Ukrainisches Parlament verbietet Moskauer orthodoxe Kirche
Begründet wird das Verbot mit der Unterstützung des Moskauer Patriarchats für den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dem Ableger dieser Kirche in der Ukraine wird vorgeworfen, die Verbrechen gegen das eigene Volk zu rechtfertigen oder sogar mit dem Feind zu paktieren. Offiziell dient das Gesetz dem Schutz der nationalen Sicherheit und der Religionsfreiheit. Präsident Wolodymyr Selenskyj muss das Gesetz gegenzeichnen. Weil sein Präsidialamt das Verbot aber vorangetrieben hat, gilt es als unwahrscheinlich, dass Kritikpunkte noch aufgenommen werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte das Parlament ausdrücklich für diese Entscheidung. "Ich möchte heute die Arbeit der Werchowna Rada hervorheben, die das Gesetz für unsere geistliche Unabhängigkeit verabschiedet hat", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft - diesmal aus der zentralukrainischen Industriestadt Kropywnytzkyj. Selenskyj kündigte ein baldiges Gespräch mit Vertretern des Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., an. Bartholomäus gilt als Ehren-Oberhaupt der orthodoxen Christen. Im Streit mit Moskau hatte der Patriarch vor sechs Jahren der Orthodoxen Kirche der Ukraine die kirchliche Eigenständigkeit (Autokephalie) gewährt. Kiew setzt nun auf seine weitere Unterstützung.
Das Gesetz trete einen Monat nach Veröffentlichung in Kraft, teilte der ukrainische Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak mit. Danach hätten die einzelnen Gemeinden neun Monate Zeit, sich von der Moskauer Kirche loszusagen. In der zersplitterten ukrainischen Kirchenlandschaft rechnen sich weniger als 10.000 Gemeinden noch zur moskautreuen Kirche. Das sind mehr Gemeinden, als die nationale Orthodoxe Kirche der Ukraine zählt. Diese hat aber mehr Gläubige.
Moskau bleibt bei der Haltung, dass die Ukraine auch kirchlich zu Russland gehört, und entsprechend äußerte sich die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa zu dem Verbot: "Das Ziel ist, die zutiefst kanonische, wahre Orthodoxie zu vernichten", sagte sie. Der ukrainische Staat verletze das Recht seiner Bürger auf Religionsfreiheit, sagte die Chefin des Ausschusses für Kirchenfragen im russischen Parlament, Olga Timofejewa.
Die russisch-orthodoxe Kirche verurteilte das Verbot. Es handle sich um einen "illegalen Akt" und eine "grobe Verletzung der Grundprinzipien der Glaubensfreiheit und der Menschenrechte", erklärte der Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Legoida, am Dienstag im Onlinedienst Telegram. Er warnte davor, dass die Umsetzung dieses Gesetzes "zu massiver Gewalt gegen Millionen von Gläubigen führen" könne. Auch das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, meldete sich zu Wort und sprach bei einem Besuch im Kloster Solowki in Nordrussland von einer "schwierigen Zeit, in der sich viele gegen uns gewendet haben, nicht weil wir schlecht sind, sondern nur weil wir anders sind".
"Wir haben heute den unvermeidlichen Weg eingeschlagen, das Agentennetz des Kremls, das sich seit Jahrzehnten hinter der Maske einer religiösen Organisation versteckt, von innen heraus zu säubern", schrieb hingegen der ukrainische Abgeordnete Roman Losynskyj auf Facebook.
Während das Gesetz beraten wurde, warnten aber westliche Partner die Ukraine, die religiöse Spaltung im Land nicht durch das Verbot noch zu vertiefen. "Mit dem Gesetz wird eine Stimmung gefördert, die sich gegen eine große Gruppe in der Gesellschaft richtet", sagte die Theologin Regina Elsner aus Münster der Deutschen Presse-Agentur. Es könnte sein, dass orthodoxe Gläubige, die ihrer Kirche nicht abschwören wollen, in den Untergrund gehen oder sich nur noch in Privatwohnungen treffen.
