APA/APA (Archiv/dpa)/Oliver Berg

Sterbehilfe könnte Leben verlängern - VfGH muss nochmal entscheiden

Die Kritik an der aktuellen Regelung der Sterbehilfe in Österreich ebbt nicht ab. Nun ging beim Verfassungsgerichtshof erneut eine Individualbeschwerde ein. Die strengen Regeln könnten lebensverkürzend wirken, so die Beschwerdeführer. Unterdessen ist der Verbleib von rund 140 tödlichen Präparaten unklar.

Das Justizministerium rechnete mit 400 Anträgen, Kritiker fürchteten einen regelrechten Ansturm auf den assistierten Suizid. Doch 198 Sterbeverfügungen und 160 Dosen des tödlichen Präparats wurden seit Anfang 2022, als das Sterbeverfügungsgesetz nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) neu geregelt wurde, in Österreich tatsächlich ausgehändigt. 17 Dosen wurden wieder zurückgegeben und nur bei einer einstelligen Zahl wurde das Präparat als Todesursache angegeben. 

140 Dosen mit unklarem Verbleib

Wo sich die restlichen Dosen befinden, ist dem Gesundheitsministerium nicht bekannt, berichtete die "ZiB2" am Montag. Es kursieren also rund 140 Dosen des tödlichen Präparats, wo sie genau sind, ist unbekannt. Es kann sein, dass sich die betroffenen Personen umentschieden haben, es könnte sein, dass andere Todesursachen angegeben wurden.

Abgesehen davon wird der assistierte Suizid also weniger oft in Anspruch genommen, als zunächst vermutet. Das könnte auch daran liegen, dass die Regeln recht restriktiv sind. Und genau deshalb wird sich der VfGH wieder mit der Sterbehilfe beschäftigen. Rechtsanwalt Wolfram Proksch hat im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) einen Individualantrag eingebracht, wie "ZiB2" und "Kurier" berichteten. Das seit Anfang 2022 geltende Sterbeverfügungsgesetz sei unzureichend und teils auch widersprüchlich.

Auch aktive Sterbehilfe soll ermöglicht werden

Man erhofft sich außerdem die Aufhebung des Verbots der aktiven Sterbehilfe. Diese prüfte das Höchstgericht beim letzten Mal aus Formalgründen nicht. Die Aufhebung des Verbots könnte sogar lebensverlängernd wirken, argumentieren die Beschwerdeführer. 

Laut dem aktuell geltenden Gesetz können dauerhaft schwer oder unheilbar Kranke, die Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen wollen, eine Sterbeverfügung errichten. Dafür sind Aufklärungsgespräche mit Ärzten verpflichtend. Zwei Mediziner müssen unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und freiwillig aus dem Leben scheiden möchte, einer davon muss über eine palliativ-medizinische Ausbildung verfügen. Die Errichtung der Sterbeverfügung erfolgt durch einen Notar.

Dann braucht es eine Apotheke, die das tödliche Präparat nach einer Übergangsfrist zuschickt und man muss es selbst einnehmen können - die aktive Sterbehilfe durch Dritte ist untersagt.

"In meinem Fall lebensverlängernd"

Diese Regelung sei "nicht geeignet, den Zugang zur Sterbehilfe und damit zum Menschenrecht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst bestimmen zu können - auch im Sinne des VfGH -, zu gewährleisten", kritisiert die ÖGHL. 

Die jetzige Regelung würde Menschen dazu zwingen, das Präparat früher einzunehmen, weil sie Angst haben, das aufgrund von Erkrankungen ab einem gewissen Zeitpunkt ohne fremde Hilfe nicht mehr zu können, so Proksch sinngemäß in der "ZiB2". "Das bedeutet großen Stress für mich. Wäre es möglich, dass mir jemand anderer beim Sterben hilft, wäre das in meinem Fall lebensverlängernd", sagte Nikola Göttling, die an Multipler Sklerose leidet, dem "Kurier". 

Das Sterbeverfügungsgesetz sieht zudem ein Werbeverbot vor. Für die ÖGHL ist das ein "rigides Kommunikationsverbot". Es würde "viele Anfragen von Hilfesuchenden, die sich im Gesetz nicht zurechtfinden" geben. Diese dürfe man aber nicht beantworten. Zahlreiche unklar definierte Verbote hinderten den Verein daran, auch nur offen über alle Möglichkeiten zu informieren oder Sterbewillige persönlich zu begleiten, lautet die Kritik.

Auch Patientenanwaltschaft übte Kritik

Mit dieser Kritik ist die ÖGHL nicht alleine. Auch die Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft (WPPA) wiederholte in ihrem jüngst veröffentlichten Jahresbericht ihre Bedenken aus dem Vorjahr. So sei etwa die Gruppe, die assistierten Suizid in Anspruch nehmen darf, nicht klar definiert. Zwei Ärzt:innen müssen laut Gesetz Aufklärung durchführen - unklar sei, wie Menschen mit stark eingeschränkter Mobilität diese finden sollten. Klarstellungen seitens des Gesetzgebers würden immer noch "schmerzlich vermisst" werden, hieß es.

Bis sich der Verfassungsgerichtshof mit der neuen Beschwerde befasst, dürfte es aber 2024 werden. 

ribbon Zusammenfassung
  • Die Kritik an der aktuellen Regelung der Sterbehilfe in Österreich ebbt nicht ab. Nun ging beim Verfassungsgerichtshof erneut eine Individualbeschwerde ein.
  • Die strengen Regeln könnten lebensverkürzend wirken, so die Beschwerdeführer.
  • Unterdessen ist der Verbleib von rund 140 tödlichen Präparaten unklar.