäre der übliche Anachronismus, wenn auf einmal neben Anzugträgern in einer "modernen" Inszenierung ein Speer durch die Gegend fliegt. Es galt zu erkunden, was diese Objekte als Symbole bedeuten. Der Ring selbst ist etwa nicht ein Herrschaftszeichen, sondern ein Projektionsmedium für die einzelnen Figuren. Dieses psychologische Momentum fand ich viel spannender. Aber wer weiß, vielleicht taucht auf überraschende Weise dann doch ein Flügelhelm auf.
APA: Nach all der langen Beschäftigung: Haben Sie eine Lieblingsfigur im "Ring"?
Schwarz: Wagner schafft musikalisch eine unglaubliche menschliche Wärme zu jeder Figur. Auch die Grausamsten werden mit berührenden Momenten bedacht. Deshalb wollte ich von Anfang an jeder Figur die Ehre erweisen - vor allem auch scheinbar ausgedeuteten Figuren wie Brünnhilde. Diese Frau trägt ein unglaubliches Schicksal. Und trotzdem gibt ihr Wagner nach allen Gewalterfahrungen und Traumata die letzten Worte. Sie hat alles als Teil ihrer Biografie internalisiert und ist nicht auf der Opferrolle stehengeblieben. Der Mann ist tot, der Vater ist fern. Sie ist unabhängig geworden. Dieser Vorgang ist mir sehr nahe gegangen.
APA: Hat sich Ihr Verhältnis zu Wagner als Person über die Zeit hinweg verändert?
Schwarz: Man geht bei Wagner als Mensch ja durch verschiedene Stadien. Die Faszination für die Märchenstoffe weicht irgendwann der Empörung über ihn als Antisemiten. Aber was für mich beim "Ring" besonders eindrücklich war, ist, wie tief Wagner als Psychologe die Figuren begleitet. Das Werk ist klüger als sein Schöpfer. Was da alles drin steckt, das hat sich Wagner nicht träumen können. Dass das Staunen über diese Momente nicht in blinde Verehrung abgleitet, dafür müssen wir alle Sorge tragen!
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
(ZUR PERSON: Valentin Schwarz, geboren am 12. April 1989 im oberösterreichischen Altmünster, studierte in Wien unter anderem Musiktheaterregie und legte in dieser Zeit erste Produktionen vor. Erste Aufmerksamkeit erlangte er 2017, als er in Graz bereits in Kooperation mit seinem Stammausstatter Andrea Cozzi den Nachwuchsregiewettbewerb "Ring Award" gewann. Bei seiner Inszenierung Mauricio Kagels "Mare nostrum" in Köln entdeckte Bayreuth-Intendantin Katharina Wagner den jungen Regisseur und lud ihn zur Königsklasse ein - die Neuinszenierung des "Ring des Nibelungen" für die Festspiele Bayreuth 2020. Nach Coronaverschiebungen feiert dort nun am Sonntag, 31. Juli, mit dem "Rheingold" der erste Teil Premiere.)
(S E R V I C E - www.bayreuther-festspiele.de)
Zusammenfassung
- Valentin Schwarz ist nicht neu am Grünen Hügel, war der gebürtige Oberösterreicher doch 2009 Stipendiat der Wagner-Stipendienstiftung.
- Und doch ist er neu in der wohl bedeutendsten Rolle, welche die Welt des Musiktheaters zu vergeben hat: Die Neuinszenierung des "Ring des Nibelungen" für die Festspiele von Bayreuth.