Prozess um Kind in der HundeboxKonstantin Auer / PULS 24

"Was hat ein Kind nur eine Sekunde in einer Hundebox verloren?"

20 Jahre Haft setzte es am Donnerstag für die Mutter aus Waidhofen im Waldviertel, die ihr Kind über Monate hinweg quälte. Die zweitangeklagte Anstifterin muss 14 Jahre in Haft. Die Aufarbeitung des Falles ist damit aber noch längst nicht beendet - auch die Behörden werden weiter durchleuchtet.

Versuchter Mord, Quälen und Vernachlässigen wehrloser Personen und Freiheitsentziehung bringen eine 33-jährige Mutter 20 Jahre in Haft

Ihre 40-jährige Komplizin, die zu den Misshandlungen an dem damals 12-jährigen Buben teils angestiftet hat, muss 14 Jahre in Haft. Beide Frauen werden in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen. Die beiden Frauen müssen dem Kind zudem gemeinsam insgesamt 80.000 Euro bezahlen. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. 

Mit diesen durchaus hohen Haftstrafen - die "heimtückische, folterähnliche Vorgehensweise" wirkte sich erschwerend aus - ging am Donnerstag am Landesgericht Krems zumindest die gerichtliche Aufarbeitung eines Falles, der weder Beobachter noch Richterin oder Staatsanwältin kaltließ, in erster Instanz zu Ende. Die Zweitangeklagte meldete sofort Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, die Mutter und der Opferanwalt gaben noch keine Erklärung ab.

Opferanwalt Timo Ruisinger, der das Kind und seinen Vater vertritt, sprach in seinen Schlussworten die erstangeklagte Mutter am Donnerstag direkt an und forderte sie auf, zu erklären, warum sie das Kind mit Wasser übergossen hat, hungern und frieren ließ, bis dieses Frostspuren an den Füßen aufwies und schließlich am 22. November 2022 ins Koma fiel.

"Wie würden Sie Ihrem Sohn heute die Geschehnisse von damals erklären?", wollte auch einer der Geschworenen wissen. 

Timo Ruisinger im Interview nach dem Urteil

Sie wisse nicht, wie es so weit kommen konnte, sie könne es sich selbst nicht erklären, antwortete die Mutter. Sie gab sich den ganzen dreitägigen Prozess über wortkarg. Nur so viel: Hätte sie gewusst, wo alles hinführt, hätte sie nie Kontakt zur Zweitangeklagten aufgenommen. 

Starre Blicke, wortkarge Aussagen

Beinahe regungslos hatten die beiden angeklagten Frauen die Zeugenvernehmungen und Schlussplädoyers verfolgt. Beine überkreuzt, Blick starr und ausdruckslos Richtung Richterbank, unter der fast über die gesamte Dauer des Prozesses die Hundebox stand

Tränen flossen nur vereinzelt - vor allem dann, wenn es um die Zukunft oder familiäre Vergangenheit der Frauen selbst ging. Als hingegen die Videos des Buben abgespielt wurden, zeigten sie wenig Regung - weder bei seiner Aussage, noch als man ihn apathisch am Boden liegend sah. 

Die Mutter hat dutzende dieser Aufnahmen an die Zweitangeklagte geschickt. Diese kommentierte sie unter anderem mit lachenden Smileys.

Astrid Wagner, Anwältin der Mutter, im Interview nach dem Urteil. 

Auch die Aussage der Zweitangeklagten brachte wenig Aufklärung: Sie meinte im Prozess zunächst, ihr sei das Ausmaß der Qualen nicht bewusst gewesen, sie habe nur gewusst, dass die Mutter das Kind schlagen würde. Am letzten Prozesstag gestand die Frau dann plötzlich, dass sie schon einmal dabei gewesen sei, als das Kind in die Box gesperrt wurde.

