Kehrtwende bei Leobener Prozess nach Asylquartier-Explosion
Am 11. Oktober 2010 war gegen 1.40 Uhr eine Detonation am Eingang des Flüchtlingsheims in Graz zu hören. 35 Bewohner und eine Betreuerin wurden aus dem Schlaf gerissen. Ein damals 49-jähriger Georgier stürzte und verletzte sich, als er nachschauen gehen wollte. Ansonsten gab es zwar keine Verletzten, aber der rohr- oder dosenförmige Sprengkörper wäre laut damaligen Ermittlungen imstande gewesen, Menschen schwer zu verletzen. Der Sprengsatz war - wie man heute weiß - mit Schwarzpulver versehen.
Zehn Jahre lang gab es keine Spur zu den Verdächtigen, obwohl es Videoaufnahmen vom mutmaßlichen Täter gab. Der heute 28-Jährige wurde 2020 auf den Aufnahmen wiedererkannt, hieß es bei Gericht. So kamen die Ermittlungen noch einmal ins Rollen. Bei mehreren Befragungen seit 2020 gab der Beschuldigte zwei mögliche Mittäter an: Einen gleichaltrigen Mann, mit dem er damals in Mariazell in der gleichen Clique war, sowie einen um ein paar Jahre älteren Bekannten, den er von seinem Bruder kannte und ebenfalls in derselben rechtsextremen Gruppierung dabei gewesen sei.
Die gebürtigen Niederösterreicher sollen 2010 zusammen die Explosion geplant haben, schilderte der Staatsanwalt. "Sie hielten sich zusammen in rechtsextremen Kreisen auf und trafen sich in einem Lokal in Mariazell", so der Ankläger. Sie sollen sich öffentlich mit dem Hitlergruß begrüßt haben, trugen offenbar Nazi-Codes und verherrlichten den Nationalsozialismus. Der heute 28-Jährige war damals auf der Suche nach Freunden und sollte in die Clique aufgenommen werden. "Er musste aber eine Mutprobe bestehen", sagte der Staatsanwalt und berief sich dabei auf Angaben des geständigen 28-Jährigen. Er sollte einen Sprengsatz beim Caritas-Heim in Graz anzünden. Angeklagt sind NS-Wiederbetätigung und versuchte vorsätzliche Gefährdung durch Sprengmittel.
Der Angeklagte schilderte dann bei der Befragung, dass er vom damals 19-Jährigen einen Rucksack bekam, in dem der Böller gewesen sein soll. Ob er ihn selbst gebastelt hat oder nicht, wisse er nicht - und das weiß das Gericht bis heute nicht, denn die auf den Resten gefundenen DNA-Spuren passen zu keinem der Männer aus der damaligen Clique. Vom anderen heute 28-Jährigen und mutmaßlichen Anstifter soll er am Grazer Hauptbahnhof dann auch noch Kleidung erhalten haben, die er anziehen und dann wegwerfen sollte, so der Beschuldigte bei der Befragung durch Richterin Sabine Anzenberger.
"Sie sagten, es könne nicht viel passieren", so der bald dreifache Vater heute vor Gericht. Es sei ein "leichter Böller" gewesen. Er ließ sich daher auf die "Mutprobe" ein und habe damals den Sprengsatz bei der offenen Eingangstür der Unterkunft in der Grazer Mitterstraße abgestellt. Laut seinem Anwalt sei er heute geläutert und "will damit abschließen". Er habe sich damals an die Gesinnung "angepasst", diese aber nie wirklich vertreten.
Die beiden anderen Beschuldigten stritten von Anfang an eine Beteiligung an der Tat ab. Der Anwalt des 28-jährigen, mutmaßlichen Anstifters, Bernhard Lehofer, sprach von unzähligen Widersprüchen in den bisher sechs Befragungen des Erstangeklagten. Sein Mandant sei damals tatsächlich in der Clique gewesen, habe sich vom Rechtsextremismus aber schon lange verabschiedet: "Er schämt sich heute dafür." 2018 sei er noch auf einem Konzert einer Rechtsrock-Band gewesen, aber nur wegen seiner Freunde, so sein Anwalt. Gefundene Fotos mit NS-Bezug auf seiner Facebook-Pinnwand seien indessen verjährt, meinte Lehofer.
Der Anwalt des dritten Angeklagten schlug in dieselbe Kerbe: Auch sein Mandant habe damals Freunde gesucht, sei aber nicht überzeugter Rechtsradikaler gewesen: "Was man macht, wenn man jung ist, ist oft nicht das Klügste." Der Jurist kritisierte, dass die Grundlage der Anklage rein auf den Aussagen des 28-Jährigen basieren würde und diese "völlig variieren". "Können Sie als Geschworene auf diese Aussagen einen Schuldspruch begründen?", fragte er in Richtung der Laienrichter schon bei seinem Eröffnungsplädoyer.
Gegen Mittag kam es dann zur Kehrtwende: Nachdem die Richterin unzählige weitere Widersprüche aufzählte, wollte sich der Mann mit seinem Anwalt besprechen. Wenige Minuten später sagte sein Anwalt zur Richterin: "Es hat das alles erfunden. Er war gar nicht vor Ort." Es sei der Druck der Vernehmung gewesen, die ihn zu einem Geständnis bewogen habe. Die beiden anderen hätten auch nichts mit der Sache zu tun.
"Ich wollte in Ruhe gelassen werden", sagte der Beschuldigte. Er habe Angst gehabt, weggesperrt zu werden. "Aber warum gestehen Sie dann etwas, wofür Sie lebenslang ins Gefängnis gehen könnten?", fragte die Richterin. "Meine Eltern wussten zehn Jahre später nicht mehr, ob ich damals bei Ihnen zu Hause war. Sie konnten es nicht mehr bezeugen", erklärte der 28-Jährige und räumte ein, dass er bei der Vernehmung durch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) möglicherweise etwas falsch verstanden hat: "Ich habe es so verstanden, dass ich meine Unschuld beweisen muss." Da er das aber nicht konnte, dachte er "mit einem Geständnis auf Bewährung" wieder freizukommen.
Zusammenfassung
- 13 Jahre nach einem bei einer Flüchtlingsunterkunft in Graz explodierten Sprengsatz müssen sich drei Männer seit Dienstagfrüh im Landesgericht Leoben dafür verantworten.
- "Er musste aber eine Mutprobe bestehen", sagte der Staatsanwalt und berief sich dabei auf Angaben des geständigen 28-Jährigen.
- Gegen Mittag kam es dann zur Kehrtwende: Nachdem die Richterin unzählige weitere Widersprüche aufzählte, wollte sich der Mann mit seinem Anwalt besprechen.