Bericht kritisiert Praxis bei Verhängung von U-Haft
Im Hinblick darauf wurden in den vergangenen zwei Jahren 100 Fallakten aus sieben Bundesländern ausgewertet sowie Experteninterviews geführt und Sekundärforschung ausgewertet. In 39 Fällen stieß das Team rund um Edith Riegler und Hauke Benjes-Pitcz letztendlich auf Fluchtgefahr als Grund für die Haft. Nur fünf der insgesamt 59 Beschuldigten aus den Fällen seien dabei aus Österreich gewesen, 28 dagegen aus anderen EU-Ländern und 26 aus Nicht-EU-Ländern. "In der Praxis gibt es fast einen Automatismus, dass Fluchtgefahr angenommen wird, wenn die beschuldigte Person nicht österreichische Staatsbürgerin oder österreichischer Staatsbürger ist", heißt es in dem am Mittwochnachmittag in Wien präsentierten Bericht. Tatsächlich werde kaum zwischen EU-Bürgerinnen und Angehörigen von Drittstaaten unterschieden. Das Team unterstrich in diesem Zusammenhang Zahlen aus dem Sicherheitsbericht 2021 des Justizministeriums. Demnach waren 2021 rund 64 Prozent aller U-Häftlinge in Österreich Ausländerinnen und Ausländer. Riegler und Benjes-Pitcz wiesen zudem darauf hin, dass gelindere Mittel nicht ausreichend genutzt würden.
"Unsere Forschung zeigt, dass eine detailliertere und individuellere Prüfung der Fluchtgefahr notwendig ist, um eine gerechtere Anwendung der Untersuchungshaft zu gewährleisten", sagte Benjes-Pitcz. Er hoffe, dass die Erkenntnisse des Berichts einen Beitrag zur Verbesserung der Praxis und zur Stärkung von Beschuldigtenrechten leisteten, so der Wissenschafter.
Der Bericht empfahl Schulungsangebote auszuweiten, um Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte stärker zu sensibilisieren. Das Ziel müsse eine fairere und individuelle Beurteilung sein, wurde betont. Zudem müsse der Fokus stärker auf Alternativen zur Inhaftierung wie Kaution, Meldeauflagen oder Aufenthaltsbeschränkungen gelegt werden. Auch der elektronisch überwachte Hausarrest (Fußfessel) wurde als weitere Option angeführt. Der Freiheitsentzug sollte stattdessen sorgfältig abgewogen werden.
Hintergrund des Forschungsprojekts ist das europaweit bekannte Phänomen von Überbelegungen in Gefängnissen. Diese wirke jedoch begünstigend für unmenschliche und erniedrigende Behandlung während der Haft. "Die Reduzierung der Untersuchungshaft ist eine nachhaltige Lösung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken", hieß es in einer Aussendung des Ludwig Boltzmann Instituts. In Österreich befanden sich 2024 (Stand 1. Jänner) 1.791 Personen und damit 20 Prozent der Insassen von Gefängnissen in Untersuchungshaft. Im Gegensatz zu den meisten EU-Staaten ist in Österreich jedoch nicht Fluchtgefahr, sondern Tatbegehungsgefahr der am häufigsten angewandte Haftgrund für die Anordnung von Untersuchungshaft. Beteiligt waren neben dem Boltzmann Institut auch Organisationen aus Belgien, Bulgarien, Irland und Polen.
Zusammenfassung
- Ein Bericht des Ludwig Boltzmann Instituts kritisiert die Praxis der Untersuchungshaft in Österreich, besonders die pauschale Annahme von Fluchtgefahr bei Verdächtigen mit ausländischer Staatsbürgerschaft.
- 2024 befanden sich 1.791 Personen in Untersuchungshaft, was 20 Prozent der Gefängnisinsassen ausmacht, wobei 64 Prozent der U-Häftlinge Ausländerinnen und Ausländer sind.
- Der Bericht empfiehlt, Alternativen zur Inhaftierung wie Kaution oder elektronisch überwachten Hausarrest stärker zu nutzen, um eine gerechtere Anwendung der Untersuchungshaft zu gewährleisten.