Hinter Anschlag in Wien könnte internationales Netzwerk stecken
Rund acht Monate nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien, bei dem vier Menschen getötet und 23 Menschen teils schwer verletzt wurden, hat die deutsche Bundesanwaltschaft die Wohnungen zweier mutmaßlicher Mitwisser in Osnabrück und Kassel durchsuchen lassen - nicht zum ersten Mal. Die beiden jungen Männer, die schon kurz nach dem Attentat ins Visier der Ermittler geraten waren, seien nun der Nichtanzeige geplanter Straftaten verdächtig, teilte die Karlsruher Behörde am Mittwoch mit.
Demnach haben die Ermittler inzwischen Hinweise darauf, dass die beiden Männer, ein Kosovare und ein Deutscher, seit einem Besuch bei dem späteren Attentäter im Juli 2020 von dessen Absichten wussten. So hätten sie am Tag des Anschlags schon vor Beginn angefangen, auf ihren Handys und in sozialen Netzwerken ihre Kommunikation mit dem Attentäter zu löschen. Ihnen wird vorgeworfen, die Sicherheitsbehörden dennoch nicht vor der Tat gewarnt zu haben.
Das Netzwerk und seine Spuren auf der Waffe
Der Wien-Attentäter hatte im Sommer vor dem Anschlag mehrmals Kontakt zu Mitgliedern der islamistischen Szene in der Schweiz und Deutschland. Generell waren die Teilnehmer über soziale Medien vernetzt, manche tauschten sich über den Islam aus, manche telefonierten auch hin und wieder. Die beiden Verdächtigen aus Kassel und Osnabrück sollen schon länger darunter gewesen sein und im Rahmen eines mutmaßlichen Islamisten-Treffens in Wien in der Wohnung des späteren Attentäters übernachtet haben.
Das DNA-Profil einzelner Teilnehmer der Treffen habe später auf der Waffe und auf dem IS-Siegelring nachgewiesen werden können, den der Attentäter bei der Tat getragen hatte. Der spätere Attentäter dürfte das Schnellfeuergewehr aber bereits vor dem Treffen erworben haben, teilte die deutsche Bundesanwaltschaft mit. Dieser Verdacht begründet eben auf den DNA-Spuren, die während des Treffens auf der Waffe entstanden sein sollen, wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft auf PULS 24-Anfrage mitteilt. Ob auch die DNA der deutschen Verdächtigen darunter ist und sie damit auch von der Waffe wussten, wollte der Sprecher nicht bestätigen. Konkretere Hinweise darauf, in welchem Zeitraum die Waffe gekauft worden ist, teilt auch die Staatsanwaltschaft Wien noch nicht mit.
Kritik an BVT-Beschattung von Islamisten-Treffen
An den österreichischen Ermittlungen rund um das Treffen in Wien gab es teils scharfe Kritik. Zwar observierte der österreichische Verfassungsschutz (BVT) das Treffen im Sommer 2020 in Wien auf Anfrage der deutschen und schweizerischen Behörden, unternommen wurde nach dem Treffen aber wenig. Nach dem Treffen mit anderen Extremisten hätte man den späteren Attentäter aus dem Verkehr ziehen oder zumindest befragen können.
Die Terrorakten, die PULS 24 vorliegen, zeigen, dass ein 22-jähriger Mazedonier aus St. Pölten, auch bekannt als das "Alpha-Tier von St. Pölten", im Mittelpunkt der Handlung steht. Am ersten Tag eines fünftägigen Treffens von deutschen, österreichischen und Schweizer Dschihadisten holt er den damals 19-jährigen aus Osnabrück und den damals 25-jährigen aus Kassel – im Auftrag des späteren Attentäters - am 16. Juli 2020 vom Flughafen in Wien-Schwechat abholte. Gekommen waren die beiden deutschen Verdächtigen mit einem "Wizz Air"-Flugzeug aus Dortmund.
Beim Treffen in Wien beobachteten die Ermittler des BVTs etwa, wie die Verdächtige Taschen von den schweizerischen Teilnehmern in die Wohnung des Attentäters gebracht haben, es wurde ein schwarzer Gegenstand aus dem Auto eines der Verdächtigen im Hof des Wohnhauses übergeben. Sie besuchten mehrmals gemeinsam eine Moschee in Wien-Meidling und waren gemeinsam Essen. Einer der deutschen Verdächtigen besuchte auch Familie, die in Wien lebt.
Die Gruppe beging im Rahmen ihres Wien-Aufenthalts mehrere Verwaltungsübertretungen. In einem Tunnel wurde fast ein Auffahrunfall provoziert. Mehrmals fuhren die beiden Zielfahrzeuge, das Auto eines Wiener Verdächtigen und das Fahrzeug des Schweizer Besuchs, bei Rot über die Ampel, wechselten unerlaubt die Spur. Als hätten sie Angst gehabt, dass sie verfolgt werden. Tatsächlich verloren die Ermittler die Zielpersonen mehrmals aus den Augen und konnte sie zum Teil über Stunden nicht mehr überwachen.
