Austro-Ärztin an der Front: Tragisches Ende für "Schutzengel"
"Sie hat mit Soldaten gesprochen, als seien sie ihre eigenen Brüder. Ihre Stimme war wie ein Schmerzmittel", erinnert sich Unfallchirurg Alexis an seine Kollegin Natalia, die Ärztin, die die Freiwilligen der Hosptallers Ukraine "Die Österreicherin" nannten. "Sie wurde zu unserem Schutzengel", sagt sein Kollege, Anästhesist Dimitri.
Natalia war 47, Kieferchirurgin, Österreicherin mit ukrainischen Wurzeln, Mutter einer erwachsenen Tochter und verheiratet mit dem Innsbrucker Radiologen Ferdinand Frauscher.
Natalia arbeitete ehrenamtlich im Jemen, in Nordkorea und Uganda. Als in der Ukraine der Krieg ausbrach, fuhr sie hin, um zu helfen. Die Hospitallers Ukraine fahren mit umgebauten Fahrzeugen an die Frontlinie, retten Verletzte aus Schützengräben, leisten Erste Hilfe am Schlachtfeld. Mehr als 3.000 Personen haben sie seit Kriegsbeginn evakuiert. Es sind 800 Freiwillige, viele davon aus dem Ausland, die sich unbewaffnet großer Gefahr aussetzen.
Die letzte Fahrt
Am 26. Juni 2022 waren Natalia, Dimitri und Alexis auf dem Rückweg. Am nächsten Tag will Natalia zurück nach Innsbruck fahren, zurück zu ihrem Mann Ferdinand und ihrem Hund. Sie wollen nach Südfrankreich, um ihren Hochzeitstag und Ferdinands Geburtstag zu feiern.
Plötzlich beginnt der Beschuss, sie drehen die Lichter am Bus ab, um nicht zum Ziel zu werden. Dimitri und Alexis sitzen vorne, tratschen mit dem Busfahrer, Natalia und weitere Kollegen schlafen hinten. In der Dunkelheit übersieht der Busfahrer ein Militärfahrzeug.
Benzin und Sauerstoff: Der Bus ist wie ein Pulverfass
Dimitri wird durch den Aufprall aus dem Bus geschleudert. Als er sich umdreht, sieht er, dass die Fahrerkabine das einzige ist, was heil geblieben ist. Alexis Hand wird eingequetscht. Dimiti zerrt ihn in ein Sonnenblumenfeld, erkennt, die Hand muss amputiert werden.
Der Bus ist wie ein Pulverfass, sagt Alexis. Für die Schwerverletzten haben sie Sauerstoff an Bord - und Benzin. Trifft ein Geschoss den Bus, fliegt alles in die Luft. Es sei furchteinflößend. In jener Nacht schreit jemand, dass Benzin austritt. Dann wird er bewusstlos.
"Natalia taut dein eingefrorenes Herz auf"
Die Arbeit habe ihn zynisch gemacht, sagt der Mediziner, er sieht den Tod und die Verzweiflung in den Augen seiner Patienten regelmäßig und kann trotzdem emotionalen Abstand halten. "Über den Tod meiner Kollegen kann ich das nicht sagen. Wenn du gesehen hast, wie Natalia mit Menschen umgeht, taut dein eingefrorenes Herz ein klein wenig auf."
"Du musst mich jetzt anrufen, es ist Natalia"
In jener Nacht sieht Natalias Ehemann Ferdinand, dass er einen Anruf aus der Ukraine verpasst hat. "Ich ruf' dich morgen an", schreibt er zurück. "Nein, du musst mich jetzt anrufen, es ist Natalia", sieht er plötzlich am Handy.
Jeden Tag ein SMS für seine tote Frau
Monate sind seither vergangen. Ferdinand schreibt seiner Frau noch immer täglich SMS. Das hilft. "I sag ihr dann immer, sie soll sich a g'scheite Wolke besorgen da oben, wo ich mit meinem G'wicht einen Platz hab."
Ein Frontbus für "die Österreicherin"
Zurückholen kann er sie nicht, aber ihr Lebenswerk fortsetzten. Der Radiologe hat einen neuen Bus, eine neue fahrende Intensivstation organisiert und von Österreich in die Ukraine geschickt. Die Kollegen aus dem Medizinbattalion haben Natalias Gesicht riesengroß auf den Bus gemalt. Umrahmt von Sonnenblumen, zwischen denen sie starb. Der Name des Fahrzeugs: "Die Österreicherin".
"Ihre Stimme war wie ein Schmerzmittel"
Alexis und Dimitri erinnern sich ihren "Schutzengel" Natalia
Zusammenfassung
- Natalia Frauscher, österreichische Kieferchirurgin mit ukrainischen Wurzeln, wurde aufgrund ihres Einsatzes in Kriegsgebieten als 'Die Österreicherin' bekannt und starb am 26. Juni 2022.
- Ihr Engagement und das ihrer Kollegen vom Freiwilligenbataillon, darunter der Anästhesist Dimitri 'Dima' Sachkov und der Unfallchirurg Alexis Cholas, ermöglichte die Rettung von mehr als 3.000 Verletzten in der Ukraine.
- Bis zu einer tragischen Nacht im Juni 2022.
- Einen Tag vor ihrer Rückreise nach Tirol, bekam ihr Ehemann Ferdinand einen Anruf. "Es ist Natalia ...".
- Heute noch schreibt er ihr jeden Tag eine SMS, sie möge ihm ein Plätzchen auf ihrer Wolke freihalten.
- Zurückholen kann er sie nicht. Stattdessen hat er einen Bus als fahrende Intensivstation organisiert. Ihre Kollegen malten Natalias Gesicht darauf. "Die Österreicherin" heißt der Bus, der weiter Leben rettet.