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Sorge vor offenem Krieg zwischen Israel und Hisbollah wächst

Die Terrormiliz Hisbollah hat laut Israel mit einem Angriff auf einen Fußballplatz "alle roten Linien" überschritten. Die Regierung kündigte heftige Gegenanschläge an. Im Libanon wächst die Sorge vor völliger Eskalation und einem offen Krieg. Doch der Einfluss der libanesischen Regierung auf die Hisbollah gilt als gering.

Nicht nur im Libanon wächst die Sorge vor weiterer Eskalation und einem offenen Krieg der Hisbollah gegen Israel.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs in Folge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober gibt es beinahe tägliche Gefechte und Beschuss der Hisbollah auf Israel und umgekehrt. Auf libanesischer Seite wurden dabei mehr als 100 Zivilisten getötet sowie 360 Hisbollah-Mitglieder, aufseiten Israels etwa 20 Soldaten und mehr als 20 Zivilisten. 150 000 Menschen auf beiden Seiten der Grenze mussten bereits ihre Wohnorte verlassen.

"Alle roten Linien" überschritten

Die Terrororganisation Hisbollah ("Partei Gottes") stellte mehrfach klar, dass sie erst aufhören wolle, wenn der Krieg in Gaza beendet sei. Am Wochenende überschritt die vom Iran unterstützte Miliz im Libanon für Israel "alle roten Linien". 

Am Samstag soll die Hisbollah ein drusisches Dorf auf den Golanhöhen mit Raketen beschossen haben. Getroffen wurde ein Fußballfeld, laut Israel starben mindestens zwölf Kinder und Jugendliche. 

Die Hisbollah bestreitet offiziell zwar, für den Angriff verantwortlich zu sein, doch laut Israels Armeesprecher Daniel Hagari wurde mit einer Falaq-1-Rakete iranischer Bauart mit einem 50 Kilogramm schweren Sprengkopf geschossen. Dieses Modell befinde sich "ausschließlich im Eigentum der Hisbollah". Auch die USA machten die Hisbollah verantwortlich. 

Denkbar ist nach Experteneinschätzung auch, dass die Rakete vom Samstag ihr eigentliches militärisches Ziel verfehlt hatte. Die israelische Militärexpertin Sarit Zehavi verwies darauf, dass die Schiitenmiliz zuvor Angriffe auf eine israelische Militärbasis auf dem Berg Hermon für sich reklamiert habe.

Zwei Tote bei Gegenangriff

Laut dem israelischen Armeesprecher Hagari handelte es sich jedenfalls um den "tödlichsten Angriff gegen israelische Zivilisten seit dem 7. Oktober". Die israelische Regierung kündigte eine harte militärische Antwort an. Regierungschef Benjamin Netanyahu sagte, Israel werde den "mörderischen Angriff nicht unbeantwortet lassen", die Hisbollah werde dafür einen "Preis" zahlen, den sie "noch nie zuvor gezahlt hat". 

Schon am Sonntag wurden laut libanesischen Angaben bei israelischen Angriffen mehrere Bewohner verletzt. Am Montag seien bei einem Drohnenangriff zwei Menschen getötet und weitere verletzt worden - darunter auch eine minderjährige Person. Sie soll sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf einem Balkon in einem nahe gelegenen Gebäude befunden haben. Die Hisbollah berichtete den Tod von zwei Mitgliedern.

Laut der libanesischen Nachrichtenagentur NNA wurde zunächst auf ein Auto gezielt, das auf einer Straße nahe dem Ort Mais al-Jabal unweit der israelischen Grenze unterwegs war. Ein Motorrad habe sich daraufhin dem Auto genähert und sei auch angegriffen worden. Die minderjährige Person soll sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf einem Balkon in einem nahe gelegenen Gebäude befunden haben. Das israelische Militär äußerte sich zunächst nicht dazu.

Angst vor Eskalation

International wächst nun die Sorge vor einer völligen Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah. "Wir sind zutiefst besorgt über das Risiko einer weiteren Eskalation und Destabilisierung. Wir haben klargemacht, dass die Hisbollah ihre Angriffe einstellen muss", schrieb etwa der britische Außenminister David Lammy auf der Plattform X und verurteilte den Anschlag von Samstag.

