Prozess gegen russischen Arzt wegen Millionenbetrugs in Wien
Der 65-Jährige wies die gegen ihn gerichteten Vorwürfe vehement zurück und gab dem Schöffensenat (Vorsitz: Christian Böhm) von Beginn an zu verstehen, er habe es nicht nötig, krumme Dinger zu drehen. Er sei ein "bekannter Arzt und Professor", habe sich ein Vierteljahrhundert seiner Ausbildung gewidmet und bisher 3.000 Operationen durchgeführt. Dabei sei er "eher Wissenschafter. Ich beschäftige mich mit Impfungen gegen Krebs und gegen Viren", ließ der Mann die Dolmetscherin übersetzen. So sei er in die Entwicklung einer Vorstufe des russischen Anti-Corona-Impfstoffs Sputnik V eingebunden gewesen, behauptete der Angeklagte.
Der Staatsanwalt sah dagegen in ihm in erster Linie einen gerissenen Betrüger. Der Mann habe es verstanden, ein System zu entwickeln, mit dem sich Dutzende Schwerkranke aus der ehemaligen Sowjetunion in Österreich auf Kosten des Steuerzahlers behandeln lassen konnten. Demnach ließ der Arzt den Mitangeklagten - einen 54-jährigen Bürodienstleister - etliche Kommanditgesellschaften gründen. Die Kranken wurden als Kommanditisten eingetragen, wobei laut Anklage fälschlicherweise vorgegeben wurde, sie würden für die Gesellschaften Tätigkeiten verrichten. Mit dieser Begründung ließ sich eine Versicherung im österreichischen Sozialversicherungssystem erwirken, wobei in etlichen Fällen Kinder mitversichert wurden, die einer medizinischen Behandlung bedurften, weil sie zum Beispiel an Krebs erkrankt waren.
"Das Ganze war eine Täuschung", betonte der Staatsanwalt. Die Versicherten hätten in Wahrheit nie eine berufliche Tätigkeit für die Gesellschaften entfaltet: "Der einzige Zweck war, dass sie bzw. ihre Kinder in Österreich eine Behandlung bekommen." Der armenischstämmige Arzt habe das Ganze auch auf einer eigens eingerichteten Homepage beworben, den Krankentransport und die Behandlungen organisiert und als Dolmetscher fungiert.
Bei einer Hausdurchsuchung an der Wiener Adresse des 65-Jährigen konnte eine Visitkarte sichergestellt werden, die ihn als einen am Wiener AKH tätigen Arzt auswies. Dort kannte man ihn allerdings nur als Kollegen von außerhalb, der immer wieder beharrlich eigene Patienten unterzubringen versuchte. "Die Ärzte waren zum Teil erbost über sein Verhalten. Manchmal wurde er rausgeschmissen, weil er so lästig war", verriet der Staatsanwalt.
Dass die Sache auf Betrug angelegt war, war der Anklagebehörde zufolge auch daran zu ersehen, dass die versicherten Personen mit Touristenvisa aus Russland anreisten und sich gar nicht um einen berufsbedingten Aufenthaltstitel bemühten. Dauerten die Behandlungen dann länger als erwartet, wurde mitunter humanitäres Bleiberecht beantragt.
Die Sozialversicherung übernahm die Kosten für sehr teure Krebstherapien, die sich in Einzelfällen mit mehr als 100.000 Euro zu Buche schlugen. Auch kostspielige Krebsmedikamente wurden bezahlt, "wobei der Verdacht besteht, dass diese auch nach Russland verschickt wurden", wie der Staatsanwalt ausführte.
"Die Anklage enthält viele Unschärfen", konterte Andreas Reichenbach, der Verteidiger des Arztes. Er verwies auf den "imposanten Lebenslauf" des 65-Jährigen: "Er hat sein ganzes bisheriges Leben der Medizin gewidmet. Er hat 278 Artikel in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften publiziert. Er hat 260 Patente angemeldet. Er ist ein Krebsspezialist, ein unglaublich anerkannter Mediziner."
Als zweites Standbein habe der Arzt sich auf die Produktion und den Handel von bzw. mit Sojakaviar eingelassen und mehrere Firmen gegründet. Dafür habe er Mitarbeiter benötigt, die er als Kommanditisten in den Gesellschaften eingetragen habe. "Die waren oft lange vor ihrer Erkrankung in den Firmen tätig", betonte Reichenbach.
Sein Mandant sei "kein Kurpfuscher", stellte der Anwalt abschließend klar. Vielmehr habe er "mit seiner Expertise vielen Leuten geholfen", Kontakte zu anderen Ärzten vermittelt und sei nie auf einen finanziellen Vorteil aus gewesen.
Der Mitangeklagte war teilweise geständig. Dessen Verteidiger Markus Bachmann bezeichnete den 54-Jährigen als "vertrauensseligen Menschen". Als solcher habe er die Kaviar-Geschäfte des Erstangeklagten für glaubwürdig gehalten, daher auf dessen Auftrag hin Gesellschaften gegründet und Versicherungsanträge ausgefüllt. "Es war ein Schreibservice. Er war anfänglich der Meinung, dass alles rechtens ist", sagte Bachmann. Der Erstangeklagte habe es verstanden, "Leute in seinen Bann zu ziehen". Das sei auch seinem Mandanten widerfahren: "Er war sehr beeindruckt, dass der Herr Doktor sich die Post ins Ritz Carlton zustellen hat lassen, in Nobel-Hotels residiert und einen teuren Mercedes gefahren hat."
Irgendwann wären dem 54-Jährigen aber doch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorgänge gekommen, räumte Bachmann ein. Er habe den Arzt zur Rede gestellt, dieser habe beschwichtigt, der 54-Jährige sei "leider nicht ausgestiegen".
Der Betrugsprozess ist vorerst bis in den März hinein anberaumt. Den Angeklagten drohen bei Schuldsprüchen bis zu zehn Jahre Haft.
Zusammenfassung
- Ein russisch-armenischer Arzt und Wissenschafter sitzt seit sieben Monaten in Wien in U-Haft, am Dienstag hat am Landesgericht sein Prozess wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs begonnen.
- Der Mann habe es verstanden, ein System zu entwickeln, mit dem sich Dutzende Schwerkranke aus der ehemaligen Sowjetunion in Österreich auf Kosten des Steuerzahlers behandeln lassen konnten.
- Den Angeklagten drohen bei Schuldsprüchen bis zu zehn Jahre Haft.