Wirkstoff schützt effektiv vor HIV-Infektion
Bisher verwendete Mittel zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wie Truvada müssen täglich als Tablette genommen werden. Sich zweimal jährlich eine Injektion verabreichen zu lassen, sei wesentlich komfortabler als täglich an die Einnahme einer Tablette denken zu müssen, sagte Berner-Rodoreda.
Hinzu komme ein bestimmter Effekt: Gerade in einigen stark von HIV betroffenen Ländern gebe es bei der täglichen Einnahme von Tabletten das Risiko, im Umfeld als vermeintlich HIV-positiv abgestempelt zu werden. Eine nur zweimal jährlich verabreichte Spritze lasse sich weitaus besser geheim halten. Darum stehe außer Frage, dass Lenacapavir eine "riesen Erleichterung" für viele Menschen darstelle.
Wie schon die Vorgängerstudie "Purpose 1" wurde die Auswertung aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse vorzeitig beendet, um das Medikament allen Probanden und Probandinnen zur Verfügung stellen zu können, wie es vom Hersteller Gilead hieß. Für Lenacapavir solle nun die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragt werden. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet.
Das Mittel soll prophylaktisch Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden. Es hemmt den Lebenszyklus des Virus in mehreren Stadien der Infektion. Von der Effizienz her sei Lenacapavir mit Truvada vergleichbar, erklärte Max von Kleist von der Freien Universität Berlin. Beide böten einen hervorragenden, nahezu kompletten Schutz.
Bei den Ergebnissen der beiden "Purpose"-Studien wirke es zwar so, als gebe es in den mit Tabletten versorgten Kontrollgruppen anteilig einige Infektionen mehr - die Daten täuschten aber, erläuterte der Leiter der Forschungsgruppe "Mathematics for Data Science". Vielfach seien die Tabletten nicht regelmäßig oder gerade zum Ende des Untersuchungszeitraums auch gar nicht mehr genommen worden. Dass es dann zu Infektionen komme, verwundere nicht.
Lenacapavir ist in der EU bereits zur virushemmenden Behandlung bestimmter Patienten zugelassen, die schon infiziert sind.
Dabei gebe es ein Problem: Zur Behandlung bei bestehender Infektion eingesetzt koste Lenacapavir in den USA rund 42.000 Dollar pro Jahr - in dieser Größenordnung wäre es für Menschen in ärmeren Ländern unbezahlbar. Es sei zentral, dass der Zugang für solche Staaten ermöglicht werde, in denen das Mittel wirklich dringend gebraucht werde, betonte Berner-Rodoreda.
Bei wem und unter welchen Lebensumständen die Wahl auf Lenacapavir fallen sollte, müsse jeweils gut abgewogen werden, ergänzte von Kleist. Denn es gebe - wie generell bei solchen Wirkstoffen - das Risiko der Bildung von Resistenzen. Speziell bei Lenacapavir sei das Problem, dass der Wirkstoff nach einem Stopp der Injektionen noch etwa ein Jahr im Körper nachzuweisen sei. "Das fördert die Resistenzentwicklung." Resistent kann ein Erreger werden, wenn die Dosis eines Wirkstoffes nicht ausreicht, ihn zu beseitigen, ihn aber unter Selektionsdruck setzt.
Womöglich müsse nach dem Absetzen von Lenacapavir noch ein Jahr lang Truvada genommen werden, um die Bildung von Resistenzen bei einer Ansteckung in diesem Zeitraum zu verhindern, so von Kleist. Bei Truvada sei das entsprechende Risiko gering: Es verschwinde binnen einer Woche aus dem Körper, wenn es nicht mehr eingenommen werde.
"Purpose 2" umfasste knapp 3.300 HIV-negative Menschen, die häufiger Sex hatten. Zwei Personen in der Lenacapavir-Gruppe (ca. 2.200 Probanden) und neun in der zum Vergleich mit Truvada behandelten Gruppe (ca. 1.100 Probanden) infizierten sich mit HIV, wie es im Fachjournal heißt. Lenacapavir reduzierte das Infektionsrisiko damit um 96 Prozent gegenüber der Hintergrundinzidenz. Vertragen wurden beide Mittel im Allgemeinen gut.
Erst im Juli waren vielversprechende Ergebnisse der Phase-III-Studie "Purpose 1" auf der Welt-Aids-Konferenz in München vorgestellt und im "NEJM" präsentiert worden. Daran waren rund 5.300 HIV-negative Mädchen und junge Frauen in Südafrika und Uganda beteiligt. Bei den gut 2.100 Teilnehmerinnen, die zweimal im Jahr Lenacapavir gespritzt bekamen, gab es keine Infektion. In Kontrollgruppen mit rund 3.200 Teilnehmerinnen, die andere Medikamente zur Prävention eingenommen hatten, gab es 55 HIV-Infektionen.
Lenacapavir hat zwar präventive Wirkung vor einer Ansteckung, ist aber medizinisch gesehen keine Impfung, "sondern ein antivirales Medikament", erläuterte der Wiener Virologe und Immunologe Andreas Bergthaler im Sozialen Netzwerk Bluesky. "Bis dato gibt es leider trotz großer Anstrengungen weder eine präventive noch therapeutische HIV-Impfung", betonte er.
Das HI-Virus schwächt das Immunsystem und macht den Körper anfällig für verschiedene Erkrankungen. Das Krankheitsbild heißt Aids. Bei früher Erkennung und Behandlung haben Infizierte praktisch eine normale Lebenserwartung. Komplett beseitigen lässt sich die Infektion in den meisten Fällen allerdings nicht, darum ist die lebenslange Einnahme virushemmender Medikamente nötig.
Nach einem am Dienstag vorgestellten UNO-Bericht steigt in 28 Ländern die Zahl der HIV-Ansteckungen. Weltweit leben 39,9 Millionen Menschen mit dem Virus, der Großteil in Afrika südlich der Sahara, wie das UNO-Programms UNAIDS mitteilte. 2023 seien 630.000 Menschen im Zusammenhang mit Aids gestorben, 1,3 Millionen Menschen hätten sich neu mit dem HI-Virus infiziert.
Zusammenfassung
- Eine halbjährliche Injektion von Lenacapavir schützt effektiv vor HIV, wie die Phase-3-Studie 'Purpose 2' belegt.
- Lenacapavir reduziert das Infektionsrisiko um 96 Prozent gegenüber der Hintergrundinzidenz, mit nur zwei Infektionen in der Lenacapavir-Gruppe von 2.200 Teilnehmern.
- Die Anwendung von Lenacapavir ist komfortabler und diskreter als tägliche Tabletten, was besonders in stark betroffenen Ländern wichtig ist.
- Lenacapavir ist in der EU zur Behandlung von HIV-infizierten Patienten zugelassen, jedoch sind die Kosten von 42.000 Dollar pro Jahr in den USA ein Hindernis für ärmere Länder.
- Weltweit leben 39,9 Millionen Menschen mit HIV, mit 1,3 Millionen Neuinfektionen und 630.000 Aids-Toten im Jahr 2023.