Klimapionierin Kromp-Kolb sucht in neuem Buch den Optimismus
Wenn es darum geht, zu zeigen, dass auch Menschen mit einer gewissen Routine im Umgang mit der Thematik und den dahinterliegenden Abläufen recht leicht an ihre Grenzen gebracht werden können, dann liefert Kromp-Kolb hier den Beweis. Die streitbare Wissenschafterin trägt die Evidenzen rund um die drohende Klimakatastrophe in atemberaubendem Tempo zusammen. Dazu kommt ein niederschmetterndes Fazit zur bisherigen Performance der Menschheit im Erkennen und Abwenden der Prozesse, die sich zuletzt auch für viele Wissenschafter überraschend schnell zu einer Gemengelage entwickelt haben, die Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, eigentlich nicht entgehen kann.
Dass sich Kromp-Kolb im Jahr 2023 tatsächlich derart intensiv im Problemaufriss üben muss, macht sprachlos. Denn letztlich kann man es als großes Systemversagen ansehen, dass das Wissen, das sie in ihrem neuen Buch ausbreitet, noch nicht längst Common Sense ist. Angesichts dessen ist die Forscherin, die im November 75 Jahre alt wird, auch keineswegs darum verlegen, mit der Politik - und vor allem der ÖVP - und ihrer personifizierten Vermeidungshaltung, den Erfordernissen ins Auge zu sehen, hart ins Gericht zu gehen. So kann die Autorin auch nicht umhin, an mehreren Stellen ihre Unzufriedenheit mit dem Management der Corona-Pandemie durchblicken zu lassen.
An einigen Stellen macht die Wissenschafterin deutlich, dass es in der Klimafrage jetzt um das Überleben der Menschheit geht - und ein Ende selbiger durchaus eine denkbare Variante ist. Wie es so weit kommen konnte, legt sie auch aus ihrer sehr persönlichen Sicht dar. Denn für Kromp-Kolb gab es sehr wohl Zeiten, in denen in Sachen Umwelt- und Klimaschutz mehr drinnen war, man mehr umsetzen konnte und auf mehr Verständnis bei Entscheidungsträgern traf. Mit dem Siegeszug einer Form des Wirtschaftens, die sich nur noch an Marktmechanismen und keineswegs mehr am Gemeinwohl orientiert, ausgehend von den USA und Großbritannien in den 1980er-Jahren, war man plötzlich auf das reine Erhalten von Errungenschaften reduziert, so Kromp-Kolb, die auch darlegt, wie die Arbeit des Weltklimarates (IPCC) immer wieder von Industrie und Politik untergraben wurde, und wie gerne sich viele Menschen mit beruhigenden Parolen zufrieden gaben.
So zum Beispiel die Erzählung, dass diese oder jene Technologie das Problem lösen wird: "Die Übernutzung ist eine unmittelbare Konsequenz von Weltbevölkerung; Lebensstil und Technologie, und kann daher mit rein technologischen Mitteln nicht beendet werden", hält die Wissenschafterin entgegen, und untermauert das mit wissenschaftlichen Argumenten. Ein weitere Erzählung ist jene, dass man sich doch so und so an die kommenden Veränderungen anpassen wird können. Allerdings mussten Erhitzungsprognosen zuletzt immer wieder nach oben korrigiert werden. Wo liegen also die Grenzen der Anpassung?
Bei einem Temperaturanstieg von drei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts im globalen Schnitt - nach dem es momentan trotz anders lautender Abkommen leider aussieht - steigen in Österreich und Deutschland die Temperaturen um sechs Grad, führt Kromp-Kolb aus. "Es gibt keine Gewissheit, dass eine Anpassung an eine 4°C-Welt überhaupt möglich ist, oder noch schärfer: Eine 4°C-Zukunft 'ist unvereinbar mit einer organisierten globalen Gemeinschaft'. Insofern ist es irrelevant, die Auswirkungen noch größerer Temperaturanstiege zu beschreiben." Man bemerkt: Leser, die sich salbungsvolle Worte erhoffen, werden auf den mehr als 200 Seiten eher nicht bedient.
"Der Ausstieg aus dem derzeitigen System kann nur über Suffizienz gelingen, das heißt reduzierte Ansprüche, die sich in einem geänderten Selbstverständnis und einer geänderten Haltung zur Natur ausdrückt - erhöhte Effizienz und Kreislaufwirtschaft reichen nicht." So legt die Forscherin auch dar, warum eine Rückkehr in Richtung Pro-Kopf-Energieverbrauch von Herr und Frau Österreicher auf den Stand der 1970er oder 1960er-Jahre für sie kein Grund ist, um in kollektiven Fatalismus zu verfallen. "Die Lebensqualität steigt nach Deckung der Grundbedürfnisse nur mehr in geringem Ausmaß mit zunehmendem Einkommen, Ressourcen- und Energieverbrauch. Auf diesen zusätzlichen Verbrauch könnte daher ohne wesentliche Einbußen verzichtet werden, würde nicht das Wirtschafts- und Finanzsystem ständig wachsenden Konsum und damit Ressourcenverbrauch benötigen, um stabil zu bleiben", so Kromp-Kolb.
Genügsamkeit zu lernen, wird also in unserer Gesellschaft, die sich darin in den vergangenen Jahrzehnten nicht geübt hat, eine Schlüsselkompetenz werden. Nun bleibe quasi aber nur noch die Wahl, ob man auf diesen Weg mit einem sehr harten oder eher sanfteren Haken einbiegt. Die Alternative heißt Klimakatastrophe, und die kann ja niemand ernsthaft herbeisehnen, würde man meinen. Kromp-Kolb: "Die Natur kann helfen - aber nur, wenn wir keine Treibhausgase mehr einbringen, und das schnell genug, damit die Wirksamkeit selbstverstärkender Prozesse nicht alle Bemühungen zunichtemacht."
Am Ende ihrer Ausführungen zeichnet die Klimaforscherin eine Vision dahingehend, wie die Welt und Österreich es geschafft haben, die Weichen zumindest in Richtung der Begrenzung des Temperaturanstieges auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu stellen. Schade, dass sie dabei derart tief im Konjunktiv bleiben muss. Trotzdem gelingt es Kromp-Kolb, die Leser zumindest am Schluss ihres Textes ein Stück weit in eine Zukunft zu beamen, in der "Wir" nicht nur das Problem, sondern tatsächlich auch "Teil der Lösung" sind. Am Ende bleibt die Einsicht, dass es für Pessimismus ebenso zu spät, wie für Optimismus zu früh ist.
(S E R V I C E - Helga Kromp-Kolb: "Für Pessimismus ist es zu spät. Wir sind Teil der Lösung", Molden Verlag, 217 Seiten, 26 Euro; Buchpräsentation am 17.10., 19.00 Uhr, im "brick-15", Wien 15, Herklotzgasse 21)
Zusammenfassung
- Mit einer Tour de Force in Sachen aufrüttelnder Information zur drohenden Klimakatastrophe wartet die Klimaforschungs-Pionierin Helga Kromp-Kolb in ihrem neuen Buch auf.
- Dass sich Kromp-Kolb im Jahr 2023 tatsächlich derart intensiv im Problemaufriss üben muss, macht sprachlos.
- Schade, dass sie dabei derart tief im Konjunktiv bleiben muss.
- Am Ende bleibt die Einsicht, dass es für Pessimismus ebenso zu spät, wie für Optimismus zu früh ist.