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Äußere Zwänge, innere Kämpfe: "Drei Winter" im Burgtheater

Es war einmal ... Krieg in Europa. Als die kroatische Dramatikerin Tena Štivičić ihr Generationenstück "Drei Winter" im Jahr 2014 als Auftragswerk für das National Theatre in London schrieb, dachte sie an den Zweiten Weltkrieg und den Balkankrieg. Neun Jahre später kommen zu den Kriegsbildern, die Burgtheaterdirektor Martin Kušej nun auf die Bühne projiziert, aktuelle Aufnahmen aus der Ukraine dazu. Bei der Premiere am Samstag wurde deutlich: Umbrüche kommen plötzlich.

Die Geschichte Kroatiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die hier anhand der Jahre 1945, 1990 und 2011 erzählt wird, steht prototypisch für die Auswirkungen des Politischen auf das Private, für äußere Zwänge, die für innere Disruptionen sorgen. Für die drei Winter, die in ein und demselben Haus in Zagreb spielen, hat Annette Murschetz auf der Drehbühne jeweils baugleiche Altbau-Wohnzimmer geschaffen, die bis auf wenige Möbelstücke - mal eine Waschmaschine, mal ein Schreibtisch, mal ein Fernsehgerät - weitgehend leer bleiben. Es sind die verlassenen Räume eines nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Argentinien geflüchteten Aristokraten, der einst mit den Nazis kollaborierte. Das enteignete Haus wird in der ersten Szene an neue Bewohner vergeben. Was sie nicht ahnen - die Tochter des Hausherrn ist nach der Flucht aus der Psychiatrie in ihr Elternhaus zurückgekehrt und trifft dort ausgerechnet auf jenes ehemalige Dienstmädchen, das sie einst zwei Tage nach der Geburt deren Tochter auf die Straße gesetzt hat.

Dieses Baby - Ruža - ist mittlerweile eine junge Partisanin, die gemeinsam mit ihrer neugeborenen Tochter Mascha, ihrem kriegsversehrten Mann und ihrer Mutter (Sylvie Rohrer) in das scheinbar verlassene Haus einzieht. Nina Siewert verleiht dieser jungen, kämpferischen Frau eine gehörige Portion trotziger Überlegenheit und unverrückbare Ideologie. Diese spielt sie in einer Doppelrolle im Jahr 2011 auch als Ružas Enkelin Alisa aus, die Kroatien längst den Rücken gekehrt hat, in London lebt und nur für die Hochzeit ihrer Schwester Lucija (am Kipppunkt zum Nationalismus und Kapitalismus rund um den EU-Beitritt Kroatiens herrlich verblendet: Andrea Wenzl) in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist. Rasch entspinnt sich hier im 21. Jahrhundert ein Streit über das vermeintliche Recht auf die Eigentümerschaft des Hauses, das sich in den vergangenen 60 Jahren drei Familien geteilt haben.

Während die Figuren im Jahr 1945 über dicke Schichten von zerbrochenem Geschirr staksen, hadert die Familie des Jahres 1990 anlässlich des Begräbnisses von Ruža auf trockenem Ackerboden mit der eigenen Armut. Hier, an der Schwelle zum Kriegsausbruch, ist es Maschas Schwester Dunja (Zeynep Buyraç), die in Deutschland ihr Glück gefunden hat und mit kritischem Blick von außen zum Begräbnis ihrer Mutter nach Zagreb gefahren ist, wo sie erfährt, dass ihr (ebenfalls kroatischer) Ehemann ein glühender Nationalist geworden ist, der sofort bereit ist, für die kroatische Unabhängigkeit zur Waffe zu greifen.

Die schnellen Szenenwechsel, die mithilfe der Drehbühne und projizierten Kriegsbildern rasant vonstatten gehen, stehen in starkem Kontrast zu Kušejs entschleunigter Regie. Oft scheint nur wenig zu passieren, die gesetzten Pausen sind nicht selten bedeutungsvoller als das zuvor Gesagte. Hier hadert eine Familie unentwegt mit den politischen Verwerfungen, die einen Keil in das erhoffte familiäre Glück treiben. Dabei ist Regina Fritsch als Mascha eine starke Matriarchin im Zentrum, die sich am Vorabend der Hochzeit ihrer Tochter fragt, ob es richtig war, einst ihren nunmehrigen Ehemann (konsequent gegen den Pantoffel ankämpfend: Norman Hacker) zu heiraten. Als personifiziertes schlechtes Gewissen hat Barbara Petritsch als enteignete Aristokratin Karolina starke Momente, während Sylvie Rohrer als Ružas Mutter und ehemaliges Dienstmädchen im Haus nie zu Selbstbewusstsein gefunden hat.

Die Männer, die um diese vielen starken Frauen kreisen, fallen vor allem durch große Worte und weniger große Taten auf. Neben Hacker gerät auch Daniel Jesch als von der Geschichte zermahlener Ehemann Dunjas in eine brutale Defensive. Egal ob 1945, 1990, 2011 (oder in Kušejs Deutung auch 2023): Tena Štivičić macht in ihrem Stück deutlich, dass das persönliche Streben nach Stabilität, Gerechtigkeit und Frieden scheitern muss, wenn es die politischen Umstände nicht zulassen. Ein starker, mit dreieinhalb Stunden etwas zu lang geratener Abend, der mehr erzählt als nur einen Teil der europäischen Geschichte. Herzlicher Applaus.

(S E R V I C E - "Drei Winter" von Tena Štivičić, Regie: Martin Kušej. Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Heide Kastler. Mit u.a. Nina Siewert, Regina Fritsch, Barbara Petritsch, Daniel Jesch und Norman Hacker. Weitere Termine: 2., 9., 11. Mai. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Als die kroatische Dramatikerin Tena Štivičić ihr Generationenstück "Drei Winter" im Jahr 2014 als Auftragswerk für das National Theatre in London schrieb, dachte sie an den Zweiten Weltkrieg und den Balkankrieg.
  • Neun Jahre später kommen zu den Kriegsbildern, die Burgtheaterdirektor Martin Kušej nun auf die Bühne projiziert, aktuelle Aufnahmen aus der Ukraine dazu.
  • Das enteignete Haus wird in der ersten Szene an neue Bewohner vergeben.