"Geh jetzt in die Box, sonst derschlag ich dich", soll die Mutter zum Kind gesagt haben, dann sei das Kind selbst in die Box gekrochen. Sie, die Zweitangeklagte, sei es gewesen, die es wieder herausholte. Sie sei es auch gewesen, die am Ende Hilfe holte, präsentierte sie sich als Retterin. 

Mehr zu den Hintergründen:

Psyche des Kindes "zerstört"

Chats zeigen, dass die Zweitangeklagte die Mutter dazu aufforderte, das Kind in die Box zu sperren, ihm wenig zu essen zu geben oder die Fenster aufzureißen. "Was hat ein Kind nur eine Sekunde in einer Hundebox verloren?", wurde sie von der Richterin einmal scharf gefragt. "Na eh nichts", kam die kleinlaute Antwort. 

Beide Frauen entschuldigten sich schlussendlich doch noch beim Kind, das körperlich wieder gesund ist, psychisch laut Richterin aber "auf jeden Fall zur Gänze zerstört" wurde.

Wie konnte es so weit kommen?

Das sind die Urteile

Psychiater Peter Hofmann sprach von einer "hochsymbiotischen Beziehung" zwischen den beiden Frauen. Die 33-jährige Erstangeklagte sei nach dem Tod ihrer Mutter aus der Bahn geworfen worden, sei mit dem Kind, das seit der Geburt psychisch auffällig war, überfordert gewesen.

Die Mutter habe die Zweitangeklagte angehimmelt, weil diese mit ihren Kindern zurechtkam. Sie habe eine "hochrelevante Störung der Emotionalität" entwickelt, es bestehe die Gefahr, dass sie wieder ähnliche Taten begehen könnte. Die Therapie im forensisch-therapeutischen Zentrum tue ihr aber gut, da sie dort keinerlei Verantwortung tragen müsse. Ihre Behandlung werde Jahre dauern.

"Manipulativer Gesprächsstil"

Die Zweitangeklagte weise einen "klassischen manipulativen Gesprächsstil" auf, könne einen mit melodiöser Stimme "einlullen". Ihre Behandlung könnte schwieriger werden: Auch in ihrer Wohngruppe, wo sie die U-Haft verbrachte, sei sie "sehr bestimmend", tratsche und belausche und habe eine Clique um sich gebildet. 

Sollte sie die Mutter zum Quälen angestiftet haben, "muss ihr das etwas gegeben haben", so Hofmann. Offen ist auch die Frage, wo das Geld aus dem Verkauf eines Reihenhauses der Mutter sei. Die 33-Jährige könnte es der 40-Jährigen übergeben haben. Astrid Wagner, die Anwältin der Mutter, kündigte deshalb einen möglichen Betrugsprozess an.

Die Rolle der Behörden

Möglich ist aber auch ein zweiter Folgeprozess. Die Mutter hatte Kontakt zu Schule, Ärzten, Spitälern, Polizei, Jugendamt - doch niemand schritt ein. Opferanwalt Ruisinger kündigte gegenüber PULS 24 an, sich eine Amtshaftungsklage zumindest überlegen zu wollen, er fühle sich durch den Prozess in diesen Überlegungen bestärkt.

 

"Vater fühlt sich von Behörde im Stich gelassen"

Eigentlich hatte die Kinder- und Jugendhilfe im Vorjahr bekannt gegeben, dass sie gesetzeskonform gehandelt habe. Aussagen von zwei Sozialarbeiter:innen sowie einer Lehrerin im Prozess veranlassten das Büro von Soziallandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) aber dazu, eine weitere Prüfung zu veranlassen. Man werde sich anschauen, ob es Widersprüche zwischen Aussagen vor Gericht und der internen Dokumentation gebe, so ein Sprecher zu PULS 24.

Die Sonderschule, das sagte eine Lehrerin am Dienstag vor Gericht, habe mehrmals beim Jugendamt Alarm geschlagen. Fehltage und Gewichtsverlust des Kindes seien besonders auffällig gewesen. Am 25. Oktober erfolgte die offizielle Gefährdungsmeldung, danach habe die Lehrerin mindestens fünfmal bei der Behörde angerufen, ob eh etwas unternommen werde. Der Vater des Kindes erfuhr erst von der Schule von der Meldung.

