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Fall Leon: Mutter "von Unschuld überzeugt"

Der zweite Tag vor Gericht im Prozess gegen jenen Vater, dem vorgeworfen wird, er habe seinen Sohn im August 2022 im Tiroler St. Johann getötet, startete unerwartet. Der Anwalt des Angeklagten wollte zwei Geschworene und einen Sachverständigen für befangen erklären. Das wurde aber abgelehnt. Die Ehefrau des Angeklagten beschwor indes, von der Unschuld ihres Mannes überzeugt zu sein.

Im Sommer 2022 wurde der damals sechsjährige Leon tot bei der Kitzbüheler Ache in St. Johann in Tirol aufgefunden. Wie es so weit kam, wird seit Mittwoch am Innsbrucker Landesgericht verhandelt.

Die Staatsanwaltschaft hat den 39-jährigen Vater des gesundheitlich beeinträchtigten Kindes wegen Mordes angeklagt. Dieser beteuerte jedoch am ersten Prozesstag unter Tränen, wie sehr er seinen Sohn geliebt habe und dass er ausgeraubt worden sei.

Er sei mit einer Flasche geschlagen worden und in Ohnmacht gefallen. Der Bub sei dann in der Ache ertrunken. Der deutsche Staatsbürger bekannte sich nicht schuldig.

Neben dem Angeklagten kamen am ersten Prozesstag aber auch die gerichtsmedizinischen und psychiatrischen Sachverständigen zu Wort, die der Version des Vaters weitgehend widersprachen.

Video: Prozess um Leons Tod

Der gerichtsmedizinische Sachverständige Walter Rabl führte etwa an, dass die Verletzung des Angeklagten - eine kleine Rissquetschverletzung am Hinterkopf und einige Abschürfungen im Gesicht - wohl nicht zu einer so lange andauernden Ohnmacht geführt haben dürfte. Auch für die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter war eine lange Bewusstlosigkeit aus neurologischer Sicht nicht erklärbar, es gebe keinen "objektiven Grund" dafür.

Debatte um Befangenheit

Außerdem sah Staatsanwalt Joachim Wüstner stichhaltige Beweise gegen den Mann vorliegen. Videoaufnahmen würden etwa zeigen, dass sich im Kinderwagen eine Sektflasche befunden habe und darauf DNA-Spuren vom Kind nachweisbar gewesen seien. Es gebe zudem keine DNA-Spuren von einem etwaigen Täter am Handy oder der Kleidung des Angeklagten - somit sei dies nicht mit dem angeblichen Raubüberfall in Einklang zu bringen.

Am Donnerstag, dem zweiten von vorerst drei angesetzten Prozesstagen, holte die Verteidigung zum Gegenschlag aus: Mathias Kapferer und Albert Heiss, die Anwälte des Angeklagten, stellten Befangenheitsanträge gegen zwei Geschworene und den gerichtsmedizinischen Sachverständigen Rabl, da am Ende des ersten Prozesstages am Mittwoch ein Gespräch zwischen den Dreien stattgefunden haben soll.

Der Bruder des Angeklagten sowie weitere Zeuginnen sagten aus, am Mittwoch nach der Verhandlung zwei Geschworene in einem Gespräch mit Gerichtsmediziner Rabl gesehen zu haben. Rabl soll zu den zwei Geschworenen gemeint haben: "Na, da habt's einen Fall ausgefasst".

Anträge abgelehnt

Verteidiger Heiss meinte, dass die "Optik der Befangenheit" ausschlaggebend sei. Einer der betroffenen Geschworenen meinte allerdings, dass er den Gutachter nur auf einen "schiefen Gürtel" angesprochen habe. Der Richtersenat unter dem Vorsitz von Andreas Fleckl entschied daher, dass Rabl erneut vor dem Gericht erscheinen sollte, um die Frage zu klären. Bis dahin wurde Prozess kurzzeitig unterbrochen. 

Rabl kam und erklärte sich. Eine Bemerkung während seiner Befragung am Vortag zu einer etwaigen Fußverletzung des Angeklagten sei "ungeschickt" gewesen, gab er zu. Der Antrag auf Befangenheit wurde dennoch abgelehnt. Auf ein von der Verteidigung vorgebrachtes gemeinsames Mittagessen zwischen Staatsanwalt, einem Geschworenen sowie einem Mitglied des Schwurgerichts ging Richter Fleckl nicht weiter ein.

Danach kamen dann die eigentlich für den zweiten Prozesstag vorgesehen Zeugenaussagen dran. Dabei stand die Aussage der Ehefrau und Mutter des Buben im Fokus. 

Unter Tränen umarmte die Ehefrau des Angeklagten eingangs ihrer Befragung am Nachmittag ihren Mann. Schluchzend schilderte sie, wie sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte. Ihr Mann habe so etwas "Bestialisches", wie in der Anklage vorgeworfen, keinesfalls gemacht, da sei sie sich absolut sicher, beschwor die Ehefrau des Angeklagten: "Nicht nur, weil er mein Mann ist."

Als Veränderung danach sei ihr lediglich aufgefallen, dass ihr Mann starke "Ängste" entwickelt habe. Scharfe Kritik übte die Frau an der Polizeiarbeit - sie habe sich von den Ermittlern nicht ernst genommen gefühlt, außerdem sei Hinweisen wie beispielsweise zusätzlichen Videoüberwachungsaufnahmen nicht oder zu spät nachgegangen worden. 

Stabile Betreuungssituation

Die Frau bestätigte auf Nachfrage, dass der Buggy des Kindes frei zugänglich beim Haus gestanden sei. Eine Flasche wie jene, mit der der Angeklagte niedergeschlagen worden sein soll, habe sie nicht gesehen. Sie bestätigte Angaben des Angeklagten vom Vortag, wonach ihr Sohn im Vorfeld des Vorfalls enorme "Fortschritte" auf mehreren Ebenen gemacht hatte, auch sei die Betreuungssituation zuletzt stabil gewesen.

