APA/APA / Zsolnay Verlag

Alltag mit Schieflage: Susanne Gregors Roman "Halbe Leben"

Eine Frau stürzt in die Tiefe. Keiner weiß, warum. Der Anfang von Susanne Gregors Roman "Halbe Leben" erinnert an Mareike Fallwickls grandiosen Roman "Die Wut, die bleibt", und auch sonst gibt es inhaltlich so manche Parallelen. Auch diesmal geht es um die Selbstverständlichkeit von Frauenarbeit, die das Leben in Gang hält. Und dadurch Frauenleben oft mühsam und fremdbestimmt macht. Im Ergebnis sind beide Bücher freilich völlig unterschiedlich.

Susanne Gregor, die in der Slowakei geborene Autorin, die sich mit Romanen wie "Kein eigener Ort" (2012), "Territorien" (2015), "Das letzte rote Jahr" (2019) und "Wir werden fliegen" (2023) einen fixen Platz in der österreichischen Literatur erschrieben hat, entwickelt ihre Geschichte und ihre Figuren so langsam und sensibel, dass man angesichts des dramatischen Beginns fast ein wenig ungeduldig werden könnte: Wohin will dieses Buch?

Drei Frauen stehen im Mittelpunkt: Die in ihrem Beruf, der Sanierung von Villen, erfolgreiche Klara; ihre nach einem Schlaganfall hilfsbedürftige Mutter, die ihr bisher mit der Betreuung der Tochter beruflich den Rücken freigehalten hat; und die slowakische Pflegerin Paulína, die sich schon bald in allen Belangen der Haushaltsführung unentbehrlich macht, sodass jener männliche Pfleger, der alle zwei Wochen übernimmt, damit Paulina nach Hause kann, nur ein zwangsläufig geduldeter Gast im Haus ist.

Allmählich kristallisiert sich heraus, worum es geht: Um Frauenleben, die alle nicht ohne Verluste bleiben. Um "Halbe Leben" eben. Am eklatantesten fühlt sich Paulina halbiert, denn sie muss als geschiedene Alleinerzieherin ihre halbwüchsigen Buben jeweils bei ihrer Mutter unterbringen, um ihre gut bezahlten Dienste in Österreich absolvieren zu können. Immer, wenn es Probleme in der Schule gibt oder der Älteste seine erste Schlägerei hat, ist die Mama nicht greifbar. Das schlechte Gewissen wird größer. Umgekehrt richtet sich Karrierefrau Klara so gut ein in der neuen Situation mit der Altenpflegerin, die immer mehr zur Haushaltshilfe wird, dass sie sogar dem Wunsch ihres Mannes nach einem zweiten Kind nachgibt.

Männer in den Nebenrollen

Die Männer spielen nicht unwichtige Nebenrollen, und allmählich eskaliert die Situation. Es braut sich was zusammen. Wie wäre es mit einer kleinen gemeinsamen Wanderung zum Spannungsabbau? Unterwegs wartet allerdings ein Abhang, der steiler und gefährlicher ist, als es zunächst den Anschein hat. Doch nein: "Halbe Leben" ist kein Krimi. Susanne Gregor bleibt sich auch in diesem Buch ihrer Linie treu. Sie interessiert sich nicht für künstlich erzeugten Ausnahmezustand, sondern für die Schieflagen des Alltags. Bei denen manchmal einiges ins Rutschen kommt.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Susanne Gregor: "Halbe Leben", Zsolnay Verlag, 192 Seiten, 23,70 Euro; Buchpräsentation am 30.1., 19 Uhr, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Palais Wilczek, Wien 1, Herrengasse 5, Lesung am 31.1., 19.30 Uhr, in der Buchhandlung Kurdirektion, Bad Ischl, Bahnhofstraße 6)

ribbon Zusammenfassung
  • Susanne Gregors Roman 'Halbe Leben' beginnt mit einem mysteriösen Sturz und thematisiert die alltäglichen Herausforderungen von Frauenarbeit. Drei Frauen stehen im Zentrum: Klara, ihre pflegebedürftige Mutter und die slowakische Pflegerin Paulína.
  • Der Roman verzichtet auf künstliche Dramatik und beleuchtet die Schieflagen des Alltags. Die Männer spielen Nebenrollen, doch die Spannungen eskalieren. Das Buch wird am 30. Januar in Wien präsentiert und umfasst 192 Seiten.