UNO: Weitere Kämpfe nahe Krankenhäusern im Gazastreifen
Das Al-Awda-Krankenhaus in Jabalia sei seit sechs Tagen von israelischen Truppen und Panzern umgeben, berichtete das UNO-Nothilfebüro OCHA in der Nacht zum Dienstag. Laut Berichten sitzen etwa 250 Ärzte, Patienten und deren Angehörige in dem Spital fest. Zwei medizinische Mitarbeiter seien dort im Dienst bei Kämpfen in vergangenen Tagen getötet worden.
Am Montag sei auch die Geburtenabteilung im Krankenhaus Kamal Adwan im Norden von Gaza getroffen worden. Unter anderem seien dabei Berichten zufolge zwei Mütter getötet worden. Auch dieses Krankenhaus sei seit Tagen von Israels Truppen umgeben. Zusätzlich zu den mehr als 60 Patienten, darunter sechs Neugeborene in Brutkästen, würden 3.000 Vertriebene dort Schutz suchen. Wasser, Essen und Strom seien "extrem knapp".
Die israelische Armee teilte auf Nachfrage generell mit, die Truppen würden "die militärischen und administrativen Fähigkeiten der Hamas zerlegen". Es sei eine Antwort auf die "barbarischen Angriffe" der militanten Palästinenser-Organisation. Israels Armee "folgt internationalem Recht und trifft machbare Vorkehrungen, um den Schaden für Zivilisten zu mäßigen."
Die Vereinten Nationen teilten außerdem mit, dass am Samstag die Krankenhäuser Al-Yemen al-Saeed und Al-Awda, die im Flüchtlingsviertel Jabalia liegen, direkt angegriffen wurden. Nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurde für die Todesopfer ein Massengrab ausgehoben. Auch in Al-Awda wurden der Behörde zufolge zwei medizinische Mitarbeiter im Dienst getötet. Krankenhausdirektor Ahmed Mouhanna zufolge wird das Gebäude seit Tagen "belagert", wo sich etwa 300 Patienten und Vertriebene aufhielten.
Das Krankenhaus Al-Jemen al-Said, das sich noch im Bau befinde, sei mit Artillerie beschossen worden, wodurch es zum Brand gekommen sei, teilte die Behörde mit.
Ein Vertriebener, der dort Schutz suchte, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass seine mit Behinderung lebende Schwester bei dem Artilleriebeschuss getötet worden sei. Er habe sie mit weiteren Leichen im Hof des Krankenhauses begraben müssen, weil ein Transport in eine andere Gegend nicht möglich gewesen sei. Ein weiterer Augenzeuge sagte, die Vertriebenen säßen in der Klinik fest ohne Wasser und Essen. Der israelische Beschuss habe die Wassertanks der Klinik zerstört. Die Angaben sind derzeit nicht unabhängig überprüfbar.
Die WHO beklagte israelische Kontrollen medizinischer Konvois im Gazastreifen und die Inhaftierung von medizinischem Personal als Gefahr für die Versorgung von Patienten. Bei einem solchen Vorfall am Samstag sei ein schwer verletzter Patient gestorben, weil sich seine Behandlung verzögert habe, teilte die WHO mit.
Der von der WHO geleitete Einsatz zur Verlegung von Patienten und zur Lieferung von chirurgischem Material zum Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt sei auf dem Weg in den nördlichen Gazastreifen und auf dem Rückweg an einem Kontrollpunkt der israelischen Armee gestoppt worden. Einige Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmonds seien dabei zeitweise festgesetzt und andere festgenommen worden. "Wir sind zutiefst besorgt über die anhaltenden Kontrollen und die Inhaftierung von Mitarbeitern medizinischer Dienste, die das Leben von ohnehin geschwächten Patienten gefährden", erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Online-Plattform X.
