Vuelta-Sieger Kuss: Vom Edelhelfer zum Matador
Der Sport schreibt viele Geschichten. Meistens sind es jene der sogenannten Superstars, die sich von Sieg zu Sieg katapultieren. Manchmal fallen sie kurz hin, bevor die große Comeback-Story in die Wege geleitet wird. Selten wird über jene gesprochen, die solche Geschichten überhaupt ermöglichen. Einer von ihnen ist der Radprofi Sepp Kuss.
Wer vor drei Wochen auf Kuss als Gesamtsieger der Vuelta a España 2023 gewettet hätte, müsste jetzt nicht ungeduldig auf den nächsten Monatslohn warten. Ein Triumph des Jumbo-Visma-Fahrers stand damals nicht mal zur Debatte. 76:48:21 Stunden an Fahrzeit später ist Kuss ein Grand-Tour-Champion - das größte, was man in seinem Sport erreichen kann.
Domestik par excellence
In professionellen Radteams gibt es klare Hierarchien. Der Kapitän kämpft um die Gesamtwertung - und wird dabei von seinen Mannschaftskollegen unterstützt. Diese im Jargon genannten Domestiks sorgen sich darum, dass ihr Leader nicht im Wind fahren muss, genug zum Essen und Trinken bekommt. So spart er die nötigen Kräfte für die entscheidenden Momente des Rennens.
Kuss ist nicht nur irgendein Domestik, sondern der beste der Welt. Der US-Amerikaner aus Durango (Colorado) gilt als Edelhelfer par excellence. Im Mai verhalf er Primož Roglič zum langersehnten Sieg des Giro d'Italia. Jonas Vingegaard krönte sich im Juli zum zweiten Mal en suite zum Tour-de-France-Meister. Direkt an der Seite des Dänen: Erfolgsgarant Kuss.
Vuelta für Geschichtsbücher
Die 78. Auflage der Spanien-Rundfahrt war für Kuss und Jumbo-Visma gleich mehrmals historisch. Der 29-Jährige ist der erst dritte US-Amerikaner auf dem Vuelta-Podium, nach Chris Horner (2013) der erst zweite Sieger.
Doch bereits Kuss' Startplatz bei der Vuelta sorgte für Aufsehen. Er wurde damit der erst 36. Radprofi überhaupt, der das Grand-Tour-Triple innerhalb eines Kalenderjahres komplettierte. Der italienisch-französisch-spanische Radspaß in Zahlen: 9.910,9 Kilometer, verteilt auf 63 Renntage. Das Stundenmittel: rund 40 km/h.
Geschichte schrieb auch Jumbo-Visma als Mannschaft: Die niederländische Gruppe - früher als Rabobank bekannt - gewann als erstes Radteam überhaupt alle drei großen Landesrundfahrten im selben Jahr.
In Spanien traten die Niederländer mit Roglič und Vingegaard als Doppelspitze an. Nach seinem Soloritt auf die "Geierspitze" der Sierra de Javalambre hielt Kuss am Roten Trikot des Gesamtführenden aber fest.
Trotz zwischenzeitiger Differenzen drehte er am Ende den Hierarchie-Spieß um, die beiden Superstars mussten sich mit den Plätzen zwei und drei begnügen.
Andorra mit Bimba
Für Kuss ist der historische Vuelta-Erfolg beinahe ein Heimsieg. Mit seiner Gattin lebt er mittlerweile im Fürstentum von Andorra, die Pyrenäen dienen für den Bergspezialisten als perfekte Trainingsbasis. Ihr gemeinsamer Hund Bimba bekam zur Zielankunft in Madrid sogar eine eigene Presseakkreditierung.
Gemeinsam mit seiner Mutter ließen sich seine Ehefrau und sein Hund die Vuelta-Party nicht entgehen. Nur sein 93-jähriger Vater verzichtete auf einen Spanien-Besuch. Dolph Kuss galt in Colorado bereits in den 1950ern als lokale Ski-Legende.
Zur Siegerehrung nahm Sohn Sepp das Rennrad aufs Podium mit. Eine ungewöhnliche Geste für einen Grand-Tour-Champion. Selbst während seines größten Moments wollte Kuss nicht alleine im Rampenlicht stehen. Einmal ein Domestik, immer ein Domestik.
Zusammenfassung
- Als mannschaftsdienlicher Helfer angetreten, ist Sepp Kuss nun Triumphator der prestigeträchtigen Spanien-Rundfahrt.
- Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Champions.