Gletscherschwund im vergangenen Jahrzehnt stark beschleunigt
Mit Ausnahme der kontinentalen Eisflächen Grönlands und der Antarktis erstreckten sich die Gletscher dieser Welt über rund 705.200 Quadratkilometer. Doch die Eismassen rund um den Globus sind zunehmend am Schrumpfen. Nach den neuesten Erkenntnissen von 35 Teams der Forschungsinitiative "Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise (GlaMBIE)" haben die Gletscher weltweit seit dem Jahr 2000 rund fünf Prozent ihres Gesamtvolumens verloren.
Das sind durchschnittlich rund 273 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Das sei mit dem fünfeinhalbfachen Volumen des Bodensees vergleichbar, wie die TU Graz am Mittwoch informierte. Und wie Studienleiter Michael Zemp von der Universität Zürich (UZH) beispielhaft darlegte, könnte man damit die Weltbevölkerung 30 Jahre lang täglich mit drei Litern Wasser versorgen.
Doch hinter dem Durchschnitt verbirgt sich auch ein beschleunigter Anstieg in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums - von 231 Milliarden Tonnen pro Jahr in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums (2000 bis 2011) auf 314 Milliarden Tonnen in der zweiten Hälfte. Von 2012 bis 2023 war der Verlust somit um 36 Prozent höher als vom Jahr 2000 bis 2011.
Deutlicher Anstieg in vergangenen zehn Jahren
Die GlaMBIE-Untersuchung hat die Einschätzung des globalen Gletscherschwundes samt regionaler Unterschiede zum Ziel. Sie beruht auf einer detailreichen Analyse von mehrjährigen Daten aus insgesamt 450 Quellen - darunter direkte Feldmessungsdaten wie auch Radar-, Laser- und Gravimetriedaten aus zahlreichen Satellitenmissionen. Durch die Kombination der Daten aus diesen verschiedenen Quellen wurde eine jährliche Zeitreihe der Gletschermassenänderungen von 2000 bis 2023 erstellt.
Tobias Bolch, Professor für Fernerkundung und Fotogrammetrie vom Institut für Geodäsie der TU Graz analysierte die Messdaten von Erdbeobachtungssatelliten der ESA, aber auch anderer internationaler Raumfahrtorganisationen. "Durch die Analyse dieser Daten - und hier sind vor allem die Messungen der Höhenänderungen besonders wertvoll - konnten wir den Zustand der Gletscher weltweit ermitteln", erklärte Bolch.
Starke regionale Unterschiede
Auffallend waren die starken regionalen Unterschiede der Masseverluste: Während in weniger exponierten Regionen wie den antarktischen und subantarktischen Inseln der Masseverlust bei 1,5 Prozent liegt, wurde für die europäischen Alpen und Pyrenäen ein Rückgang von rund 39 Prozent ihrer Gletschermasse verzeichnet. Sie seien aufgrund ihrer geringen Höhenlage von den gestiegenen Temperaturen besonders betroffen. "Zum anderen sind die Alpen- und Pyrenäengletscher vergleichsweise klein, was ebenfalls ein Nachteil ist. Gletscher haben generell einen kühlenden Effekt auf das Mikroklima ihrer Umgebung. Bei kleinen Gletschern ist dieser Effekt jedoch nur schwach ausgeprägt; ein weiterer Grund, weshalb sie schneller schmelzen als große Gletscher", wie Bolch erklärte.
Meeresspiegel-Anstieg um 18 Millimeter seit 2000
Mit zwei Prozent Verlust sei auf den antarktischen Inseln zwar relativ gesehen wenig Eis verloren gegangen. Mit ihren viel größeren Gletscherflächen seien sie aber trotzdem die Hauptverursacher des Anstiegs des Meeresspiegels. Die global schmelzenden Gletscher haben seit dem Jahr 2000 einen Anstieg des Meeresspiegels um 18 Millimeter bewirkt, wie die Experten berechneten. Damit wäre das Abschmelzen der Gletscher nach der Erwärmung der Ozeane der zweitstärkste Treiber des Meeresspiegelanstiegs, noch deutlich vor den Masseverlusten des grönländischen und des antarktischen Eisschilds.
Süßwasserspeicher schmelzen dahin
In den Gletschern unserer Erde sind riesige Mengen an Süßwasser gespeichert. Mit den schwindenden Gletschereis geht somit sukzessive auch ein kostbarer Süßwasservorrat verloren. Heute sei das in vielen von Gletschern gespeisten Flüssen der Welt zwar noch nicht zu spüren - ganz im Gegenteil steigen die Wassermengen aufgrund der Gletscherschmelze und des Schmelzwassers noch. Wenn diese Abflüsse ihren Höhepunkt erreichen, dürften die Wasserpegel kontinuierlich zurückgehen, vermuten die Autoren.
"In den europäischen Alpen haben wir diese Abflussspitze schon überschritten, unsere Gletscher werden den Flüssen also immer weniger Wasser liefern", sagte Tobias Bolch. Das werde vor allem in längeren Trockenperioden, in denen die Gletscherzuflüsse als kontinuierliche Wasserlieferanten bisher besonders wichtig waren. Dieser stabilisierende Effekt geht zunehmend verloren". Man betone die Notwendigkeit, den Klimawandel ernst zu nehmen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise (GlaMBIE) ist ein von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) im Rahmen ihres Polar Science Cluster finanziertes Forschungsprojekt. Die Studie zur Entwicklung der Gletscher wird von der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität Edinburgh und dem Unternehmen Earthwave koordiniert.
(S E R V I C E - Community estimate of global glacier mass changes from 2000 to 2023. Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-024-08545-z, Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise (GlaMBIE): https://glambie.org)
Zusammenfassung
- Eine neue Studie zeigt, dass der globale Gletscherschwund in den 2010er-Jahren stark zugenommen hat.
- Seit 2000 haben Gletscher weltweit etwa fünf Prozent ihres Volumens verloren, was jährlich 273 Milliarden Tonnen Eis entspricht.
- In den Alpen und Pyrenäen wurde ein Rückgang von rund 39 Prozent der Gletschermasse verzeichnet.
- Der Meeresspiegel ist seit 2000 um 18 Millimeter gestiegen, hauptsächlich durch die Gletscherschmelze.
- Die schwindenden Gletscher bedrohen langfristig die Süßwasserversorgung, da sie wichtige Wasserquellen darstellen.