FIFA-Chef Infantino stellt sich 2023 zur Wiederwahl
Erst kurz zuvor hatte der Schweizer deutliche Kritik an seinen katarischen "Brüdern" mit starrer Miene verfolgt. "Die FIFA muss als Vorbild agieren", forderte die norwegische Verbandschefin Lise Klaveness am Podium des großen Saals. Die 40-Jährige sprach die Missstände in Katar in Menschenrechtsfragen klar an, solche Meinungsäußerungen sind sehr selten in der großen FIFA-Welt, die Infantino gerne als "Familie" bezeichnet. Die WM 2022, deren Gruppen an diesem Freitag ausgelost werden, sei im Jahr 2010 unter "inakzeptablen Umständen und mit inakzeptablen Konsequenzen" vergeben worden, sagte Klaveness und stellt damit durchaus infrage, ob der Weltverband aktuell überhaupt als Vorbild agiere.
Infantino verwies wie auch Organisationschef Hassan Al-Thawadi auf die großen Fortschritte in Katar, das von Menschenrechtsorganisationen erst in dieser Woche wieder scharf kritisiert worden war. "Frau Präsidentin kommt in unser Land und hat nicht versucht, uns zu kontaktieren und hat nicht versucht, einen Dialog zu starten", sagte Al-Thawadi mit scharfem Ton. Infantino hatte zur Eröffnung des Kongresses Regierungsvertreter des Emirats mehrfach mit dem Wort "Bruder" angesprochen, der FIFA-Präsident hat inzwischen einen Wohnsitz in Katar.
Die in nicht einmal acht Monaten beginnende WM werde "die beste Weltmeisterschaft der Geschichte, die größte Show der Welt", sagte Infantino. Geschenke gab es auch: Der FIFA-Präsident übergab ein blaues Trikot mit der Nummer 22 an Katars Premierminister Scheich Khalid bin Khalifa bin Abdulaziz Al Thani. "Diese Weltmeisterschaft wird etwas ganz Besonderes, etwas Unvergleichliches", sagte dieser. "Wir vertreten nicht nur unser Land, sondern die gesamte arabische Welt."
Die Weltlage sprach Infantino während seiner zweiten Rede an. Die Corona-Pandemie sei fast überwunden. "Was passiert jetzt? Krieg", sagte Infantino. "Krieg mit der Angst vor einem globalen Konflikt - mit diesen schrecklichen Ereignissen in der Ukraine. Aber es gibt schreckliche Kriege und Konflikte auch in anderen Teilen der Welt, das dürfen wir nicht vergessen. Orte, wo hilflose Menschen leiden und sterben."
Im Saal saßen zwar Vertreter des russischen Verbands, die sich nicht äußerten, aber niemand aus der Ukraine. Das eingespielte Video mit dem ukrainischen Verbandspräsidenten Andrij Pawelko auf einem Platz, auf dem Helfer gerade ein Denkmal mit Sandsäcken schützen, wurde von den Delegierten ohne große Regung zur Kenntnis genommen. Pawelko sprach in Schutzweste vom "Horror des Kriegs".
Beim traditionellen Aufruf aller Nationen wurde auch die Ukraine als "anwesend" verkündet, eine Teilnahme war auch online möglich. Infantino forderte Politiker aus aller Welt auf, "Konflikte und Kriege" zu beenden. "Für unsere Kinder, für unsere Zukunft. Bitte, geht in den Dialog - auch mit dem schlimmsten Feind", sagte Infantino. Er glaube an "die Kraft des Fußballs, Menschen zusammenzubringen und kulturelle Grenzen zu überwinden". Der Krieg in der Ukraine lasse ihn "mit schwerem Herzen" zurück, sagte der Schweizer und verwies auf seine letzte Europameisterschaft als UEFA-Generalsekretär im Jahr 2012 in Polen und Ukraine.
Infantino verwies auf Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, der gesagt habe, "dass Sport die Kraft hat, die Welt zu verändern". Er selbst will davon weiter Teil sein. Der 2016 erstmals gewählte Nachfolger von Joseph Blatter sagte: "Weil wir heute alle hier vereint sind und sie die Mitgliedsverbände der FIFA sind, möchte ich es Ihnen zuerst sagen." Infantino war 2019 wiedergewählt worden und hatte seine Ambitionen für das kommende Jahr zumindest noch nicht offiziell bestätigt. Ein FIFA-Präsident darf maximal drei Amtszeiten bestreiten.
Außerdem äußerte sich Infantino skeptisch über die Pläne für eine WM alle zwei Jahre. "Wir sind zum Schluss gekommen, dass es machbar wäre. Aber natürlich gibt es auch viel Widerstand", sagte der 52-Jährige. Vor allem aus Europa und Südamerika kommt massive Opposition für die Verkürzung des WM-Rhythmus von vier auf zwei Jahre, sodass dieses Projekt seit mehreren Monaten kaum noch möglich scheint. Bereits im vergangenen Oktober hatte Infantino über mögliche Kompromisslösungen gesprochen.
Während der Vollversammlung betonte er nun: "Die FIFA hat nie eine WM alle zwei Jahre vorgeschlagen." Saudi-Arabien hatte den Weltverband zu einer Machbarkeitsstudie aufgefordert. Allerdings hatte die FIFA keine Gelegenheit ausgelassen, unter anderem mit Öffentlichkeitsstudien dieses Thema zu befeuern. "Wir müssen schauen, was für die Entwicklung des Fußballs am besten ist", sagte Infantino über die Debatte zur Zukunft des Spielplans. "Man muss sehen, dass es keinem nutzt, wenn man sich etwas verschließt, selbst wenn man der Größte und Reichste ist."
Zahlreiche, vor allem in Europa beheimatete Nationalverbände hatten zeitweise einen FIFA-Austritt erwogen für den Fall, dass die WM-Pläne realisiert worden wären. Bis zu einer Lösung dürfte es noch dauern. "Es ist toll, wenn wir in einer Woche eine Entscheidung finden, es kann aber auch noch ein Jahr dauern", sagte Infantino. In Katar stand das Thema nicht auf der Agenda, das FIFA-Council könnte sich im Sommer wieder damit befassen.
Zusammenfassung
- Gianni Infantino wandelte auf dem schmalen Grat zwischen Menschenrechten im WM-Gastgeberland Katar und dem Krieg in der Ukraine - und sprach am Schluss über sich selbst.
- "Ich werde zur Wiederwahl antreten", sagte der FIFA-Präsident während der Schlussminuten eines bemerkenswerten Kongresses des Fußball-Weltverbands in Doha.
- Infantino forderte Politiker aus aller Welt auf, "Konflikte und Kriege" zu beenden.