Mögliche Mitwisser
Die deutschen Verdächtigen waren jedenfalls keine unbeschriebenen Blätter: Einer von ihnen soll Teil einer Chatgruppe gewesen sein, in der IS-Propaganda verbreitet wurde. Der andere stand im Verdacht, sich dem IS in Syrien anschließen zu wollen – dieses Verfahren wurde allerdings eingestellt. Zunächst galten die beiden deutschen Verdächtigen in Deutschland im Fall des Attentats in Wien als Zeugen. Bei der ersten Razzia ging es um die Sicherung von Beweisen. Das hat sich nun geändert.
Denn sie könnten Mitwisser sein und sollen es "aufgrund der engen persönlichen Beziehung zum Attentäter und ihrer gemeinsamen radikal-islamischen Gesinnung" spätestens ab dem Treffen in Wien zumindest für möglich gehalten haben, dass der spätere Attentäter "seine bereits zuvor gegenüber Dritten offen geäußerten Anschlagsabsichten in die Tat umsetzen würde", erläuterte die deutsche Sicherheitsbehörde. Dies hätten die Beschuldigten "billigend in Kauf" genommen. Zudem hätten sie damit begonnen, ihre Verbindungen zum Täter zu verschleiern, indem Inhalte auf Mobiltelefonen und in Sozialen Medien gelöscht worden seien.
Woher kam die Waffe?
Umso brisanter, dass die Überwachung des Wien-Attentäters vom BVT nach dem Treffen wieder eingestellt wurde. Nur einen Tag nach der Abreise der anderen Verdächtigen fuhr er in die Slowakei, wo er versuchte, Munition für eine AK-47 zu erwerben. Die Ermittler machten keine Meldung an die Justiz. Ungeklärt ist auch, warum beim Treffen mit dem ausländischen Besuch keine Handyüberwachung angeordnet worden ist. Die Beamten des Verfassungsschutzes beobachteten die Gruppe nur aus der Ferne.
Wo genau die Waffe, die vor dem Islamisten-Treffen gekauft worden sein soll und die Munition, die wahrscheinlich kurz danach gekauft wurde, kamen, ist auch acht Monate nach der Tat noch nicht bekannt. Klar ist aber, dass der Attentäter die Tat nicht allein vorbereitet hatte. In Österreich laufen Ermittlungen gegen 33 Verdächtige. Sieben davon befinden sich nach Angaben eines Behördensprechers vom Mittwoch aktuell in Untersuchungshaft. Der Verdacht lautet auf kriminelle Organisation, terroristische Vereinigung sowie Beitrag zu terroristischem Mord.
Zwei Verdächtige aus der Schweiz, die ebenfalls am Dschihadisten-Treffen in Wien teilgenommen hatten, wurden mittlerweile aus der U-Haft entlassen. Die Strafverfahren werden laut der schweizerischen Bundesanwaltschaft aber gegen beide fortgeführt. Den beiden wurde Unterstützung bzw. Beteiligung (an) einer kriminellen Organisation, der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Mord und der Gehilfenschaft zu Mord vorgeworfen. Gegen den Jüngeren der beiden Beschuldigten lautete der Tatvorwurf zudem auf Gewaltdarstellungen.
"Löwen des Balkans"
Das Netzwerk, auf das die Behörden im Zuge der Ermittlungen gestoßen waren, dürfte laut Recherchen des Journalisten Florian Flade auch als "Löwen des Balkans" bekannt sein. Der spätere Wien-Attentäter soll ebenso zu diesem Netzwerk gehört haben, wie mehrere Terrorverdächtige, die im vergangenen Jahr in Nord-Mazedonien festgenommen wurden. Auch ein Tadschike, der im August 2020 in Albanien festgenommen worden war und zu einer tadschikischen IS-Zelle gehören soll, die laut Anklage des Generalbundesanwalts wiederum Anschläge in Deutschland geplant haben soll, befindet sich darunter.
Unklar ist laut den Recherchen, welchen genauen Zweck die Vernetzung verfolgt oder ob es eine zentrale Steuerung gab. Klar ist nur, dass es ein Netzwerk unter IS-Anhängern mit Bezug zum Balkan gibt, die offenbar Anschläge planen oder im Fall von Wien auch schon durchgeführt haben.
Zusammenfassung
- In Deutschland werden nun zwei Verdächtige als "Mitwisser" verdächtigt. Auch sie waren beim Islamisten-Treffen in Wien im Sommer 2020 dabei, das vor den Augen des BVTs stattfand. DNA-Spuren auf der Tatwaffe sollen von diesem Treffen stammen.