Frankreich
Chirurg soll Hunderte Kinder sexuell missbraucht haben
Der beispiellose Vergewaltigungsprozess rund um Dominique Pelicot, der seine Frau Gisèle jahrelang unter Drogen setzte und von Dutzenden Männern vergewaltigen ließ, sorgte in Frankreich wie auch international für Entsetzen. Zehntausende Französ:innen gingen gegen eine "Kultur der Vergewaltigungen" auf die Straße, auch die Politik wurde aktiv. Ein Gesetzesentwurf, der das Strafrecht zu sexueller Gewalt und Vergewaltigungen ändern soll, wurde diskutiert.
Nun bereitet Frankreich sich auf den nächsten historischen Missbrauchsprozess vor: Ab 24. Februar steht ein Chirurg vor Gericht, der zwischen 1989 und 2014 insgesamt 299 Patient:innen vergewaltigt oder sexuell missbraucht haben soll.
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Davon waren 256 von ihnen unter 15 Jahre alt, durchschnittlich seien die Opfer 11 Jahre gewesen, berichtet der britische "Guardian".
Fehlender Kinderschutz
Teil des Prozesses werden wohl auch Fragen zum notdürftigen Kinderschutz sein. Der mittlerweile 73-jährige Angeklagte war in öffentlichen und privaten Krankenhäusern tätig und operierte oft Kinder mit Blinddarmentzündungen.
Bereits 2004 zeigte das FBI den Mann bei den französischen Behörden an, weil er sich Bilder von Kindesmissbrauch im Internet angesehen hatte.
Laut Frédéric Benoist, Anwalt der Kinderschutzorganisation La Voix de L'Enfant (Stimme des Kindes), wurde damals nie das Büro des Angeklagten durchsucht, wo sich Bilder von Kindesmissbrauch auf seinem Arbeitscomputer befunden hätten, sondern nur seine Wohnung. Der Arzt argumentierte, dass er in einer schwierigen Phase seiner Ehe gewesen sei, die Bilder von Kindesmissbrauch seien ein einmaliger Fehler gewesen.
2005 erhielt er eine vierjährige Haftstrafe auf Bewährung - an der Arbeit mit Kindern wurde er aber nicht gehindert. Im Gegenteil: Er besetzte weiterhin hohe Positionen in Krankenhäusern im ganzen Land.
Taten in Notizbüchern geschildert
Der Angeklagte soll die Opfer vorwiegend missbraucht haben, wenn es ihnen unmöglich war, "zu erkennen, was ihnen angetan wurde", so Staatsanwalt Stéphane Kellenberger. So hätten sich die Opfer etwa unter Narkose befunden.
Der Chirurg führte in handschriftlichen Notizbüchern auch eine Liste über seine Opfer. Er führte die Initialen von Patient:innen an und seine angeblichen Verbrechen. Die Polizei glich die Notizbücher mit Krankenhausunterlagen ab, um so potenzielle Opfer zu identifizieren.
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"Dieser Prozess ist außergewöhnlich, weil es meines Wissens weltweit noch nie einen Prozess wegen Kindesmissbrauchs mit so vielen Opfern gegeben hat", sagte Francesca Satta. Sie vertritt zehn der Opfer, darunter die Familien zweier Männer, die sich das Leben nahmen, nachdem sie von der Polizei erfahren hatten, was ihnen offenbar angetan wurde.
Weitreichende Folgen
Der Angeklagte sitzt aktuell im Gefängnis. Er wurde 2020 zu einer 15-jährigen-Haftstrafe verurteilt, weil er vier Kinder missbraucht hatte, darunter einen Patienten. Schon im Jahr 2017 meldeten Nachbarn ihn bei der Polizei. Bei einer Razzia in seinem Haus wurden Missbrauchsdarstellungen, die Notizbücher und eine unter Dielen versteckte Puppensammlung gefunden.
Seine Spitalskolleg:innen hatten zuvor bereits mehrmals Alarm geschlagen. 2006 informierte ein Arzt die Krankenhausleitung über die Verurteilung des Kollegen im Jahr zuvor zu einer bedingten Haftstrafe. Ein anderer Arzt machte darauf aufmerksam, dass der heute 73-Jährige sich während des Dienstes Bilder von Kindesmissbrauch angeschaut hätte. Doch der Angeklagte arbeitete weiter an den Krankenhäusern.
Er sei "ein Monster, das seinen Arbeitsplatz zu seinem Jagdrevier machte", sagte Anwältin Satta und fügte hinzu: "Der Prozess wird auch die Tür zu einer echten gerichtlichen Untersuchung des Kindesmissbrauchs in Frankreich öffnen und dazu, wie damit umgegangen werden sollte, was die Verurteilung und die Prävention angeht."
Für Anwalt Benoist ist klar: "Die Dysfunktion auf so vielen Ebenen hat zu der Katastrophe geführt, die dieser Fall darstellt."
Bei der Prozessankündigung gab der 73-Jährige einige Vorwürfe zu, andere jedoch nicht. Der Prozess ist bis Juni anberaumt.
Zusammenfassung
- Etwas mehr als zwei Monate nachdem Dominique Pelicot die Höchststrafe für die jahrelange Betäubung und Vergewaltigung seiner Frau Gisèle bekommen hat, steht in Frankreich der nächste große Missbrauchsprozess an.
- Vor Gericht steht ein Chirurg, der zwischen 1989 und 2014 Hunderte Kinder sexuell missbraucht haben soll.
- Der Angeklagte soll die Opfer vorwiegend missbraucht haben, wenn es ihnen unmöglich war, "zu erkennen, was ihnen angetan wurde", so Staatsanwalt Stéphane Kellenberger. So hätten sich die Opfer etwa unter Narkose befunden.
- Er sei "ein Monster, das seinen Arbeitsplatz zu seinem Jagdrevier machte", sagte Anwältin Satta.
- Der Angeklagte sitzt aktuell im Gefängnis. Er wurde 2020 zu einer 15-jährigen-Haftstrafe verurteilt, weil er vier Kinder missbraucht hatte, darunter einen Patienten.
- Bei der Prozessankündigung gab der 73-Jährige einige Vorwürfe zu, andere jedoch nicht. Der Prozess ist bis Juni anberaumt.