Wie Wien wählt
So wählen die Taxler
Aufgereiht wie die Glieder einer Kette stehen die Taxifahrer mit ihren Autos vor dem Wiener Westbahnhof. Fährt der Vorderste weg, wird dessen Platz vom folgenden Kollegen eingenommen. Es wirkt wie eine gut geölte Maschine. Im Minutentakt wechseln die Taxis auf dem Europaplatz die Stehplätze. Der 54-jährige Amir (Name von der Redaktion geändert) ist einer von über zehn Taxifahrern, die sich an diesem Nachmittag Platz für Platz nach vorne bewegen.
Seit zehn Jahren fährt er nun bereits Taxi, vor 36 Jahren kam er nach Wien. Mit fast 18 Jahren habe ihn das Leben aus der Türkei nach Österreich gebracht, erzählt er im Gespräch mit PULS 24.
Politiker haben "die Innenpolitik verlassen"
"Ich liebe Wien, ich liebe Österreich, ich bin gerne da, aber die Politik hat sich in letzter Zeit … in 20 Jahren hat sich viel geändert – ins Negative. Jetzt haben wir auch kein gutes Leben". Laut dem Familienvater von drei Kindern läuft in Wien "nichts gut": "Überall Baustellen, überall Stau, dann Fahrradweg bauen. Die Autofahrer sind in Schwierigkeiten. Das finde ich nicht so toll". Die Politiker hätten "die Innenpolitik verlassen", sie kümmere nur noch die Außenpolitik – "alles teuer".
"Wohnen ist extrem teuer, Energie ist unleistbar und die Löhne sind immer gleich", erzählt er, während er seinen schwarzen BMW einen Platz nach vorne bewegt. "Jetzt allein arbeiten, geht nicht mehr. Man muss schon zu dritt arbeiten, dass man über die Runde kommt."
Wahlversprechen werden nicht eingehalten
"Die Ärmeren werden immer ärmer und die Reichen werden immer reicher", davon ist Amir überzeugt. Die Wahlversprechen, die er auf den Plakaten sieht, werden "nie eingehalten, das wissen wir alle". Trotzdem will er am 27. April wählen gehen. Wen er wählt, das weiß er noch nicht. "Ich bin unentschieden. Ich habe keinen Favoriten. Ich habe immer SPÖ gewählt - ich weiß jetzt nicht". Für ihn ist die SPÖ "schon lange nicht mehr" sozialdemokratisch.
Die Politiker:innen sollten "auf die Straße gehen und schauen, wie die Leute leben und wie sie leben". Auch um die Jugendlichen und Älteren sollte sich die Stadt Wien mehr kümmern, findet Amir. Viele Taxifahrer, die eigentlich schon in Pension sind, müssten weiter Taxi fahren, "weil sie kommen nicht über die Runden, weil alles teuer ist". Und die Jugendlichen, die tun ihm leid. Sie "haben keine Perspektive mehr". "Wir sind Menschen und wir brauchen wirklich ein besseres Leben - auf Urlaub gehen, ohne Stress leben, ohne irgendwelche Probleme, ohne den Euro zehnmal drehen zu müssen".
GIS brachte FPÖ Stimme
Während Amir noch überlegt, wem er seine Stimme am Wahlsonntag gibt, hat Anthony (52) bereits per Briefwahl gewählt. "Am Anfang war ich SPÖ, aber jetzt bin ich FPÖ – wegen der GIS". "Die FPÖ hat das runtergebracht. Vorher habe ich 50 Euro gezahlt, jetzt zahle ich 15". Konfrontiert mit der Tatsache, dass nicht die FPÖ, sondern die türkis-grüne Vorgängerregierung die GIS durch eine Haushaltsabgabe ersetzt hat, erwidert er, dass Ex-Vizekanzler und ehemaliger FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache diesen Stein aber ins Rollen gebracht habe. "Strache hat das gesagt: Der ORF ist Betrug, dieses Geld ist zu viel." Warum er nicht die Liste Team H.C. Strache gewählt hat? "Er war bei der FPÖ, als er dieses Statement gemacht hat."
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"Die Leute sagen (die FPÖ, Anm.) rassistisch, aber ich glaube, das ist alles Politik. Alle Politiker sind Rassisten", sprudelt es aus dem gebürtigen Nigerianer ohne Nachfrage heraus. Die Wahlplakate, die überall in der Stadt zu sehen sind, "bedeuten mir nichts". Alle Politiker:innen seien Lügner, glaubt Anthony. Was zählt, sei, was er (der Politiker, Anm.) macht, wenn er gewinnt.
Wien er "sehr nett"
Seit 24 Jahren ist Anthony inzwischen in Österreich. Im Taxi-Business ist er erst seit sechs Monaten, davor war er 20 Jahre Lagerarbeiter. Die Arbeit gefällt ihm sehr, auch wenn er täglich zwölf Stunden hinter dem Steuer sitzt. Wien findet er "sehr nett", auch "die Straße ist nett, die Versicherung ist wunderbar, das Transportsystem ist ausgezeichnet, obwohl die Wiener ein bisschen aggressiv sind", sagt der 52-Jährige lachend.
