Arsenal London: Auf den Spuren der "Invincibles"?
Die Saison 2003/2004 ist für alle Ewigkeiten in der Geschichte der Premier League verankert. Zum ersten und bis dato einzigen Mal gelang es einer Mannschaft eine komplette Spielzeit ohne Niederlage zu beenden. Der FC Arsenal gewinnt die Meisterschaft mit 26 Siegen, zwölf Niederlagen und elf Punkten Vorsprung auf Lokalrivale Chelsea. Die "Invincibles" waren geboren. Trotz der beeindruckenden Dominanz von Chelsea und Manchester United in den 00er-Jahren oder Manchester City in der Gegenwart, hat der Rekord bis heute Bestand.
Doch in der jüngeren Vergangenheit war die Erinnerung an die "goldenen Zeiten" das einzige, womit sich Fans der "Gunners" schmücken konnten. Auf den 14. Meistertitel wartet der Klub aus dem Norden Londons seitdem vergeblich. Das Höchste der Gefühle waren zwei Vizemeistertitel (2005, 2016). Nach 2016 folgte der Totalabsturz. In der Folgesaison verpasste der erfolgsverwöhnte Klub erstmals seit 19 Jahren die Champions League. 2019/20 fuhr man mit Platz acht das schlechteste Premier League Ergebnis seit 1995 ein. Langzeittrainer Arsene Wenger nahm nach 22 Jahren (1996-2018) seinen Hut. Sein Nachfolger Unai Emery konnte das Ruder nicht herumreißen.
Mikel Arteta: Der neue Heilsbringer
Doch aktuell haben sie beim FC Arsenal wieder einen Mann an der Seitenlinie, der Hoffnung versprüht: Mikel Arteta. Der 40-jährige Spanier beendete seine Spielerkarriere 2016 - als Kapitän des FC Arsenal. Zuvor war der defensive Mittelfeldspieler bei Everton, Real Sociedad, den Glasgow Rangers, PSG und dem FC Barcelona engagiert.
Zählte Arteta als Spieler doch eher zum europäischen Durchschnitt, könnte ihm als Trainer eine ganz große Karriere bevorstehen. Nach neun Spielen lacht seine junge und durchgehend mit No-Names gespickte Truppe mit 24 Punkten von der Tabellenspitze, noch vor dem Starensemble von Manchester City. Erzrivale Tottenham (3:1) und der FC Liverpool (3:2) konnte man spektakulär besiegen, lediglich gegen Manchester United (1:3) ging man als Verlierer vom Platz.
Vom Besten gelernt
Arteta und der Arsenal sorgen in England für Furore und gehören zu den spannendsten Teams in Europa. Dabei war die Anfangszeit des Spaniers alles andere als rosig. Er übernahm den Klub Ende 2019 von Emery und wurde sofort ins kalte Wasser geworfen. Bei seiner ersten Station als Cheftrainer ging es um nicht weniger als einen der traditionsreichsten Fußballvereine Englands aus der größten Krise seit 20 Jahren zu führen
Doch Arteta bestand die Feuertaufe - wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten. Zwar setzte das Team mit dem Gewinn des FA-Cups ein erstes Zeichen, in welche Richtung es gehen sollen, doch in der Liga stand mit Platz acht - wie bereits erwähnt - ein historisch schlechtes Ergebnis zu Buche. Auch in Jahr zwei war wenig Besserung in Sicht. Erneut beendete Arsenal die Saison auf Rang acht.
Nicht wenige forderten bereits die Ablöse von Arteta, doch der Klub blieb cool, vertraute seinem jungen Head Coach und band ihn stärker in die Kaderplanung ein. 2021/22 dankte es dieser den Verantwortlichen mit erfrischendem Offensivfußball. Die Mannschaft verspielte die erste Champions League Teilnahme seit 2016 erst in den letzten Runden.
Das Vertrauen, welches die Arsenal-Verantwortlichen in ihren Ex-Kapitän steckten, zahlt dieser spätestens in der aktuellen Saison zurück. Geprägt wurde Artetas Trainerkarriere stark von einem gewissen Josep Guardiola. Dieser gilt seit Jahrzehnten als einer der besten Trainer der Welt und hat mit Barcelona, Bayern und Manchester City zahlreiche Erfolge gefeiert. Seinen Landsmann nahm "Pep" 2016 unter seine Fittichen. Drei Jahre lang durfte er als Co-Trainer bei Man City von einem der Besten seines Faches lernen. Als Arteta 2021 bei Arsenal nach schwachen Leistungen seines Teams in der Kritik stand, sprang ihm sein ehemaliger Mentor und langjähriger Freund zur Seite.
Guardiola über Arteta: "He knows everything"
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Dass Arteta die Art Fußball zu denken und zu leben in der Guardiola-Schule gelernt hat, ist nicht wegzuleugnen. Das dynamische, ästhetische Spiel der "Gunners" erinnert teilweise an die Spielweise der Guardiola-Teams. Zwar legt Arteta mit seiner Underdog-Truppe weniger Wert auf Ballbesitz (54,0 % im Schnitt, City: 68,4 %), doch Elemente seines Lehrmeisters sind in der Taktik des Schülers durchaus zu erkennen.
