Groß angelegte Razzien bei Muslimbruderschaft - 70 Beschuldigte
Die Staatsanwaltschaft Graz ermittelt gegen mehr als 70 Beschuldigte. Rund 60 Wohnungen, Häuser sowie Geschäfts- und Vereinsräumlichkeiten wurden durchsucht. In der Folge wurden 30 Personen festgesetzt, sie sollen "zur sofortigen Vernehmung" den Behörden vorgeführt werden. Bei den Vorführungen handelt es sich nicht um Festnahmen, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Graz auf APA-Anfrage gesagt.
Die Aktionen seien über ein Jahr lang vorbereitet worden. Es wurde betont, dass sich die Maßnahmen nicht gegen Muslime oder gegen den Islam richte. Die Muslimbruderschaft sei keine Religionsgemeinschaft, sondern stehe für religiös motivierten, politischen Extremismus.
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Bei der Grazer Staatsanwaltschaft (StA) zeigte man sich auf Anfrage recht zugeknöpft angesichts der heiklen Thematik. Bestimmte Orte oder Vereine, die Ziel der Razzien waren, wurden nicht genannt. Ob es sich bei den zur Vernehmung festgesetzten Personen um Männer oder Frauen handle, wurde nicht gesagt. Auch zu weiteren Details wie etwa Staatsangehörigkeit gab es keine Angaben. Die Vernehmung der Personen, die in drei Bundesländern und Wien von der Polizei mitgenommen wurden, werde wohl in den entsprechenden Dienststellen erfolgen, hieß es. Es soll sich um Kultur- und andere Vereine handeln, bei einigen sei ein Gebetshaus bzw. eine Moschee angeschlossen.
Bargeld "in Millionenhöhe" sichergestellt
Bei einer Pressekonferenz des Innenministeriums gab der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, bekannt, dass es bei der Aktion vor allem um Islamismus- und Terrorfinanzierung für die Hamas geht. Die Hamas ist im Gegensatz zur Muslimbruderschaft, aus der sie hervorging, eine designierte Terrororganisation. Bei den Hausdurchsuchungen, die zum Teil noch im Gange seien, wurden Bargeldbeträge "in Millionenhöhe" sichergestellt, sagte Ruf.
Österreich und insbesondere Graz sollen eine internationale Drehscheibe für die Finanzierung von internationalen Aktivitäten der Muslimbruderschaft sein.
Mehrere hundert Beamte österreichweit eingebunden
Laut Polizei Steiermark waren mehrere hundert Beamte österreichweit in die Aktion eingebunden. Begonnen wurde um 5.00 Uhr. Es waren neben den regulären Einheiten auch Spezialkräfte wie Diensthundeführer, Kriminalpolizisten und Leute vom Landesamt für Verfassungsschutz dabei. Sichergestellt wurden elektronische Geräte wie Handys und Computer, aber auch einfache Dokumente. In der Steiermark gab es Hausdurchsuchungen in Graz, Graz-Umgebung und im Bezirk Liezen. Die Aktion war gegen 8.30 Uhr laut einem Polizeisprecher so gut wie abgeschlossen.
Die Personen und Vereine seien seit über einem Jahr Ziel von Ermittlungen gewesen, wie die Staatsanwaltschaft gegenüber der APA sagte. Die Durchsuchungen sind unter strikter Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen erfolgt.
Die einzige konkrete Angabe der StA bezog sich auf "Vereine und Gesellschaften, die im Verdacht stehen, den terroristischen Vereinigungen Muslimbruderschaft und Hamas anzugehören und diese zu unterstützen". Es bestehe der Verdacht der terroristischen Vereinigung, der Terrorismusfinanzierung, der staatsfeindlichen Verbindungen, der kriminellen Organisation und der Geldwäscherei. Die Razzien erfolgten in den größeren Städten von NÖ, der Steiermark und Kärnten sowie in Wien. Mit dem Terroranschlag in Wien vor genau einer Woche hätten sie nichts zu tun. Die Aktion wäre auf jeden Fall am Montag in der Früh erfolgt, wurde der APA gesagt.
