Ukrainischer Experte: "Asow hat eine sehr problematische Geschichte"
PULS 24: Herr Shekhovtsov, Sie sind Rechtsextremismusexperte. Dass Russland von einer Entnazifizierung in der Ukraine spricht, ist offenkundig Unsinn. Aber es gibt auch Vorwürfe wegen des Asow-Bataillons oder weil sich Militärs oder Politiker mit Bildern von Stepan Bandera zeigen. Ist Kritik daran gerechtfertigt?
Anton Shekhovtsov: Nein, sie ist überhaupt nicht gerechtfertigt. Im Grunde ist die extreme Rechte in der Ukraine tot, und das schon seit mehreren Jahren. Sie ist im Parlament kaum vertreten.
Wissen Sie, die Rechtsextremen haben in der Ukraine keine politische Unterstützung, weil sie ideologisch gescheitert sind. Es gab in der Geschichte der Phasen, in denen das Establishment mehr oder weniger pro-russisch war, wie unter Janukowytsch (Wiktor Janukowytsch war bis 2014 Präsident der Ukraine, Anm.). Damals war war die Nachfrage nach der extremen Rechten größer. Sie wurden wegen ihrer Skepsis gegenüber Russland unterstützt und sie haben von den pro-russischen Kräften profitiert. Aber da Russland seit 2014 einen Krieg führt, haben diese Parteien ihre gesamte Wählerunterstützung verloren. Ich glaube nicht, dass es jemals pro-russische Politiker in der Ukraine geben wird. Das ist alles vorbei.
Vom Asow-Bataillon gab es immer wieder rechtsextreme Äußerungen. Sie verwenden teils auch einschlägige Symbole.
Asow hat eine sehr problematische Geschichte in den Jahren 2014 und 2015. Aber ab 2015, 2016 haben sie den Prozess der Entpolitisierung durchlaufen. Es ist keine politische Organisation. Es ist nicht einmal mehr ein Bataillon, es ist nur noch eine Einheit in der Nationalgarde der Ukraine, die Befehle vom Innenminister erhält. Ja, Asow hat seine Geschichte als Freiwilligenbataillon. Aber das ist alles vorbei.
Es gibt also keine Rechtsextremen mehr bei Asow?
Vielleicht gibt es die, vielleicht auch Linksextreme. Aber das spielt keine Rolle. Sie verfolgen keine politische Agenda. Nehmen Sie eine beliebige Polizeitruppe, nehmen Sie eine beliebige Armee, Sie werden dort immer alle möglichen Leute finden. Klar ist auch, dass Armee und Polizei immer radikalere Elemente anziehen, aber das hat mit Machtverhältnissen und Machismo zu tun. Ein guter Soldat ist nicht der, der politisch korrekt ist. Ein guter Soldat folgt den Befehlen - ohne nationale oder internationale Gesetze zu verletzen.
Und mancher ukrainische Militär und Politiker verwendet Stepan Bandera, der mit der Wehrmacht zusammenarbeitete, als Symbol.
Ich persönlich hasse das, aber ich verstehe, warum sie das tun. Stepan Bandera gilt in der Ukraine als Kämpfer für die Unabhängigkeit. Er wird nicht dafür verehrt, dass er ein antidemokratisches Arschloch war. Es gefällt mir dennoch nicht, dass sie einen Helden aus ihm machen, weil ich nicht glaube, dass er ein Held war. Und eigentlich war er auch kein besonders guter Kämpfer für die nationale Befreiung. Da gab es Leute, die tatsächlich viel mehr beigetragen haben. Und die haben kein so schreckliches Image.
Die zweite Sache, die ich an Stepan Bandera nicht mag, ist, dass er eine Schöpfung der sowjetischen Propaganda ist. Die sowjetische Propaganda hat einen Schurken, einen großen Feind aus ihm gemacht. In der Ukraine sagte man dann: Wenn die Sowjets ihn so sehr gehasst haben, dann werden wir ihn lieben.
Aber kein verantwortungsbewusster Politiker in der Ukraine wird irgendetwas von dem teilen, wofür Stepan Bandera außer dem nationalen Befreiungskampf stand.
In der Ukraine, aber auch in den baltischen Staaten, werden nun reihenweise Sowjet-Denkmäler entfernt. Zumindest in Österreich stehen diese auch für die Befreiung von den Nationalsozialisten. Denken Sie, dass das eine gute Lösung ist, sie einfach zu entfernen?
Ich bin ein großer Befürworter der Beseitigung all dieser sowjetischen Dinge. Es war keine Befreiung, Es war eine Besatzung. Diese sowjetischen Symbole und Denkmäler sind bei uns Symbole der Besatzung, Diktatur und Unterdrückung aller baltischen Staaten, auch der Ukraine. Obwohl die Ukraine ja Teil des sowjetischen Verbrechens war. Sie müssen entfernt werden. Das ist so wie mit den Denkmälern für Sklavenhalter in den USA. Das ist nicht richtig.