Für die nächsten fünf Jahre wünscht er sich, dass die Preise "ein bisschen runterkommen". "Viele Leute können sich das nicht mehr leisten". Gerade als das Gespräch endet, bekommt Anthony einen Auftrag und muss mit seinem silbernen Honda los, um einen Fahrgast abzuholen.
Kein Glaube an Veränderung
So ein reges Treiben wie am Westbahnhof wünschen sich auch die Taxi-Kollegen beim Taxistand vor dem Floridsdorfer Bahnhof. Seit Stunden warten sie sehnlichst auf einen Fahrgast. Der 24-jährige Elif sitzt bereits seit vier Stunden hinter dem Lenkrad, hatte aber erst einen Fahrgast. Verdient hat er dabei fünf Euro. Zwei seiner Kollegen stehen draußen und plaudern bei einer Zigarette. Sie sind wütend, weil sie seit drei Stunden nur herumstehen.
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Elif würde sich wünschen, dass die Wiener Stadtregierung gegen die Konkurrenz Uber und Bolt vorgeht. Deren Pauschalfahrten hätten "das ganze Geschäft kaputt gemacht". Dass sich in den nächsten Jahren etwas verändert, daran glaubt er nicht. Er interessiert sich auch nicht für Politik, darüber zu sprechen stresse ihn viel zu sehr. Politiker:innen würde nur interessieren, "wie sie mehr Steuern kassieren können, wie sie halt die Straßen noch schlimmer machen können für uns Autofahrer". Das Steuergeld der Bürger:innen sollte viel mehr ins Volk investiert werden, statt in Israel oder in die Ukraine, findet der 24-Jährige, der vor 20 Jahren aus der Türkei nach Wien gekommen ist.
Politiker:innen sollen "korrekt" sein
Ob der wählen geht? "Ich darf nicht, weil ich keine Staatsbürgerschaft habe". Seit inzwischen drei Jahren wartet er auf eine Entscheidung. Obwohl er nicht zur Wahlurne schreiten darf, hatte er eine Vorstellung davon, welcher Partei er sein Kreuzerl geben würde und welcher nicht. "Wenn ich die Grünen sehe, will ich kotzen". "Ich bin ja nicht so dumm, ich bin keine Kuh – ich meine, ich fresse ja kein Grünzeug". Den Grünen würde es nur um Natur gehen und davon gebe es in Wien genug, findet Elif. "Natur brauchen wir auch, aber wir sind Menschen – wir müssen leben".
Seine Stimme würde er vermutlich der FPÖ geben, verrät der 24-Jährige. "Ich hab' keinen Bock mehr auf diese ganzen Attentate von diesen Afghanen, Syrern und so weiter. […] Wer da Probleme macht, gehört abgeschoben". Von den Politiker:innen würde er sich wünschen, dass sie "korrekt" sind. "Jeden gleichbehandeln, mehr auf das Volk schauen und nicht auf die eigene Richtung."
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Von Österreich erniedrigt
Ähnlich sieht das sein Kollege, der zwei Autos vor ihm sitzt. Der 67-jährige Fadil (Name von der Redaktion geändert) lebt inzwischen seit 40 Jahren in Wien, seit 30 Jahren ist er Staatsbürger. Seitdem er aus Ägypten nach Österreich gekommen ist, sei es in Wien schlechter geworden. "Sie (Die Poltiker:innen, Anm.) interessieren sich nur für Straßen – gute Straßen machen, schön und sauber. Aber für Menschen, sie kümmern sich nie, ums Menschenherz." Von der Politik Österreichs ist er enttäuscht. Die FPÖ habe die Nationalratswahl gewonnen, habe aber trotzdem nicht den Regierungsbildungsauftrag und das Kanzleramt erhalten. Seiner Ansicht nach wurden die Blauen diskriminiert. Das Volk habe "nach der Wahl nichts zu sagen, nicht einmal zu denken".
Er sieht sich von Österreich erniedrigt. Nach 38 Jahren "harter Arbeit" würde er eine "Spottpension" von 950 Euro bekommen – "da kriegt ein Asylant mehr Geld". Mit dieser werde er nach Ägypten zurückkehren. Wählen gehen will er davor nicht. Hier gäbe es "keine Spur von Demokratie, keine Spur von Meinungsfreiheit, keine Spur von Menschenrecht. Alles Quatsch und alles Lüge."
Wie Wien wählt
Wien wählt, aber wie? PULS 24 ging für die Reportageserie "Wie Wien wählt" auf die Suche – vom Brunnenmarkt bis in die Lugner-City, vom Pflegeheim bis in die Schule, zu den Fiakern und den Würstlern. Und alles dazwischen.
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Zusammenfassung
- Sie sind ein fester Bestandteil des Wiener Verkehrs: die Taxis. Tausende Taxifahrer helfen Fahrgästen täglich dabei, möglichst unkompliziert von A nach B zu kommen.
- Dabei kommen sie auch an den Wahlplakaten der Parteien vorbei, die bei der Wien-Wahl antreten
- Was ihnen durch den Kopf geht, wenn sie an den Plakaten vorbeifahren und ob sie denn schon wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben, hat sie PULS 24 gefragt.