Aus dem Gerichtssaal: Kathrin Rögglas "Laufendes Verfahren"
Der Prozess gegen die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), der von 2013 bis 2018 an 438 Verhandlungstagen stattfand, gilt als das längste und teuerste Gerichtsverfahren der deutschen Nachkriegszeit. Der Mammutprozess wurde seither in zahlreichen Büchern, Filmen, Hörspielen und Theaterstücken dokumentiert und analysiert. Fünf Jahre nach den Urteilen muss sich der österreichische Leser die Taten und die Verhandlung, die hierzulande nie so breit rezipiert wurden wie bei unserem nördlichen Nachbarn, erst wieder ins Gedächtnis holen, um Zusammenhänge herstellen zu können. Denn Röggla liefert keine Basis-Info. Sie setzt voraus. Sie abstrahiert. Sie komponiert.
"Laufendes Verfahren" ist keine herkömmliche Gerichtssaalreportage, obwohl der Schauplatz des Beschriebenen fast durchgehend das Strafjustizzentrum München-Neuhausen-Nymphenburg ist, genauer gesagt: der Besucherbalkon seines Verhandlungssaales. Den Menschen und Umständen dort gilt das Hauptaugenmerk. Es ist ein Biotop, von dem aus man das Geschehen eigentlich nur schlecht verfolgen kann, stattdessen gibt es Wortwechsel mit anderen Beobachtern, die einem die Sicht versperren, aber mitunter nicht ratsam oder zumindest heikel sind - dann nämlich etwa, wenn diese phänotypisch eindeutig der rechten Szene angehören.
Röggla beschäftigt sich in einem Verfahren der Distanzierung und Verallgemeinerung, das passagenweise stark an Elfriede Jelinek erinnert, nicht mit Schuld und Unschuld und auch nicht mit den Täterinnen und Tätern. Im Zentrum steht bei ihr das in seiner Hypertrophie teilweise absurd wirkende Verfahren und seine Rezeption und Kommentierung auf den Zuschauerrängen, wo sich angesichts der ungeheuren Verfahrenslänge bald Vertraulichkeit, ja fast so etwas wie Schlachtenbummlerstimmung einstellt.
Da gibt es die "Omagegenrechts", den "Gerichtsopa", den "O-Ton-Juristen" oder den "Bloggerklaus", der sich gegen Ende des Buches heftig beschwert, so genannt zu werden. Da gibt es "die Frau von der türkischen Botschaft", von der niemand weiß, ob sie auch wirklich in offizieller Mission hier ist, und da gibt es immer wieder Menschen, die in Kleidung, Auftreten und Habitus eine gewisse ideologische Distanz zu jenem Staat, der hier Gericht hält, erkennen lassen. Es wird meist abfällig über die Prozessführung gesprochen und über Verfahrensdetails gefachsimpelt. Taten, Motive und Verantwortungen bleiben Leerstellen.
Am Ende muss man sich fragen: Trägt dieses "Laufende Verfahren" etwas zur Wahrheitsfindung bei? Das eher nicht. Aber zu einer Klarstellung: Wenn "Im Namen der Republik" geurteilt wird und "Wir" das Volk sind, dann ist dieses Wir ein überaus vielstimmiges. Oder, um mit gerade aktuellen Begrifflichkeiten zu arbeiten: Da sind ganz viele "Normale" dabei, aber ebenso viele, die es nicht sind.
"Das Recht muss der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht", hat ein österreichischer Politiker, der den Anspruch hat, nächster Bundeskanzler zu werden, vor nicht allzu langer Zeit gemeint. Das einzubeziehen hätte Rögglas "Roman" einige spannende rechts- und demokratiepolitische Aspekte hinzugefügt. Doch Berufung einzulegen ist müßig. Das Buch liegt vor, das "laufende Verfahren" abgeschlossen. Das Gleiche gilt übrigens für den NSU-Prozess. Die Schuldsprüche sind rechtskräftig.
(S E R V I C E - Kathrin Röggla: "Laufendes Verfahren", S. Fischer Verlag, 208 Seiten, 24,70 Euro)
Zusammenfassung
- "Laufendes Verfahren" ist als Roman ausgewiesen und setzt sich mit dem Münchner NSU-Prozess auseinander, ohne ihn beim Namen zu nennen.
- Da gibt es die "Omagegenrechts", den "Gerichtsopa", den "O-Ton-Juristen" oder den "Bloggerklaus", der sich gegen Ende des Buches heftig beschwert, so genannt zu werden.
- Das Gleiche gilt übrigens für den NSU-Prozess.
- (S E R V I C E - Kathrin Röggla: "Laufendes Verfahren", S. Fischer Verlag, 208 Seiten, 24,70 Euro)