"Das Recht der Ukraine ist unbenommen, für ihre Sicherheit zu sorgen", sagte die Professorin für Ostkirchenkunde. Es gebe klare Fälle der Kollaboration mit Russland unter den Bischöfen und Priestern der Moskauer Kirche. Dagegen gehe die Ukraine bereits jetzt strafrechtlich vor. Doch einfache Gläubigen sollten nicht gezwungen werden, sich für oder gegen eine Kirche zu entscheiden.
Der Kirchenstreit in der Ukraine zeigt sich schon seit Jahren an den wichtigen Klöstern des Landes. Das moskautreue Höhlenkloster in Kiew gilt als architektonisches Gesamtdenkmal. Der Staat versucht, den Mönchen und Pilgern Gebäude um Gebäude wegzunehmen. Solche Schritte werden durch das neue Gesetz erleichtert. Auch im großen Mariä-Entschlafens-Kloster Potschajiw in der Westukraine, dem westlichsten Vorposten der russischen Orthodoxie, deutet sich eine Enteignung an.
Russland und weite Teile der Ukraine bildeten über Jahrhunderte einen einheitlichen Kirchenraum, der zum Moskauer Patriarchat gehörte. Seit der staatlichen Unabhängigkeit versuchte die Ukraine aber auch ihre kirchliche Unabhängigkeit zu erlangen.
2018 erkannte Weltpatriarch Bartholomäus in Konstantinopel eine Orthodoxe Kirche der Ukraine an, die nicht mehr Moskau untersteht. Die moskautreue Kirche in der Ukraine erklärte im Mai 2022 nach dem russischen Einmarsch ihre formale Loslösung von Russland. Der Staat glaubt ihr dies nicht - daher das Verbot. Tatsächlich stünden viele der vermeintlich moskautreuen Gemeinden und deren Gläubige sehr loyal zur Ukraine und hätten sich von Russland gelöst, berichtet Elsner von ihren Erfahrungen. Das neue Gesetz schere aber alle über einen Kamm.
Die dem Moskauer Patriarchat nahestehende ukrainisch-orthodoxe Kirche hatte sich nach Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 offiziell von Moskau losgesagt. Einige Abgeordnete werfen ihren Würdenträgern dennoch vor, weiterhin mit russischen Geistlichen zusammenzuarbeiten und von Russland abhängig zu sein. Auf russischer Seite unterstützt die orthodoxe Kirche den Kreml und den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU teilte der öffentlich-rechtlichen ukrainischen Medienanstalt Suspilne mit, dass seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 "Strafverfahren gegen mehr als 100 Geistliche" der von Moskau unterstützten Kirche eingeleitet und 26 von ihnen verurteilt worden seien. Zu den spezifischen Vorwürfen gab es keine Angaben.
Metropolit Kliment, Sprecher der ukrainisch-orthodoxen Kirche, sagte Suspilne am Dienstag, die Kirche habe "immer innerhalb der Grenzen des Gesetzes gehandelt" und werde versuchen, "das verfassungsmäßige Grundrecht auf Gewissens- und Religionsfreiheit zu verteidigen".
Zusammenfassung
- Das ukrainische Parlament hat das Verbot der moskautreuen orthodoxen Kirche mit 265 von 322 Stimmen verabschiedet.
- Das Gesetz tritt einen Monat nach Veröffentlichung in Kraft, und die Gemeinden haben neun Monate Zeit, sich von der Moskauer Kirche loszusagen.
- Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte das Parlament für die Entscheidung und kündigte Gespräche mit dem Patriarchen von Konstantinopel an.
- Moskau und die russisch-orthodoxe Kirche verurteilen das Verbot als Verletzung der Religionsfreiheit und warnen vor möglichen Gewalttaten.
- Seit Beginn der russischen Invasion wurden Strafverfahren gegen mehr als 100 Geistliche der moskautreuen Kirche eingeleitet.