Was die Beiden, abgesehen von der gemeinsam Zeit in Barcelonas Talenteschmiede "La Masia", in der sich eine innige Freundschaft bildete, noch verbindet, ist ihre Einstellung zum Fußball. Akribische Arbeit, Hingabe und die Liebe zum Detail, verkörpern beide Coaches, wie nur wenige Andere im Trainer-Geschäft. Wildes Herumfuchteln an der Seitenlinie, taktische Anweisungen trotz hoher Siege und auch mal der ein oder andere Wutausbruch stehen bei den Spaniern an der Tagesordnung. Guardiola und Arteta sind zwei Fußball-Verrückte. Im positiven Sinne.
Saliba, Martinelli und Co.: Die neuen Arsenal-Legenden?
Doch der Chefarchitekt an der Seitenlinie wäre ziemlich machtlos, hätte er nicht die notwendigen Spieler, die seine Ideen auf dem Platz umsetzen.
Torhüter Aaron Ramsdale kam von Absteiger Sheffield United zu den "Gunners", zählt mittlerweile zu den besten Keepern der Liga und ist englischer Nationaltorhüter. Die Dienste von Innenverteidiger William Saliba ließ man sich 30 Millionen Euro kosten. Damals war der Franzose höchstens Insidern ein Begriff. In der aktuellen Saison stiehlt er Topstars wie Virgil van Dijk oder Ruben Dias die Show. Den 30-jährigen Granit Xhaka hatten selbst viele Arsenal-Fans bereits abgeschrieben. Zur Zeit zieht der Schweizer im Mittelfeld die Fäden und erlebt seinen zweiten Frühling.
Eigentliches Prunkstück der jüngsten Mannschaft aller 20 Premier League Vertreter (Durchschnittsalter: 23,7 Jahre) ist aber die Offensive. Neo-Kapitän Martin Ödegaard ist der lange Zeit so schmerzlich vermisste "Zehner" und versetzt die Fans mit seiner Kreativität in Ekstase. Dem hochveranlagten Gabriel Martinelli (21) scheint in dieser Saison endlich so richtig der Knopf aufzugehen. Der Brasilianer hält nach neun Spielen bei vier Toren und zwei Vorlagen. Und sein Landsmann Gabriel Jesus, der im Sommer von Man City kam, ist die perfekte Ergänzung im Sturmzentrum. Mit fünf Toren und vier Vorlagen macht er Pierre-Emerick Aubameyang und Alexandre Lacazette vergessen.
Buyako Saka: Von Hero to Zero to Hero
Doch die aus englischer Sicht mit Abstand heißeste Aktie im Kader ist der Mann mit der Nummer 7: Bukayo Saka. Der 21-Jährige gilt als eines der größten Talente der "Three Lions" und wurde beim verlorenen EM-Finale 2021 zur tragischen Figur. Saka verschoss den entscheidenden fünften Elfmeter und sah sich wie Marcus Rashford und Jadon Sancho danach mit unzähligen rassistischen Anfeindungen konfrontiert.
Doch Saka, der die englische sowie nigerianische Staatsbürgerschaft besitzt, liefert die Antwort auf dem Feld. Mit drei Toren, vier Vorlagen und extrem starken Leistungen zeigt er, dass ihm die Zukunft gehört. Zuletzt wurde der Flügelspieler mit zwei Toren gegen Liverpool zum Matchwinner. Auch bei der WM 2022 zählt er zu den Hoffnungsträgern Englands. Auch wenn es der ein oder andere Rassist im englischen Lager nicht wahrhaben will.
Ist Arsenal schon titelreif?
Alles in allem gibt es beim FC Arsenal aktuell wenig Grund zur Sorge. Arteta und seine "jungen Wilden" sorgen jetzt schon für Furore. In der Mannschaft steckt noch eine Menge Entwicklungspotential. Auch in der Europa League läuft es mit zwei Siegen in zwei Spielen wie am Schnürchen.
Der Weg zum 14. Meistertitel ist noch ein langer. Schließlich ist gerade einmal ein Viertel der 38 Runden gespielt. Ein Titelgewinn wäre wohl die größte Sensation in Premier League seit dem Märchen um Leicester City 2015/16. Stand jetzt liegt die Mannschaft auf Kurs: Die "Gunners" haben nach neun Spieltagen 24 Punkte auf dem Konto. Die "Invincible"-Truppe um Henry, Bergkamp, Vieira und Co. brachte es zu diesem Zeitpunkt 2003/04 nur auf 23 Punkte.
Zusammenfassung
- Nach Jahren der Tristesse und des Misserfolgs begeistert Arsenal London wieder mit temporeichem und dynamischem Offensivfußball.
- Das Team von Mikel Arteta lacht nach einem Viertel der Saison völlig überraschend von der Tabellenspitze. Grund genug, um im Norden Londons von neuen Heldentaten zu träumen.