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Opfer von Avignon: "Nicht wir müssen uns schämen, sondern sie"

51 Männer sind in Frankreich angeklagt, sie alle sollen Gisèle P. vergewaltigt haben - auf den Auftrag ihres Ehemannes hin. Am Mittwoch sagte die 72-Jährige selbst aus und skizzierte, wie ihr Mann sie jahrelang hinters Licht geführt hatte. Sie wandte sich auch an andere Vergewaltigungsopfer: Scham für das Vorgefallene sollten die Täter empfinden, nicht die Opfer.

Mehr als ein Jahrzehnt lang ließ Dominique P. seine Ehefrau Gisèle immer wieder von Fremden vergewaltigen, betäubte sie dazu und lud die Männer in ihr gemeinsames Zuhause ein. Nur durch Zufall flog er auf, seit Anfang September steht er gemeinsam mit 50 anderen Männern vor Gericht. Der Prozess erschüttert Frankreich, fast hundertmal soll die heute 72-jährige Gisèle vergewaltigt worden sein.

"Ich bin eine Frau, die völlig am Boden zerstört ist und nicht weiß, wie ich mich davon erholen soll", sagte Gisèle am Mittwoch. Erstmals seit Prozessbeginn wurde sie befragt - in ganz Frankreich gilt sie mittlerweile als feministische Ikone. Sie hatte gleich zu Anfang erfolgreich dafür gekämpft, dass die Videos der Vergewaltigungen öffentlich vor Gericht gezeigt werden.

Am Mittwoch erklärte sie ihre Entscheidung und wandte sich an Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden. Sie habe gewollt, dass diese Frauen sagen können: "Frau P. hat es geschafft, wir können es auch schaffen. Wenn man vergewaltigt wird, muss man sich schämen, nicht wir müssen uns schämen, sondern sie."

Galerie: Gisèle P. bei Prozess

Drogen im Essen

Bei ihrer Befragung gab sie auch Einblicke in ihr früheres Eheleben. Dominique P. hatte zuvor bereits zugegeben, ihr Medikamente ins Essen gemischt, um sie zu betäuben. 

"Er hat viele Mahlzeiten zubereitet. Ich habe das als seine Aufmerksamkeit empfunden", erzählte Gisèle. An den Mahlzeiten habe sie nichts Merkwürdiges entdeckt. Ihr Mann habe ihr Eis ans Bett gebracht, ihre Lieblingssorte Himbeere. "Und ich dachte: 'Was habe ich für ein Glück, er ist ein Lieber'."

Morgens sei sie dann unwissend aufgewacht. 

Mann begleitete sie zu Ärzten

Ihre Beschwerden in der Früh hätten sich gehäuft, sagte Gisèle. Sie sei nicht nur unerklärlich müde gewesen, sondern habe mehrmals das Gefühl gehabt, die Fruchtblase sei geplatzt - als stünde sie kurz vor einer Geburt.

Drei verschiedene Gynäkologen habe sie deswegen konsultiert. Ihr Mann habe sie begleitet, er sei jemand gewesen, dem sie "vollkommen vertraute". An Dominique gerichtet, wiederholte sie: "Ich habe mir so oft gesagt, was für ein Glück ich habe, dich an meiner Seite zu haben."

Rache für Affäre?

Vor Gericht kam auch die Frage auf, ob Dominiques Handeln späte Rache für eine außereheliche Beziehung von Gisèle sein könnte. Diese Idee hatte ein anderer Angeklagter in den Raum geworfen, dem gegenüber Dominique das gesagt haben soll.

"Ich habe oft gedacht, dass er sich vielleicht nie von der Tatsache erholt hat, dass ich in meinem Leben jemanden kennengelernt habe", antwortete die 72-Jährige. "Ich dachte: War es nicht vielleicht Rache, weil er so sehr unter dieser Affäre gelitten hatte? Aber das war Jahre später, wir hatten darüber gesprochen."

Sie betonte aber: Auch ihr Mann hatte Affären

Dass sie sich für Dominiques Handeln verantwortlich fühle, wies sie scharf zurück: "Natürlich fühle ich mich heute für nichts verantwortlich. Heute bin ich vor allem ein Opfer".

Entschlossen, "die Gesellschaft zu verändern"

Dass sie für die Entscheidung, den Prozess öffentlich zu führen, "mutig" sei, sah die 72-Jährige anders. "Das ist keine Tapferkeit, das ist der Wille und die Entschlossenheit, die Gesellschaft zu verändern", schloss sie ihre Befragung.

Der Prozess soll noch bis 20. Dezember dauern. Dominique P. hat seine Taten gestanden.

Der Missbrauch wurde 2020 zufällig entdeckt, als der Pensionist in einem Supermarkt mehren Frauen unter den Rock filmte. Die Polizei beschlagnahmte seinen Laptop und fand darauf rund 20.000 penibel nach Datum und Männernamen sortierte Fotos und Videos. Darauf zu sehen waren die Vergewaltigungen seiner Frau im gemeinsamen Ehebett.

ribbon Zusammenfassung
  • 51 Männer sind in Frankreich angeklagt, sie alle sollen Gisèle P. vergewaltigt haben - auf den Auftrag ihres Ehemannes hin.
  • Am Mittwoch sagte die 72-Jährige selbst aus und skizzierte, wie ihr Mann sie jahrelang hinters Licht geführt hatte.
  • Sie wandte sich auch an andere Vergewaltigungsopfer: Scham für das Vorgefallene sollten die Täter empfinden, nicht die Opfer.
  • "Ich bin eine Frau, die völlig am Boden zerstört ist und nicht weiß, wie ich mich davon erholen soll", sagte Gisèle.
  • Vor Gericht kam auch die Frage auf, ob Dominiques Handeln späte Rache für eine außereheliche Beziehung von Gisèle sein könnte.
  • Dass sie sich für Dominiques Handeln verantwortlich fühle, wies sie scharf zurück: "Natürlich fühle ich mich heute für nichts verantwortlich. Heute bin ich vor allem ein Opfer".