Der Krieg in der Ukraine hat die extreme Rechte in Österreich und Deutschland gespalten. Die einen sind eher pro-russisch, die anderen sagen, dass eher die Ukraine unterstützen. Könnte diese Frage die Szene für längere Zeit spalten?
Nein. Ich denke, dass diese Spaltungen nur vorübergehend sind. Die Szene ist sehr flexibel. Wenn wir es nicht mit Leuten zu tun haben, die offensichtlich von den Russen gekauft wurden, dann sind diese Diskussionen in der Szene nicht so streng. Es wird also keine sehr tiefe Kluft in diesen Fragen geben. Das glaube ich nicht.
Und die Rechtsextremen sind in der Regel nicht durch ihre außenpolitische Ausrichtung definiert. Die Menschen in der extremen Rechten sind viel mehr nach innen gerichtet
Kommen wir nun zu Russland und der extremen Rechten. Auch hier hört man immer wieder, dass Putin von rechtsextremen Ideologen wie etwa Alexander Dugin beeinflusst wird.
Ich glaube nicht, dass Putin von Dugin beeinflusst wird. Der Einfluss von Dugin wird vor allem im Westen übertrieben dargestellt. Dugin stellt sich selbst als eine Person dar, die den Kreml beeinflusst.
Putin wird eher von seiner imaginierten heroischen Geschichte der Russischen Föderation beeinflusst. Daraus schöpft er seine Inspiration. Nicht aus irgendwelchen Schriften von irgendwelchen Ideologen.
Spielen Rechtsextreme in Russland überhaupt eine Rolle?
Die extreme Rechte ist nicht die größte, nicht die einflussreichste, aber wahrscheinlich die lauteste und stärkste Gruppe in Russland. Sie drängen Putin zu mehr Aggressivität, sie drängen ihn, mehr für den Krieg in der Ukraine zu unternehmen, zur Konfrontation mit dem Westen.
Putin muss, obwohl vieles von dem, was er tut, seine persönliche Entscheidung ist, auch die Interessen anderer Gruppen berücksichtigen, insbesondere die des Militärs. Und es gibt eine Überschneidung zwischen der extremen Rechten und dem Militär.
Auch die Gruppe Wagner gilt als rechtsextrem.
Für Prigoschin (Jewgeni Prigoschin gründete die Söldner-Gruppe, Anm.) ging es immer ums Geschäft. Das ist nicht ideologisch. Wir können nicht sagen, dass es ihnen um faschistische Ideologie ginge. Prigoschin ist eher mit der kriminellen Subkultur in Russland verbunden als mit einer politischen Kraft oder politischen Partei oder politischen Ideologie. Aber natürlich gibt es Faschisten und Nazis in der Wagner-Gruppe.
Würden Sie sagen, dass Russland faschistisch ist?
Nein. Es ist nicht einmal ein ideologisches Regime. Sicherlich ist es autoritär, aber es ist nicht totalitär. Faschismus ist eine totalitäre Ideologie. Russland ist ein personalistisches, autoritäres Regime. Es ist ziemlich militaristisch, es ist aggressiv. Aber es ist nicht totalitär.
Sehen Sie eine Möglichkeit, dass es in Russland zu einem Regimewechsel kommt?
Ja, ganz sicher. Die Frage ist nur, ob er noch stattfindet, wenn Putin noch lebt, oder ob er nach seinem Tod stattfindet. Nach seinem Tod sind Veränderungen unvermeidlich. Denn es ist ein personalistisches, autoritäres Regime und vieles in Russland ist mit der Persönlichkeit Putins verbunden. Ohne Putin kann dieses Regime nicht fortbestehen. Es ist einfach nicht möglich. Er hat dieses Regime für sich selbst und ganz allein aufgebaut. Ohne ihn gibt es nichts. Es gibt unter meinen Kollegen die Ansicht, dass der Putinismus Putin überleben könnte, aber ich glaube das nicht.
Kann man voraussagen, was nach Putin passieren wird?
Es wird sich etwas ändern. Das ist das Einzige, was wir sagen können. Wir wissen jetzt auch nicht genau, wie in Russland Entscheidungen getroffen werden, wer wie viel zu sagen hat. Erst nach Putin wird es die Möglichkeit für den Westen geben, die Beziehungen wieder zu Verbessern.
Danke sehr!
Zur Person
Anton Shekhovtsov wurde 1978 in Sewastopol geboren. Er ist Autor, Politikwissenschaftler und politischer Aktivist. Er ist der Direktor des "Centre for Democratic Integrity" und Forscher am "Research Center for the History of Transformations" in Wien. Bekannt ist er für seine Publikationen über europäische Rechtsextreme und deren Verbindungen zu Russland.
Zu Teil 1 des Interviews mit Anton Shekhovtsov:
Zusammenfassung
- Der ukrainische Politikwissenschaftler Anton Shekhovtsov im PULS 24 Interview über das Asow-Regiment, Stepan Bandera, die Gruppe Wagner und die Frage, ob Russland faschistisch ist.