US-Außenminister Antony Blinken rief zur Zurückhaltung auf. Washington bemüht sich, hinter den Kulissen für eine Beruhigung zu sorgen. Man sei in "dauerhaften Diskussionen" mit der israelischen und libanesischen Seite, sagt eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA. 

Und auch im Libanon selbst wachsen die Sorgen - nun auch in Regierungskreisen: Die libanesische Regierung schwieg bisher weitgehend zu den Gefechten zwischen Israel und der Hisbollah, gab nach dem Angriff auf den Golanhöhen aber ein sorgenvolles Statement ab. Sie verurteilte die Tat und rief zu einem Ende der Kämpfe auf. 

Der Libanon bat die USA, mäßigend auf Israel einzuwirken. Ein signifikanter israelischer Angriff auf sein Land könnte einen regionalen Krieg auslösen, sagte der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib der Nachrichtenagentur Reuters. Im Gegenzug solle seine Regierung einen US-Appell zur Mäßigung an die Hisbollah-Miliz übermitteln.

Wer ist die Hisbollah?

Der Einfluss der libanesischen Regierung auf die Hisbollah gilt allerdings als gering. Im Jahr 2022 verlor die Hisbollah mit ihren Verbündeten zwar die Mehrheit im Parlament, dennoch übt die Organisation weiter großen Einfluss im Libanon aus. 

Sie wurde in den 80ern während des libanesischen Bürgerkriegs von den iranischen Revolutionsgarden aus mehreren schiitischen Gruppen gegründet. Laut der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) ist die Hisbollah der am stärksten bewaffnete nicht-staatliche Akteur der Welt. Experten gehen davon aus, dass die Schiiten-Miliz mehr als 100.000 Raketen, Bomben und andere Flugkörper besitzt, einige sagen 200.000. 

"Frontposten des Irans im Libanon"

Der israelische Außenamtssprecher Oren Marmorstein nannte die Hisbollah "den Frontposten des Irans im Libanon". Laut ihm gebe es nur eine Möglichkeit, einen umfassenden Krieg zu verhindern, "der auch für den Libanon verheerend wäre": Die Hisbollah müsse gezwungen werden, sich gemäß einer UNO-Resolution bis hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen. Dieser liegt 30 Kilometer von der Grenze zwischen Israel und dem Libanon entfernt. "Jetzt ist es die allerletzte Minute, dies noch diplomatisch zu tun."

Erdoğan verschärft Rhetorik

Auf der anderen Seite wird auch in Ankara die Rhetorik schärfer, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gedroht hatte, die Türkei werde in Israel "reingehen" wie in Berg-Karabach und Libyen. Dass die Türkei tatsächlich ein militärisches Vorgehen gegen Israel in Betracht zieht, wird jedoch gemeinhin bezweifelt.

Zwei israelische Regierungsvertreter erklärten am Montag ebenso, dass Israel der libanesischen Miliz schaden, aber nicht die gesamte Region in einen umfassenden Krieg hineinziehen wolle. Vor allem die drusische Minderheit, die um zwölf Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren trauert, ist aber zutiefst aufgebracht und fordert einen harten Gegenschlag. 

Bei einer Ausweitung des Konflikt wäre jedenfalls zu erwarten, dass Irans weitere Verbündete ihre Attacken gegen Israel verstärken. Der Balanceakt ist nun, den von dem israelischen Sicherheitskabinett gebilligten Vergeltungsschlag unter der Schwelle eines echten, großen Krieges zu belassen. 

Video: Angst vor großem Krieg im Libanon

ribbon Zusammenfassung
  • Die Terrormiliz Hisbollah hat laut Israel mit einem Angriff auf einen Fußballplatz "alle roten Linien" überschritten. Die Regierung kündigte heftige Gegenanschläge an.
  • Im Libanon wächst die Sorge vor völliger Eskalation und einem offen Krieg.
  • Doch der Einfluss der libanesischen Regierung auf die Hisbollah gilt als gering.