Drahtzieher im "Aderlass"-Skandal zu Haftstrafe verurteilt
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Mark S. mehrere Winter- und Radsportler über Jahre hinweg mit Blutdoping behandelte. Zudem verabreichte er der österreichischen Mountainbike-Vizeweltmeisterin Christina Kollmann-Forstner in einem Fall ein Präparat, das nicht für den Gebrauch an Menschen zugelassen war. Der 42-Jährige wurde deshalb von der Strafkammer unter dem Vorsitz von Richterin Marion Tischler auch wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Mountainbikerin war übrigens selbst zu einer bedingten, achtmonatigen Haft verurteilt worden. Sportlich ist sie für vier Jahre gesperrt worden.
Als wichtigster Helfer des Mediziners Mark S. erhielt am Freitag ein Handwerker eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Eine Krankenschwester wurde zu einem Jahr und vier Monate auf Bewährung verurteilt. Für zwei weitere Komplizen gab es Geldstrafen. Gegen die Urteile sind Rechtsmittel möglich, sie sind noch nicht rechtskräftig.
Das Internationale Olympische Komitee begrüßte später die harten Strafen. "Die Bestrafung der Entourage ist ein entscheidender und lange Zeit nicht genug beachteter Bestandteil des Kampfes gegen Doping", hieß es in einer Mitteilung des IOC am Freitag. "Während Sportorganisationen mit ihren Mitteln dopende Athleten identifizieren und bestrafen können, haben sie nicht die nötigen Werkzeuge, um gegen die Entourage zu ermitteln und sie zur Verantwortung zu ziehen." Die Effizienz des Kampfes gegen Doping hänge auch maßgeblich von der Kooperation zwischen Sport und den staatlichen Behörden ab, hieß es weiter.
Das Netzwerk war Anfang 2019 aufgeflogen. Bei Razzien in Erfurt und während der Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Seefeld in Tirol wurden im Rahmen der "Operation Aderlass" u.a. vier der fünf in München Angeklagten verhaftet. In dem Prozess legten alle fünf - teils umfassende - Geständnisse ab.
Deutsche Sportfunktionäre und Anti-Doping-Kämpfer hoffen, dass von dem Verfahren ein abschreckendes Signal an Betrüger ausgeht. Nachdem Doping Ende 2015 in Deutschland als Straftat eingestuft worden war, war dieses Verfahren das erste aus dem Spitzensport. DOSB-Präsident Alfons Hörmann prognostizierte zuletzt, dass der Prozess und das Urteil "Auswirkungen auf den gesamten Weltsport" haben werde.
Einige involvierte Athleten wurden in ihren Heimatländern separat angeklagt und verurteilt; zumeist sprangen aber dabei Bewährungsstrafen heraus. Einer der prominentesten internationalen Stars, der von der Affäre betroffen ist, ist der italienische Radprofi Alessandro Petacchi, der eine zweijährige Sperre ausfasste, zivilrechtlich aber nicht belangt wurde.
Bereits im Jänner 2020 waren am Landesgericht Innsbruck mehrere Prozesse zu Ende gegangen: Jeweils wegen schweren Sportbetrugs wurden die ehemaligen Langläufer Dominik Baldauf (fünf Monate) und Johannes Dürr (15 Monate) zu bedingten Haftstrafen verurteilt. Ein Jahr später, am vergangenen Dienstag, war der ebenfalls involvierte Ex-Radprofi Stefan Denifl wegen des gleichen Delikts zu zwei Jahren Haft, 16 Monate davon bedingt, verurteilt. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Er ist der bisher einzige Sportler dieser "Operation Aderlass" in Österreich, der tatsächlich auch teilweise ins Gefängnis muss.
Sportrechtlich hatte es auch Schuldsprüche u.a. gegen Max Hauke, Baldauf und Harald Wurm gegeben. Wurm wurde am Freitag in Innsbruck strafrechtlich allerdings von den Vergehen nach dem österreichischen Anti-Doping-Bundesgesetz und vom Vergehen des schweren Betrugs freigesprochen, wegen einer Falschaussage aber teilschuldig befunden.
Nicht direkt in die "Operation Aderlass" verwickelt, aber im Zuge der Ermittlungen ebenfalls aufgeflogen, ist auch ein weiterer Dopingverstoß des mehrfach vorbelasteten Ex-ÖSV-Trainers Walter Mayer. Er war im Juli 2020 wegen Dopingvergehens und schweren Betrugs zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Mit Gerald Heigl war im Jänner davor ein weiterer Ex-Langlauf-Trainer des ÖSV zu einem Jahr bedingt verurteilt worden.
Johannes Dürr war die Schlüsselfigur zur Aufdeckung des Dopingskandals. Im Vorfeld der Nordischen WM 2019 in Seefeld ließ Dürr mit einer Beichte in einer am 17. Jänner ausgestrahlten ARD-Dokumentation aufhorchen. Dabei gestand der mittlerweile 33-Jährige, vor Olympia neben EPO- auch Eigenblutdoping betrieben zu haben. Seine Aussagen brachten die Ermittlungen ins Rollen und führten zu einer Reihe von Festnahmen.
In Seefeld wurden damals neben den beiden Österreichern Hauke, der sogar mit der Nadel im Arm beim Blutdopen erwischt worden war, und Baldauf auch der Kasache Alexei Poltoranin sowie die Esten Andreas Veerpalu und Karl Tammjärv, also insgesamt fünf Langläufer festgenommen.
Mit den Urteilen vom Freitag in Innsbruck (Wurm) und vor allem jenen in München gegen den Drahtzieher der "Operation Aderlass", dem Arzt Mark S., sind nach über zweijährigen Ermittlungen und Gerichtsverfahren nun die größten Rechtsschritte eingeleitet. Alle Urteile vom Freitag sind noch nicht rechtskräftig. Der Kampf gegen die nicht enden wollende "Krankheit im Spitzensport", das Doping, geht aber unvermittelt weiter.
Zusammenfassung
- Der Erfurter Arzt Mark S. ist am Freitag am Landgericht München II wegen Dopings zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten und einem Berufsverbot von drei Jahren verurteilt worden.
- In dem ersten großen Strafprozess in Deutschland seit Einführung des Anti-Doping-Gesetzes 2015 sprach das Landgericht München am Freitag auch die vier Helfer des Erfurter Arztes schuldig.
- Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.