UNO-Berichterstatterin wirft Israel erneut Genozid vor
Genozid könne sich unterschiedlich manifestieren, habe aber eine gemeinsame Wurzel - "ideologischen Hass und die Entmenschlichung der Anderen", betonte die Albanese in dem bis zum letzten Platz gefüllten Hörsaal im Campus der Uni. Israel habe die Palästinenser immer wieder etwa als "menschliche Tiere" bezeichnet.
Der Krieg im Gazastreifen nach dem beispiellosen Massaker der Terrororganisation Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 sei kein normaler Krieg - denn dieser habe Verteidigung zum Ziel, erklärte Albanese, die seit 2022 als UNO-Sonderberichterstatterin fungiert, aber nicht im Namen der Vereinten Nationen spricht. Es handle sich um einen "genozidalen Krieg, einen Vernichtungskrieg", der einzig und allein "Zerstörung" zum Ziel habe. Israel habe den Gazastreifen komplett zerstört, Schulen und Universitäten zerstört, Anbauflächen unbrauchbar gemacht. "Warum werden Hilfskonvois beschossen und daran gehindert, nach Gaza zu kommen?", fragte sie. Die israelische Armee würde etwa Anästhetika nicht durchlassen, um das Leid der Bevölkerung in Gaza zu verstärken.
Mehrmals betonte Albanese, dass Israel das "Recht auf Selbstverteidigung", das nach dem Hamas-Massaker als Rechtfertigung für die Angriffe auf Gaza geltend gemacht wird, nicht für sich beanspruchen könne. Dieses sei nur auf eigenem Territorium gültig, nicht aber auf besetztem - wie dem Gazastreifen.
Der Völkermord müsse sofort beendet werden und die Geiseln auf beiden Seiten - Palästinenser in Israel sowie die weiterhin knapp 100 Geiseln, die die Hamas im Gazastreifen festhält - freigelassen werden, forderte die Juristin. "Gleiche Rechte für alle", betonte Albanese und erntete dafür lang anhaltenden Applaus des Publikums.
Das Interesse an Albaneses Vortrag zum Thema "Genozid als koloniale Auslöschung" stieß auf großes Interesse. Der von der Uni Wien zur Verfügung gestellte Hörsaal im Alten AKH am Universitätscampus war schon 30 Minuten vor Beginn der Veranstaltung voll belegt. Auch zwei weitere, kleinere Hörsäle, in denen der Vortrag live übertragen wurde, füllten sich nach kurzer Zeit. Der Organisator der Vorlesung und Diskussion, Helmut Krieger, vom Institut für Internationale Entwicklung, kritisierte, das Rektorat der Universität, das keinen größeren Veranstaltungssaal zur Verfügung gestellt habe. "Dann nutzen wir eben alle anderen Hörsäle", scherzte er.
Vor dem Hörsaalzentrum waren vor und nach der Veranstaltung "Viva Palästina"- und "Free-Palästina"-Sprechchöre zu hören und einige Palästina-Fahnen zu sehen. Plakate mit der Aufschrift "From the river to the sea" mussten die Organisatoren der Kundgebung nach der Aufforderung der Polizei abnehmen.
Während und nach der Veranstaltung formierte sich eine Gegendemonstration der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen (JöH). Die Polizei versuchte mögliche Zusammenstöße mit einer räumlichen Trennung der beiden Lager zu unterbinden.
Die JöH kritisierten das Event und Albanese bereits im Vorfeld. Albanese ignoriere in ihrem Narrativ über den Krieg in Israel und Palästina "vollumfänglich das Leid der Israelis, welche nach ihrer Erzählung Schuld an allen Übeltaten tragen, während sie für die mörderische Hamas größtes Verständnis zeigt", so die Studentinnen und Studenten in einer Aussendung.
Auch die israelische Botschaft in Wien kritisierte Albaneses "einseitiges, antisemitisches Narrativ voller unwahrer Anschuldigungen". Sie relativiere den Holocaust, verteidige palästinensischen Terror als "Widerstand" und spreche Israel das Recht ab, "seine Bürger gegen Terror zu verteidigen", hieß es in einer Aussendung. "Universitäten sollten ein Platz für Diskussionen und akademischen Austausch sein, aber es ist mehr als zweifelhaft, ob man so einem einseitigen, antisemitischen Narrativ voller unwahren Anschuldigen eine Bühne geben sollte", so Botschafter David Roet, der eine Absage der Veranstaltung als "besseren Weg" bezeichnete.
Die israelische Regierung wirft der Berichterstatterin des UNO-Menschenrechtsrats über die Lage der Menschenrechte in den besetzten Palästinensergebieten schon seit Längerem vor, zugunsten der Palästinenser voreingenommen zu sein. Albanese betonte, Kritik an Israel dürfte unter keinen Umständen mit Antisemitismus gleichgesetzt werden. Dies würde zu einer Banalisierung des Antisemitismus führen. Auch stehe Israel nicht über dem Gesetz.
Albanese sprach bereits Ende April im Rahmen einer Vorlesung von Krieger vor Studierenden der Uni Wien. Sie war damals allerdings nur via Livestream zugeschaltet. Nach der Veranstaltung kam es zu einem Aufmarsch einer judenfeindlichen Gruppe, die Hassparolen skandierten, in der Nacht zu antisemitischen Vorfällen in einem jüdisch geprägten Viertel.
Zusammenfassung
- Francesca Albanese, die UNO-Sonderberichterstatterin, warf Israel bei einem Vortrag in Wien Genozid und die absichtliche Zerstörung im Gazastreifen vor.
- Die israelische Botschaft in Wien kritisierte Albaneses Aussagen als einseitig und antisemitisch, was zu einer intensiven Debatte führte.
- Albanese betonte, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung nicht auf besetztem Gebiet wie dem Gazastreifen beanspruchen könne.
- Der Vortrag zog großes Interesse auf sich; der Hörsaal war bereits 30 Minuten vor Beginn voll belegt, und es kam zu Pro-Palästina-Protesten sowie Gegendemonstrationen.
- Albanese forderte gleiche Rechte für alle und die sofortige Freilassung der Geiseln, darunter knapp 100 von der Hamas im Gazastreifen.