Politikwissenschaftler über die Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Österreich
Politikwissenschaftler und Islamismus-Experte Thomas Schmidinger erklärt im Gespräch mit PULS 24 Moderatorin Alina Marzi, wie aktiv die Muslimbruderschaft in Österreich ist und welche Verbindungen sie zu Dschihadisten hat.
Weltweit agierende, radikal-islamistische und antisemitische Vereinigung
Die Muslimbruderschaft, 1928 von dem ägyptischen Volksschullehrer Hassan al-Banna gegründet, gilt als älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Seit rund 60 Jahren ist sie auch in vielen westlichen Ländern präsent. Ihr Ziel ist bis heute die Umformung der Gesellschaft nach islamischen Moralvorstellungen und die Errichtung eines Staates, der auf den Prinzipien des islamischen Rechts ("Sharia") beruht.
Das Oberhaupt legitimiert sich ausschließlich durch die Anwendung dieser "Ordnung Gottes", die für die Muslimbrüder als alternativlos gilt. Um ihre Ziele zu erreichen, setzt die Muslimbruderschaft auf eine Durchdringung der Gesellschaft durch eine entsprechend geschulte muslimische Elite, die als Multiplikator fungieren soll.
Um die Umwälzung des politischen Systems voranzutreiben, setzte Gründer al-Banna zunächst also stark auf Bildungs- und Sozialinitiativen. Aufgrund ihres zunehmend militanten und gewaltsamen Vorgehens wurde die Muslimbruderschaft jedoch ab den 1950er-Jahren in Ägypten verboten und arbeitete fortan im Untergrund. 2012 wurde der Muslimbruder Muhammad Mursi der erste frei gewählte Präsident des Landes, ein Jahr später wird er jedoch gestürzt, seine Partei als Terrororganisation eingestuft. Bis auf wenige Ausnahmen sitzen ihre politischen Führer im Gefängnis.
Seit den 1960er Jahren im Westen aktiv
Aufgrund des Verbots und um einer möglichen Verhaftung zu entgehen, emigrierten viele Mitglieder der Muslimbrüder ins Ausland. Im Westen verbreitete sich die Organisation bereits Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre und wurde von einer zunächst temporären Einrichtung zum fixen Bestandteil und einer Art Lobby für die ursprüngliche Gruppierung im Nahen Osten. Heute ist sie ein transnationales Netzwerk mit starken lokalen Ausprägungen, nicht nur in muslimisch geprägten Ländern. Prominentester Unterstützer der Muslimbruderschaft ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen Partei AKP. Auch das Golfemirat Katar unterstützt die Bewegung.
Die Muslimbruderschaft sei "partizipativ islamistisch" und wolle das System "infiltrieren" - auf lokaler Ebene bis hin zu den höchsten Ämtern, sagt der Extremismusforscher Lorenzo Vidino von der George Washington Universität, der vor rund zwei Jahren in einer Studie vor dem Einfluss der Organisation in Österreich gewarnt hatte. Das große Fragezeichen sei, ob deren Vertreter auch wirklich an das westliche System glaubten, an die Demokratie glaubten, so Vidino.
So gefährlich ist die Muslimbruderschaft in Österreich
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Zusammenfassung
- Polizisten und Verfassungsschützer haben Montagfrüh Razzien in vier Bundesländern gegen Personen und Vereine durchgeführt, die die Muslimbruderschaft und die Hamas unterstützen sollen.
- 60 Wohnungen, Häuser sowie Geschäfts- und Vereinsräumlichkeiten wurden durchsucht.
- Die Staatsanwaltschaft Graz ermittle gegen über 70 Beschuldigte und auch gegen mehrere Vereine und Gesellschaften.
- Eingebunden waren auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und die LVT Kärnten und Niederösterreich.
- Die Aktion war seit einem Jahr vorbereitet. Mehrere hundert Beamte waren österreichweit eingebunden.