Die im Prozess erwähnte Kindergartenabsage sei "ärgerlich" gewesen, räumte die Frau ein, das habe aber nichts mit "irgendeiner Art von Überforderung" zu tun. Auch bestätigte sie, dass ihr Mann physische Probleme im Schulterbereich gehabt habe.

Ermittler wurden befragt

Am späten Nachmittag gaben mehrere Polizeibeamte Einblicke in die Ermittlungen, während die Verteidiger durch Nachfragen die Ordnungsmäßigkeit ebenjener in Zweifel zogen. Ein Chefinspektor und in diesem Fall Ermittlungsleiter des LKA schilderte Versuche, in denen getestet wurde, wie die infrage stehende Flasche zersplittern könne.

Dabei sei ein "erheblicher Kraftaufwand" nötig, man habe die Flasche dazu in den Versuchsreihen auf den Boden schlagen müssen. Zum vom Angeklagten angeblich beobachteten "Kapuzenmann" meinte der Ermittler, dass er von Details dazu erst aus den Medien erfahren habe.

Dass ein Überwachungsvideo der Kamera einer Supermarktkette nicht gesichert hatte werden können, bestätigte der Ermittler: "Da ist ein Fehler passiert."

Kein Verfolger gesichtet

Ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA), der die Videos gesichtet hatte, erklärte, dass auf keinem der ihm bekannten Videos ein Verfolger des Angeklagten zu sehen gewesen sei. Ein weiterer LKA-Beamter sagte zu dem in einem Mülleimer nahe dem Tatort sichergestellten Smartphone des Angeklagten aus.

Nach 3.34 Uhr seien keine Schritte mehr auf dem Gerät aufgezeichnet worden, so der Beamte. Der Schrittzähler habe fehlerfrei funktioniert, dies habe er auch in Versuchsreihen getestet, so der Experte auf Nachfrage der Verteidiger.

Schließlich wurde jener Experte des Bundeskriminalamts (BKA) befragt, der Videos zur genaueren Sichtung technisch "optimiert" hatte. Er habe jedoch nur die Erkennbarkeit visuell verbessert und nichts verändert.

Vater laut Sanitäter rasch ansprechbar

Zuvor schon wurde auch jener Mann befragt, der den 39-Jährigen aufgefunden hatte. Der Hundebesitzer gab an, den Beschuldigten gegen 4.30 Uhr früh regungslos, am Bauch liegend und mit aufgestellten Füßen entdeckt und anschließend die Rettung verständigt zu haben.

Verteidiger Albert Heiss versuchte, Widersprüche in den Aussagen des Zeugen zu entdecken, indem er die Farbe der Schuhsohlen, die Position des am Boden liegenden Regenschirms oder etwa die offenbar ursprünglich angenommene Vermutung des Zeugen, dass der am Boden Liegende tot sei, ins Treffen führte.

Rettungssanitäter und ein Notarzt, die dann gerufen worden waren, erzählten, dass der Angeklagte dann schnell zu Bewusstsein gekommen und rasch orientiert gewesen sei. Der Arzt sowie die behandelnde Spitalsärztin sprachen von keinen schweren Verletzungen, die der Angeklagte von dem angeblichen Raubüberfall mitsamt Schlag mit einer Flasche auf den Hinterkopf davongetragen hatte.

Zeugen üben Kritik an Behörden

Angehörige und Betreuerinnen des Kindes wiederum bestätigten einerseits, dass Leon Wasser mochte - und deswegen von alleine zur Ache gelaufen sein könnte. Andererseits übten sie Kritik an den Ermittlungsbehörden: Der Schwager des Angeklagten, der das Kind auch als Taufpate immer wieder betreut hatte, schilderte, er habe noch einige Zeit nach dem Vorfall Scherben am Tatort gefunden und diese beim Landeskriminalamt abgegeben. Die Beamten hätten diese vermeintlich "lustlos" in Empfang genommen.

"Viele Gerüchte im Dorf"

Zeuge Josef Obermoser im Interview.

Bei der Befragung durch die Polizei sei ihm außerdem gesagt worden, dass positive Schilderungen zum nunmehr Angeklagten "niemanden interessieren" würden. Im Vorfeld hatten die Verteidiger die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft in Zweifel gezogen.

Zwischen den Verteidigern und Richter Andreas Fleckl entspann sich zwischenzeitlich eine Diskussion über die Zulässigkeit von Fragen zum Familienleben des Angeklagten und dem gesundheitlichen Zustand des Kindes. Diese Umstände "könnten eine Basis dafür bieten, sich ein Motiv zusammenzureimen", aber trügen nichts zur Klärung der Schuldfrage bei, so Richter Andreas Fleckl.

Weiter verhandelt wird zumindest auch noch am 1. August.

ribbon Zusammenfassung
  • Der zweite Tag vor Gericht im Prozess gegen jenen Vater, dem vorgeworfen wird, er habe seinen Sohn im August 2022 im Tiroler St. Johann getötet, startete unerwartet.
  • Die Verhandlung wurde kurzzeitig unterbrochen. Der Anwalt des Angeklagten wollte zwei Geschworene und einen Sachverständigen für befangen erklären.
  • Das wurde aber abgelehnt.
  • Danach kamen dann die eigentlich für den zweiten Prozesstag vorgesehen Zeugenaussagen dran.
  • Die Ehefrau des Angeklagten beschwor, von der Unschuld ihres Mannes überzeugt zu sein.
  • Verwandte des Vaters kritisierten als Zeugen die Behörden.