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Ohne Mutationssprung dürfte CoV-Herbst ruhiger verlaufen

Beim Blick auf die Covid-Entwicklung im Herbst hofft der Genetiker Ulrich Elling, "dass es keinen Mutationssprung in eine andere Richtung gibt". Übernimmt keine überraschende, besonders "fitte" SARS-CoV-2-Variante, könnten die kommenden Monate weiter "ruhiger" verlaufen. Dass die nächste Welle kommt, ist für den Experten aber sicher, zudem könnte in einem Winter ohne Maßnahmen auch Influenza durchstarten. Die Mutationsdynamik behält man in Österreich weiter im Blick.

Momentan ist in Sachen Variantenentwicklung "mehr oder weniger noch alles ruhig", so der am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätige Forscher im Gespräch mit der APA. Elling und sein Team betreiben am IMBA einen zentralen Teil des österreichischen Variantenmonitorings. Während andere Länder ihre Anstrengungen beim Sequenzieren des SARS-CoV-2 Erbguts zuletzt zurückgefahren haben, habe man hierzulande einen relativ guten Überblick.

Aktuell richtet sich der Fokus zum Beispiel auf die neue Omikron-Untervariante BA.2.75. Sie hat zuletzt in Indien eine kleinere Welle verursacht, tritt auch überall in Europa auf und scheint dementsprechend gut an die aktuelle Situation angepasst. Da Wiener Testlabors auch selektiv das Erbgut in Proben analysieren, die mögliche neuere Varianten enthalten, gibt es vor allem aus der Bundeshauptstadt im nationalen und internationalen Vergleich viele Daten. Dementsprechend finden sich darunter auch relativ hohe Anteile an BA.2.75.

Das sei aber bei weitem kein Grund zur Panik, weil es höchstwahrscheinlich andernorts ebenso ist, man es nur nicht sehe, erklärte Elling. In Österreich liegt der BA.2.75-Anteil laut den aktuellsten Daten bei knapp einem Prozent - hat also bis auf weiteres noch keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Trotzdem könnte BA.2.75 im Lauf der Zeit auch zur vorherrschenden Variante werden. Hierzulande erstmals in Europa nachgewiesen wurde nun auch die BJ.1-Variante - eine weitere ursprünglich in Indien aufgetauchte Sublinie von Omikron-BA.2 mit zusätzlichen 14 Mutationen im Spike-Protein.

Neu am Schirm haben Experten nun auch einen Subtyp von BA.2.75 namens BA.2.75.2. Letzterer werde nun deutlich häufiger. "Er hat eine Mutation in Position 346 des Spike-Proteins", wie auch BJ.1, sagte Elling. Diese Veränderung ist bereits länger aus anderen Varianten bekannt. Sie führt immer dazu, dass diese Erreger sich etwas leichter verbreiten. Da BA.2.75 in etwa so leicht übertragbar ist, wie die neuesten und fittesten BA.5-Sublinien, dürfte BA.2.75.2 noch etwas fitter sein.

Es scheine, als ob sich diese Sublinie etwas leichter dabei tut, dem Immunsystem zu entkommen. Dadurch wäre vermutlich auch die Wirkung von monoklonalen Antikörpern zum Schutz besonders vulnerabler Menschen reduziert. Allerdings seien die Geschwindigkeiten in der Zunahme der Anteile der neuen Typen "nicht dramatisch. Wenn eine Variante schon langsamer daherkommt, kann sie nach hinten hinaus auch nicht so eine große Welle fahren", meint Elling: "Eine Welle bekommen wir im Herbst aber sowieso, weil der Saisonaleffekt so groß ist."

Insgesamt sieht der Genetiker das Risiko auf einen Herbst, der wieder deutlich stärker durch Varianten geprägt ist, die auch zu mehr schweren Verläufen in der nun schon zum allergrößten Teil durch Impfung oder Infektion auf das Virus vorbereiteten Bevölkerung führen, als derzeit gering an. Solange sich weitere Varianten aus Omikron heraus entwickeln, sei eher damit zurechnen, dass die Gefährlichkeit keine großen Sprünge macht. Trotzdem gebe es noch genug Optionen zur "Verbesserung" von Omikron im negativen Sinn.

Die Gefahr eines deutlich veränderten "fitten" Abkömmlings drohe eher aus einer anderen Richtung: Sind etwa Personen, die keinen Immunschutz aufbauen können, über mehr als ein Jahr mit Covid-19 infiziert, kann sich der Erreger im Körper dieser Menschen stark verändern. "Dieses Virus schlägt die ganze Zeit wie ein Hase Haken, verfolgt von unserem Immunsystem", so Elling. Auf diesem Weg sei es theoretisch möglich, dass aus der schon länger abgelösten Delta-Linie heraus ein "Mutationssprung" entsteht, der der Pandemie erneut neue Dynamik einhaucht.

In den Covid-19-positiven Proben suchen Elling und Kollegen seit dem Sommer auch nach Influenza-Erregern. In den vergangenen Wochen finden sich immer einige Patienten, die Influenza- und SARS-CoV-2-positiv sind, noch nimmt der Anteil aber nicht deutlich zu. Dass man das jetzt schon sieht, könnte an den in den vergangenen Jahren nahezu ausgebliebenen Grippewellen liegen. Damit ging auch die Immunität vor allem bei Kindern zurück, die in Grippewellen meist eine große Rolle spielen. "Wenn wir jetzt einen Winter ohne große Maßnahmen haben sollten, wird Influenza garantiert durchrauschen", glaubt Elling.

ribbon Zusammenfassung
  • Beim Blick auf die Covid-Entwicklung im Herbst hofft der Genetiker Ulrich Elling, "dass es keinen Mutationssprung in eine andere Richtung gibt".
  • Übernimmt keine überraschende, besonders "fitte" SARS-CoV-2-Variante, könnten die kommenden Monate weiter "ruhiger" verlaufen.
  • Dementsprechend finden sich darunter auch relativ hohe Anteile an BA.2.75.
  • Trotzdem könnte BA.2.75 im Lauf der Zeit auch zur vorherrschenden Variante werden.