Am 28. Oktober erfolgte der erste Hausbesuch von zwei Sozialarbeiter:innen, die beide vor Gericht unter Wahrheitspflicht als Zeug:innen aussagten. Der zweite Besuch erfolgte nach einer weiteren Gefährdungsmeldung eines Spitals - die Mutter wollte das Kind nicht stationär behandeln lassen - am 18. November. Vier Tage danach fiel das Kind ins Koma. Dazwischen lief das Kind noch zu Supermärkten und Lokalen in der Umgebung, um Essen zu besorgen und läutete bei Nachbarn an, wollte dort schlafen - die Polizei brachte das Kind zur Mutter zurück. 

Keine "Gefahr in Verzug"

Die Sozialarbeiter:innen berichteten, dass sie bei ihren Besuchen eine kühle Wohnung mit zu wenigen Möbeln, mit nur einem Bett und nur einem Sessel vorfanden. Sie hätten beim ersten Besuch verbundene Handgelenke und beim zweiten Besuch, bei dem nur ein Sozialarbeiter kam, blaue Hände gesehen.

Beim zweiten Termin sei das Kind auf dem Tisch gestanden und habe dort einen Text verfasst, man habe mit dem Kind bei keinem der Termine alleine geredet - das Kind habe das mit Blick zur Mutter abgelehnt. 

Auch habe man - obwohl in der Meldung der Schule von Hunger des Kindes zu lesen war - nicht in den Kühlschrank geschaut. Die Situation sei "auffällig" gewesen, "Gefahr in Verzug" habe man aber nicht gesehen. Die Mutter habe Kontakt zu verschiedenen Ärzten gehabt - andere Versprechen, die sie dem Jugendamt gab, aber nicht eingehalten.

Am 30. November hätte die Mutter zum Psychologen gemusst. Vorher fiel das Kind allerdings ins Koma. Warum so spät, fragte die Richterin den Sozialarbeiter. "Dafür kann ich auch nichts", so der Zeuge. Die "Psychologin des Landes" sei eben nur zweimal pro Woche in der Bezirkshauptmannschaft. 

Kommission präsentiert Bericht

Am kommenden Dienstag wird jedenfalls eine von Landesrätin Königsberger-Ludwig anlässlich dieses Falles eingesetzte Kommission aus unabhängigen Expert:innen und Jurist:innen von Kinder- und Jugendhilfe, Bildungsdirektion sowie von der Landesgesundheitsagentur ihren Bericht dem Landtag präsentieren. Danach soll auch die Öffentlichkeit über die Inhalte informiert werden.

Der Bericht wird laut PULS 24 Informationen allerdings eher allgemeine, abstrakte Empfehlungen an die Gesetzgebung beinhalten - und weniger mit dem Einzelfall zu tun haben. 

ribbon Zusammenfassung
  • 20 Jahre Haft setzte es am Donnerstag für die Mutter aus Waidhofen im Waldviertel, die ihr Kind über Monate hinweg quälte.
  • Die zweitangeklagte Anstifterin muss 14 Jahre in Haft. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Die Zweitangeklagte kündigte sofort Berufung an.
  • Beide wurden in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen - nicht, weil sie unzurechnungsfähig sind, sondern, weil von ihnen Gefahr ausgehe.
  • Weitere Prozesse wegen Betrugs oder möglichen Behördenversagens könnten kommen.
  • Am Dienstag wird jedenfalls eine von Landesrätin Königsberger-Ludwig anlässlich dieses Falles eingesetzte Kommission ihren Bericht präsentieren.
  • Dieser wird laut PULS 24 Informationen allerdings eher allgemeine, abstrakte Empfehlungen an die Gesetzgebung beinhalten - und weniger mit dem Einzelfall zu tun haben.