Das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt gleicht nach einem WHO-Bericht einer humanitären Katastrophenzone. Das Krankenhaus könne nur noch 40 seiner 80 Betten belegen, habe aber mehr als 200 Patienten, berichtete Richard Peeperkorn, der WHO-Vertreter für die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete am Dienstag nach einem Besuch dort. Er sprach über Videoverbindung aus dem Gazastreifen mit Reportern in Genf. Er sei jahrelang in Afghanistan und anderen humanitären Krisensituationen im Einsatz gewesen, "aber so etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen."
Patienten lägen auf den Gängen, der Bücherei und einer Kapelle sowie im Innenhof. Ärzte behandelten Schwerverletzte, die auf Eselskarren oder zu Fuß ankämen, teils auf dem Boden und auf dem Gehsteig. Es gebe kaum noch Personal. Weil es keinen Gefäßchirurgen gebe, müssten sie Gliedmaßen amputieren. Die Ärzte täten ihr bestes, beschrieben die Situation nach Angaben der WHO aber als "außer Kontrolle". Es fehle an Treibstoff für Generatoren, Sauerstoff, medizinischem Material, ebenso wie Wasser und Nahrungsmitteln für Patientinnen und Patienten und das Personal. Die WHO versuche mit Partnern, im Süden mehr Bettenkapazitäten aufzubauen.
"In nur 66 Tagen gibt es in dem Gesundheitssystem von 36 funktionierenden Krankenhäusern nur noch elf eingeschränkt funktionierende Krankenhäuser, eins im Norden und zehn im Süden", sagte Peeperkorn, per Video bei einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf. "Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Gesundheitseinrichtungen oder Kliniken zu verlieren." Er hoffe und appelliere, das dies nicht geschehe.
Nur ein Prozent der Verletzten im Gaza-Krieg konnten das Küstengebiet der Hamas-Gesundheitsbehörde zufolge bisher zur ärztlichen Behandlung verlassen. Etwas mehr als 400 Verletzte hätten ausreisen können, teilte das Ministerium am Montag mit - bei fast 50.000 bisher Verletzten insgesamt. Etwa 8.000 davon benötigten dringende und sofortige ärztlich Versorgung. Die Gesundheitsbehörde wird von der islamistischen Hamas kontrolliert. Die angegebenen Opferzahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Hunderte Verletzte kamen in vergangenen Wochen zur Behandlung zusammen mit Begleitpersonen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten. Die Genehmigung zur Ausreise brauche einen bis drei Tage, teilte das OCHA in der Nacht auf Dienstag mit. "In dieser Zeit kann der Zustand eines Patienten sich verschlechtern, und einige sterben, während sie warten."
Die WHO hält die von den palästinensischen Behörden im neuen Nahost-Krieg genannten Toten- und Verletztenzahlen für verlässlich, wie Peeperkorn sagte. Die WHO verlasse sich in Konfliktsituationen immer auf die Zahlen der Gesundheitsbehörden, sagte er. Die palästinensischen Behörden hätten sich früher immer als zuverlässig herausgestellt. Nach früheren Konfliktsituationen seien ihre Angaben über Opfer im Nachhinein geprüft worden und hätten sich als weitgehend akkurat erwiesen. Die Opferzahlen seien von den Behörden eher unter- als überschätzt worden.
Peeperkorn verwies auf eine Studie der Fachzeitschrift "The Lancet". Sie berichtete am 6. Dezember, dass es keine Anzeichen gebe, dass die Toten- oder Verletztenzahlen von den palästinensischen Behörden aufgebläht werden. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden seit dem 7. Oktober bis einschließlich Montag mehr als 18.200 Menschen im Gazastreifen getötet und weitere rund 50.000 verletzt.
Zusammenfassung
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert israelische Kontrollen medizinischer Konvois im Gazastreifen und die Inhaftierung von medizinischem Personal als Gefahr für die Versorgung von Patienten.
- Zwei medizinische Mitarbeiter seien dort im Dienst bei Kämpfen in vergangenen Tagen getötet worden.
- Nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurde für die Todesopfer ein Massengrab ausgehoben.