Westantarktis-Eisschild überstand Wärme in Schrumpfvariante
Der Westantarktische Eisschild ist eines der großen Sorgenkinder im Zusammenhang mit der stark fortschreitenden Temperaturerhöhung: Es ist davon auszugehen, dass dort so viel Wasser gebunden ist, dass sein Abschmelzen den weltweiten Meeresspiegel um rund drei bis vier Meter anheben würde - mit entsprechenden Folgen für das Leben auf der Erde. Wissenschafter rätseln seit langem darüber, wie sich diese Eismasse, aber auch andere große potenzielle Beitragstäter, wie der Grönländische- oder der Ostantarktische Eisschild, während der letzten stark ausgeprägten Wärmeperiode in etwa vor 130.000 bis 115.000 Jahren verhalten haben. Damals war es in der Antarktis im Schnitt rund drei Grad wärmer und der Meeresspiegel lag einige Meter über dem aktuellen Niveau.
Einige Experten schätzen, dass die Mega-Gletscher über Land, die von riesigen Eisflächen im vorgelagerten Ozean (Schelfeis) quasi fixiert und vor an ihrer Unterseite nagendem wärmeren Meerwasser geschützt werden, komplett kollabiert sein könnten. Unter der Leitung der Universität Cambridge wurde nun der Eiskern untersucht, der an der Grenze des Eisschildes zum Ronne-Schelfeis an einer Küstenkuppel namens "Skytrain Ice Rise" in entbehrungsreichen, zweimonatigen Bohrungen entnommen wurde. Der Ort wurde gewählt, weil dort besonders altes Eis zu erwarten war, wie die Forscherinnen und Forscher in ihrer Arbeit im Fachblatt "Nature" schreiben.
Zuerst analysierte man den Salzgehalt in der Eiskern-Säule. Je mehr Salz über die Zeit hinweg im Eis zu finden ist, desto näher muss der heute 680 Kilometer vom offenen Meer entfernte Ort einmal am Wasser gelegen haben. Wäre das Schelfeis komplett weg gewesen, hätte das offene Meer schon in 50 Kilometer Entfernung begonnen. Dem war aber offensichtlich auch in der Warmzeit nicht so, die fast gleichbleibenden Salzkonzentrationen lassen auf recht beständig ausgedehntes Schelfeis schließen.
Erkenntnisse mit Relevanz im Heute
Aufgrund der Zusammensetzung der im Eis eingelagerten kleinen Mengen an Wasserisotopen lässt sich aber auch auf die einst dort vorherrschenden Temperaturen schließen, wie Marina Dütsch vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Uni Wien der APA erklärte: Die verschieden schweren Isotope verhalten sich im Kreislauf etwas anders. Auf Basis ihrer Konzentration kann also auf die atmosphärische Zirkulation an einem Ort rückgeschlossen werden, so die Wissenschafterin, die im Rahmen der Publikation an diesem Analysestrang beteiligt war. Die gefundenen Isotopen-Verteilungen in den Bohrkernen wurden dann mit Wetter-Modellsimulationen für das Gebiet verglichen. Die im alten Eis gefundenen Muster passten grundsätzlich zu der Simulation mit einem stark dezimierten Eisschild, so Dütsch.
So lag der Anteil an schweren Wasserisotopen - sprich H2O mit Sauerstoff-18 - in etwa halb so hoch, wie er zu erwarten wäre, wenn die Gegend einst nahezu eisfrei gewesen wäre. Demnach weisen die Daten darauf hin, dass in dieser letzten großen Warmzeit der Eisschild zwar um rund die Hälfte an Volumen abgenommen hat, aber eben nicht kollabiert ist. Für Dütsch hat man es hier mit dem ersten "Beleg" zu tun, dass es zu einem starken Schrumpfen gekommen ist. Das heißt wiederum aber auch, dass dieser Eisschild nicht wie angenommen der Hauptverursacher des Meeresspiegelanstiegs war.
Neue Fragezeichen um Ostantarktischen Eisschild
Das sei aus heutiger Sicht zwar eine eher gute Nachricht, wirft aber wiederum viele Fragen zum Ostantarktischen Eisschild auf: Diese Eismasse gilt landläufig als stabiler gegenüber Erwärmung, enthält aber auch ungleich mehr gebundenes Süßwasser, das die Ozeane um über 50 Metern anheben könnte. "Es könnte sein, dass wir neu bewerten müssen, ob der ostantarktische Eisschild auch eine wichtige Quelle für Süßwasser war", so Rachael Rhodes von der Uni Cambridge.
Wie erwartet zeigte sich, dass die Westantarktis vor über 100.000 Jahren tatsächlich signifikant wärmer war. Sie erwärmte sich damals auch stärker als andere Teile des Südkontinents - der gleiche Effekt zeigt sich übrigens heute. "Die Untersuchung der Anfälligkeit dieses Eisschildes während der letzten Warmzeit könnte uns helfen, besser vorherzusagen, wie das Eis des Kontinents in Zukunft reagieren wird", so der Hauptautor der Studie, Eric Wolff.
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41586-024-08394-w)
Zusammenfassung
- Ein Forschungsteam entnahm 2019 in der Westantarktis einen 651 Meter tiefen Eisbohrkern, der zeigt, dass der Eisschild vor 125.000 Jahren nicht vollständig schmolz.
- Der Westantarktische Eisschild könnte den Meeresspiegel um drei bis vier Meter anheben, falls er abschmilzt.
- Analysen des Salzgehalts im Eis deuten auf ein beständiges Schelfeis während der Warmzeit hin.
- Isotopenanalysen belegen, dass der Eisschild um die Hälfte schrumpfte, aber nicht kollabierte.
- Diese Erkenntnisse werfen neue Fragen zur Stabilität des Ostantarktischen Eisschilds auf.