Ukrainer klagen über nächtlichen Beschuss
Um Mitternacht (Ortszeit) war eine einseitig von Präsident Wladimir Putin verhängte Feuerpause ausgelaufen, die aber Russland selbst nicht eingehalten hatte. Laut Januschewitsch endete die Attacke ohne Tote und Verletzte. Aus anderen Regionen hingegen wurden Opfer gemeldet. In Charkiw ist demnach eine Person bei nächtlichen Angriffen gestorben.
Russland soll nach eigenen Angaben mit einem Raketenangriff mehr als 600 ukrainische Soldaten getötet haben. Es habe sich um einen Angriff auf zwei Gebäude in Kramatorsk in der Region Donezk gehandelt, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. In einem der Gebäude seien mehr als 700 ukrainische Soldaten untergebracht gewesen, in dem anderen mehr als 600.
Die ukrainischen Streitkräfte wiesen die Angaben zurück. "Diese Information ist ebenso wahr wie die Angabe, dass sie alle unsere HIMARS zerstört haben", sagte ein ukrainischer Armeesprecher der Nachrichten-Website "Suspilne".
Auch Augenzeugen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gab es vor Ort keinen Hinweis auf hohe ukrainische Verluste. Es seien Schäden entstanden, aber zerstörte Gebäude oder Anzeichen für Tote seien nicht zu sehen, sagte ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag. Reuters-Reporter konnten zwei Schlafhallen besichtigen, die russischen Angaben zufolge zeitweise von ukrainischen Soldaten während der Nacht belegt worden waren. Keines schien direkt getroffen oder schwer beschädigt zu sein. Auch der Bürgermeister von Kramatorsk hatte zuvor gesagt, es habe keine Opfer gegeben.
Vor Ort waren keine Anzeichen zu sehen, dass dort Soldaten gewohnt hatten und keine, die auf Tote hindeuteten. Auch fanden sich keine Blutspuren. An einem Schlafsaal waren Fenster zerbrochen und im Hof war ein großer Krater zu sehen. Das andere von Russland benannte Gebäude war komplett intakt. Es klaffte aber etwa 50 Meter entfernt ein Krater in der Nähe einiger Garagen.
Nach ukrainischen Angaben wurden zwar im Gebiet Donezk die Städte Kramatorsk und Kostjantyniwka von Raketen getroffen. Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kyrylo Tymoschenko, teilte mit, bei den Angriffen seien acht Menschen verletzt worden, eine Person kam ums Leben.
Angriffe wurden zudem auf Saporischschja und mehrere Ortschaften im Gebiet Dnipropetrowsk gemeldet. Am Sonntag meldete außerdem der ukrainische Energieversorger DTEK, dass in der orthodoxen Weihnachtsnacht von 6. auf 7. Jänner ein Wärmekraftwerk beschossen worden sei. Der Schaden sei aber schnell behoben worden.
Putin hatte am Donnerstag eine einseitige Waffenruhe der russischen Streitkräfte verkündet, die bis Mitternacht von Samstag auf Sonntag (22.00 Uhr MEZ) gelten sollte. Kiew hatte die Ankündigung als Propaganda bezeichnet. Noch während die Waffenruhe offiziell in Kraft war, hatte Moskau eingeräumt, ukrainische Angriffe im Frontgebiet weiter zu erwidern.
Am Sonntag vollzogen Russland und die Ukraine den ersten Gefangenenaustausch seit dem Jahreswechsel. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden 50 russische Soldaten nach Moskau ausgeflogen. Kiew berichtete, dass auf eigener Seite 33 Offiziere und 17 Mannschaftsdienstgrade befreit wurden.
Britische Militärexperten sehen unterdessen in der Stärkung russischer Verteidigungsstellungen in der Ukraine Hinweise darauf, dass die Befehlshaber ukrainische Offensiven befürchten. In den vergangenen Wochen habe Russland seine Verteidigungsstellungen in der Region Saporischschja ausgebaut, hieß es am Sonntag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. "Die Art, wie Russland an der Verbesserung seiner Verteidigung gearbeitet hat, lässt darauf schließen, dass Befehlshaber sehr wahrscheinlich mit der Möglichkeit großer ukrainischer Offensiven beschäftigt sind - entweder in der nördlichen Region Luhansk oder in Saporischschja."
Ein Durchbruch ukrainischer Streitkräfte im Gebiet Saporischschja könnte nach Einschätzung der Experten die Funktionsfähigkeit der russischen "Landbrücke", die die russische Region Rostow mit der Krim verbindet, infrage stellen. Wichtige Bahn- und Straßenverbindungen und damit auch der Nachschub der russischen Truppen in der Region seien dadurch in Gefahr. Ein ukrainischer Erfolg in Luhansk würde Russlands erklärtes Kriegsziel der "Befreiung" des ostukrainischen Gebiets Donbass weiter untergraben.
"Die Entscheidung, welche dieser Bedrohungen vorrangig bekämpft werden soll, ist wahrscheinlich eines der zentralen Dilemmata für die russischen Einsatzplaner", schreiben die Geheimdienstexperten bei Twitter.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Angaben zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.
Russland und Belarus verstärken unterdessen belarussischen Angaben zufolge ihre gemeinsamen Militärübungen. Die Militärgruppe beider Staaten sei nahezu ununterbrochen im Übungseinsatz und konzentriere sich dabei auf die Kriegsführung in Städten, berichtete das belarussische Militärfernsehen am Sonntag. Dabei würden auch Erfahrungen der russischen Streitkräfte aus den Kämpfen in der Ukraine genutzt. Russland und Belarus wollen auch in naher Zukunft gemeinsame Luftwaffen-Manöver starten. Die Übungen sollten vom 16. Jänner bis 1. Februar dauern, teilt das Verteidigungsministerium von Belarus mit. In der Ukraine und westlichen Staaten waren zuletzt Sorgen laut geworden, Russland könnte das Territorium seines Verbündeten Belarus für einen weiteren Angriff auf die Ukraine nutzen.
Zusammenfassung
- Russland hat nach ukrainischen Angaben in der Nacht mehrere Städte im Land beschossen.
- "Für die Attacke haben sie Brandmunition verwendet", teilte der Militärgouverneur der Region, Jaroslaw Januschewitsch, am Sonntag in seinem Telegram-Kanal mit.
- Angriffe wurden zudem auf Saporischschja und mehrere Ortschaften im Gebiet Dnipropetrowsk gemeldet.
- Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden 50 russische Soldaten nach Moskau ausgeflogen.